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       # taz.de -- Zweieinhalb Jahre Haft für Fotos: Dort, wo es brodelt
       
       > Der Fotograf Uygar Önder Şimşek wurde wegen „Terrorpropaganda“
       > verurteilt. Mit Propaganda hat seine Arbeit nichts zu tun. Ein Porträt.
       
   IMG Bild: Uygar Önder Şimşek kurz vor der Urteilsverkündung in Bursa
       
       Die erste Begegnung mit Uygar Önder Şimşek in Berlin verlief nicht wie
       geplant: Bevor sein Koffer auf dem Gepäckband des Flughafens Tegel
       erschien, ging er nach draußen, „um eine zu rauchen“ – ohne zu bedenken,
       dass er nicht wieder in den Innenbereich zurückkehren konnte. Den Koffer
       brachten Flughafen-Mitarbeiter Tage später zu ihm nach Hause.
       
       So ist der 31-jährige Fotograf Şimşek: spontan, ein wenig chaotisch,
       lebensfroh. Vor allem ist er mutig: Vor seiner Ankunft in Deutschland hatte
       er monatelang den Krieg gegen den „Islamischen Staat“ im Irak und in Syrien
       fotografiert. Zuvor beobachtete er die Kämpfe im von Kurden kontrollierten
       Kobane.
       
       Dabei wagte er sich bis an die Frontlinie vor, kroch über Dächer, schlief
       in Häusern, aus denen nur wenige Stunden zuvor die Kämpfer des IS gehaust
       hatten. Er selbst ist Kurde, wuchs aber in Istanbul auf und spricht kaum
       kurdisch. Große Agenturen wie dpa oder AFP veröffentlichten seine Fotos,
       auch der Spiegel, die New York Times oder der britische Guardian zeigten
       sie.
       
       Die taz Panter Stiftung und Reporter ohne Grenzen gewährten ihm um die
       Jahreswende ein dreimonatiges Auszeit-Stipendium, damit er sich nach langer
       Zeit in Gefahrengebieten erholen und seine Fotos sortieren konnte.
       
       ## Beweis: ein Beitrag der ‚Washington Post‘ auf Facebook
       
       Seine Arbeit ist ihm, wie derzeit vielen Journalisten in der Türkei, nun
       zum Verhängnis geworden. Ein türkisches Gericht verurteilte ihn in dieser
       Woche zu zweieinhalb Jahren Gefängnis. Der Vorwurf: Propaganda für eine
       Terrororganisation. Als Beweis dienten Fotos von der Kurdenmiliz in Syrien,
       die Şimşek als Arbeitsproben auf seiner Webseite gezeigt hatte – und ein
       Facebook-Post: Şimşek hatte einen Betrag der Washington Post geteilt, die
       ein Foto von ihm veröffentlicht hatte.
       
       Doch mit Propaganda hat seine Arbeit nichts zu tun. Şimşek tat etwas, was
       viele Kriegsjournalisten tun. Er schloss sich erfahrenen Kämpfern an, die
       wissen, wann sie sicher eine Straße überqueren können, ohne in einen
       Kugelhagel zu geraten, und wo in einem Haus versteckte Sprengkörper zu
       finden sind. In solchen Situationen „muss man höllisch aufpassen“, sagte er
       im taz-Interview.
       
       Seine Zeit in Berlin nutzte er für Begegnungen mit Freunden und Kollegen,
       mit dem Besuch von Fotogalerien. Er beschäftigte sich mit der Frage, wie
       man Opfer fotografieren könne, ohne ihnen die Würde zu nehmen. Şimşek war
       erschöpft, schlief lange, seinen Fotoapparat rührte er nicht an. Den
       Studierenden der Fotoschule des Lette-Vereins berichtete er einmal über den
       Alltag eines Kriegsfotografen – und die waren tief beeindruckt von ihm.
       
       Ursprünglich wollte Şimşek Elektroingenieur werden, das Studium in Istanbul
       brach er jedoch ebenso ab wie ein Foto-Studium an der Kunsthochschule. Er
       schlug sich als Saxofonist durch, machte Werbefotos und fotografierte
       Hochzeiten. Doch bald genügte ihm das nicht. Seit den Protesten um den
       Gezi-Park in Istanbul 2013 zog es ihn dorthin, wo es brodelte.
       
       Nach seiner Auszeit in Berlin wollte er weiter arbeiten, zurück nach
       Syrien. Auf dem Istanbuler Flughafen allerdings klickten Anfang Februar die
       Handschellen. Dass die türkischen Behörden ihn auf ihrer Fahndungsliste
       hatten, war ihm, der sich nur als Beobachter und Dokumentarist der Kämpfe
       sah, gar nicht in den Sinn gekommen.
       
       Şimşek will das Urteil anfechten. Er hofft, dass ihn die Richter in der
       Berufungsverhandlung zu unter zwei Jahren Haft verurteilen. Dann müsste er
       nach türkischer Praxis wohl nicht ins Gefängnis.
       
       22 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Lorenz
       
       ## TAGS
       
   DIR taz.gazete
       
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