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       # taz.de -- Wissenschaft für die Öffentlichkeit: Raus aus dem Elfenbeinturm
       
       > Die Wissenschaft sucht neue Wege, um mit der Zivilgesellschaft in Dialog
       > zu treten. In den Städten gibt es immer mehr „Häuser der Wissenschaft“.
       
   IMG Bild: Lange Nacht der Wissenschaften im Futurium Berlin. Offiziell eröffnet wird das Haus der Zukunft im Frühjahr 2019
       
       Die Wissenschaft sucht neue Wege, wie sie die Menschen außerhalb der
       akademischen Elfenbeintürme erreichen kann. Die in den letzten Jahren stark
       ausgebaute Wissenschaftskommunikation, die Forschung auf verständliche
       Weise erklären will, hat offenbar ihren Zenit überschritten. Stärker auf
       direkte Bürgerbeteiligung setzt die junge Bewegung der
       „Wissenschaftshäuser“, die sich in dieser Woche auf einer Konferenz des
       Stifterverbandes in Berlin vorstellte.
       
       Der Stifterverband, der jene gemeinnützigen Stiftungen bündelt, die mit
       Geld aus der Wirtschaft die Wissenschaft fördern, hatte bereits im Jahr
       2005 einen Impuls in diese Richtung gegeben. Damals wurde der Wettbewerb
       „Stadt der Wissenschaft“ gestartet, in dem jährlich eine Kommune
       ausgezeichnet wurde, in der Wissenschaft einen stadtprägenden Charakter
       einnahm und dabei von der Stadtpolitik aktiv unterstützt wurde. Den ersten
       Preis erhielten Bremen und Bremerhaven, gefolgt von Dresden und
       Braunschweig. Knappe 50 deutsche Städte, die das Interesse hatten,
       wissenschaftliches Renommee für ihr Stadtmarketing einzusetzen, beteiligten
       sich bis 2013.
       
       Bemerkenswert selbstkritisch bilanzierte der stellvertretende
       Generalsekretär des Stifterverbandes, Volker Meyer-Guckel, in seiner
       Begrüßung, dass es heute darum gehen müsse, „sich von der Community der
       Wissenschaftskommunikation zu lösen“. Derzeit würden darüber praktisch nur
       jene Bürger erreicht, die ohnehin schon der Wissenschaft naheständen. „Wir
       müssen aber viel mehr zum Teil der Gesellschaft werden und uns nicht als
       Kreis der Erleuchteten darstellen“, so Meyer-Guckel. Dazu brauche es einen
       „dialogorientierten Transfer“, der sich auch an „die Menschen am unteren
       Ende der Gesellschaft“ richte – die im Übrigen nicht unwissend seien,
       sondern auch über viele Erfahrungen verfügten, die den professoralen
       Stätten abgehen. Die nächste Phase der Begegnung von Wissenschaft und
       Gesellschaft sollte seiner Meinung nach davon geprägt sein, „gegenseitig
       voneinander zu lernen“.
       
       Dazu braucht es „neutrale Orte“, wie es die „Häuser der Wissenschaft“ sein
       wollen, die in einigen Städten bereits entstanden sind, zum Beispiel das
       „Schlaue Haus“ in Oldenburg oder die „Wissenschaftsetage“ im Bildungsforum
       Potsdam. „Um der Rolle von Wissenschaft in der Gesellschaft gerecht zu
       werden, sollten Häuser der Wissenschaft oder vergleichbare Orte – ähnlich
       wie Theater oder Museen – zum selbstverständlichen kulturellen Angebot von
       Städten gehören“, heißt es in einem Papier des „Strategiekreises Wista –
       Wissenschaft in der Stadt“, das von den Organisatoren bestehender
       Wissenschaftshäuser verfasst wurde und den Anstoß zu der Berliner Konferenz
       gab. „Häuser der Wissenschaft sind offene Orte, an denen Erkenntnisse der
       Wissenschaft an die Stadtgesellschaft weitergegeben (‚Open Science‘) und
       Impulse der Zivilgesellschaft aufgegriffen werden (‚Citizen Science‘)“,
       beschreibt das Positionspapier den angestrebten Austausch zwischen
       Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Gesellschaft.
       
       Jenseits des hergebrachten Stadtmarketings wird die Wissenschaft für die
       Zukunftsfähigkeit von Städten immer wichtiger, hebt Karen Minna Oltersdorf
       als Koordinatorin der Wista-Gruppe hervor. Kommunale Entscheidungsträger
       erwarteten immer stärker, „Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung für
       gesellschaftliche Herausforderungen und wirtschaftliche Entwicklung im
       Rahmen von innovativen Technologietransfers zu nutzen“. Stichworte sind die
       lokalen Auswirkungen des Klimawandels, Migration, Digitalisierung,
       Verkehrsplanung oder Wohnungsbau.
       
       ## Ohne Unterstützung geht es nicht
       
       Die gegenwärtigen „Häuser der Wissenschaft“ sind in ihren Konstruktionen
       breit gefächert. Häufig gibt es einen Trägerverein, an dem neben der
       Kommune auch Unternehmen oder die IHK, wissenschaftliche Einrichtungen und
       Organisationen der Zivilgesellschaft beteiligt sind. Unerlässlich für den
       Erfolg ist die Unterstützung durch die kommunalen Amtsträger, vor allem den
       Oberbürgermeister. Wo dieses „Backing“ abhandenkommt, wie in Lübeck nach
       einem Amtswechsel, kommt das Projekt ins Schlingern.
       
       In Braunschweig ist das „Haus der Wissenschaft“ zwar mitten auf dem Campus
       der TU angesiedelt. Für den neuen Geschäftsführer der GmbH, Thorsten Witt,
       ist es darum wichtig, an andere Orte in der Stadt zu gehen, auch um neue
       Zielgruppen zu erreichen. „Wir müssen schon aufpassen, dass unser Haus kein
       Elfenbeinturm der Wissenschaft wird“, sagt Witt.
       
       „Wir haben noch kein Haus, sind aber auf dem Weg“, berichtet Uta Kolano aus
       Halle (Saale). Hier bündelt der Verein „Science2public“ die Aktivitäten,
       darunter das Konzept für einen markanten Neubau, der 2020 fertig sein soll.
       Partner für die Wissenschaft werden auch anderswo gesucht. Ende Juni hat in
       der Saalestadt das „Silbersalz“-Filmfestival Premiere, das zwecks
       Ideentransfer Forscher mit Filmproduzenten zusammenbringen will.
       
       ## Blütezeit er Wissenschaftsläden
       
       In Bielefeld ist das „Wissenschaftsbüro“ mit zwei Personalstellen derzeit
       beim kommunalen Stadtmarketing angegliedert. Im Auftrag des
       Oberbürgermeisters wurde das Konzept für eine „WissensWerkStadt“
       entwickelt, die in das Gebäude der ehemaligen Stadtbibliothek einziehen
       soll. Mit Drittmitteln sollen 1,4 Millionen Euro zusammenkommen, um den
       Betrieb zu finanzieren. Jetzt muss das Stadtparlament entscheiden, ob es
       den kommunalen Anteil von 840.000 Euro jährlich freigibt. Viele Projekte
       des bürgernahen Forschens erinnern an die Wissenschaftsläden, die in den
       80er Jahren ihre Blütezeit hatten. Weitere Wissenschaftshäuser, die sich in
       Berlin vorstellten, waren aus Bochum, Potsdam, Siegen, Regensburg und
       Karlsruhe.
       
       Auch für Gesine Schwan, Präsidentin der Humboldt-Viadrina Governance
       Platform, ist die öffentliche Kommunikation der Hochschulen „zu stark an
       Mittel der PR angedockt“, um einseitig die Leistungen der Wissenschaft
       darzustellen, während „die Probleme der Gesellschaft nicht angeschaut
       werden“. Aber auch aus einem anderen Grund sei es für die Forscher wichtig,
       den Dialog mit der Gesellschaft zu suchen: „Wissenschaft gelingt dann
       besser“, so Schwan.
       
       „Je mehr gesellschaftliche Perspektiven in den Forschungsprozess
       einfließen, desto weniger kommen Partikularinteressen zum Tragen.“ Konkret
       bot die Politikwissenschaftlerin an, ihre Erfahrungen mit der
       „Stakeholder-Partizipation“, die sie in über 20 „Trialogen“ mit Vertretern
       von Politik, Unternehmen und Zivilgesellschaft etwa zu Fragen der
       Energiewende gewonnen hat, auch als Debattenformat der neuen
       Wissenschaftshäuser einzubringen. „Wie wollen wir unsere Stadt in den
       nächsten zehn Jahren weiterentwickeln?“, schlug Schwan als Thema vor, an
       dem alle interessiert sind und das auch alle betrifft.
       
       24 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Manfred Ronzheimer
       
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