URI: 
       # taz.de -- Kolumne Wirtschaftsweisen: Mit Leoparden im Hinterhof
       
       > Es darf in den deutschen Städten ruhig mehr „Indien“ als nur auf
       > Speisekarten sein. Indische Gemeinschaft lernen zum Beispiel. Auch mit
       > wilden Tieren.
       
   IMG Bild: Wildes Tier, der Leopard
       
       Die Dörfer verschließen sich der Natur, die Städte öffnen sich ihr, stellte
       der Ökologe Josef Reichholf fest. In Berlin gehören dazu unter anderem
       Wildschweine und Füchse.
       
       Was hier der Fuchs, ist in Indien der Leopard. In Europa gilt der als
       besonders gefährlich und unter den Zirkusdompteuren als das schwierigste
       Raubtier. Aber im hinduistisch geprägten Indien geht man anders mit Tieren
       um, und diese anders mit den Menschen. Auf dem Forum
       [1][www.downtoearth.org.in] wurde unter der Überschrift „Die Leoparden in
       meinem Hinterhof“ daran erinnert, dass die Leoparden in Indien stets an den
       Rändern menschlicher Siedlungen gelebt hätten. Heute gebe es in vielen
       Teilen des Landes keinen Wald mehr, sondern nur noch ein Mosaik von Äckern,
       was den Leoparden um so mehr den Siedlungen nahe bringe. Im übrigen habe
       man so auch einigen Grund zum Stolz, denn Indien sei „das einzige Land
       weltweit, in dem die Menschen und ihr Vieh in nächster Nähe von Raubtieren
       leben“.
       
       Allein auf dem Gemeindeland des Dorfes Akole bei Mumbai lebt rund ein
       Dutzend Leoparden. Und die Dorfbewohner wollen, dass das auch so bleibt.
       Manchmal reißt ein Leopard eine Katze oder einen Hund. Wenn eine Ziege
       gerissen wird, bekommt der Besitzer eine Kompensation. Im Ort gibt es einen
       Tempel für eine Göttin, die sich auch in einen Leopard verwandeln kann. Ihr
       werden gelegentlich Opfer gebracht. Drei Mal kam es zu einem Unfall: Einmal
       schlug ein Leopard ein Liebespaar vom Moped, ein anderes Mal verletzte
       einer ein Kind. Umgekehrt wurde ein Leopard durch einen Stromschlag
       getötet.
       
       Seit dieses Zusammenleben diskutiert wird, entdeckt man überall Leoparden.
       Ein US-Internetmagazin titelte: „Viele Leoparden, keine Unfälle. Ein
       indisches Dorf erprobt, wie das geht!“ Und der National Geographic machte
       unter dem Titel „Mit Leoparden leben“ aus den Raubkatzen gleich ein Vorbild
       für uns alle: „Wenn die Menschen den überkommenen Lebensraum der Leoparden
       umgestalten, passen diese sich dem neuen an. Können wir das auch?“
       
       Diese Frage, hier etwa vom Fuchs und Wolf aus gestellt, ist keine
       akademische, sondern eine lebenspraktische, weil es für viele Tiere (und
       Pflanzen) schon bald keine anderen Habitate als die wachsenden Städte geben
       wird. Dabei stellen sich Probleme ihrer Ernährung. So erfuhr ich von Rolf
       Schneider, Biologe an der Humboldt-Universität, über die letzte
       Dohlenkolonie in Köpenick: „Dohlen sind zwar überall geschützt, sie
       bekommen hier aber weniger Nachwuchs als auf dem Land. Das Futterangebot
       ist problematisch: Zwar gibt es genug Kohlehydrate (etwa Brot), aber sie
       brauchen für die Aufzucht Eiweiß (Insekten, Würmer …). Die Sterberate der
       in der Stadt geborenen Jungen beläuft sich auf 70 bis 100 Prozent, auf dem
       Land betrifft es nur 25 Prozent.“
       
       Um allein die Dohlen hier einigermaßen zufriedenzustellen, bräuchten wir
       intelligente Gartenbauämter in den Bezirken, die nicht nur mit Rattengift
       oder Mähmaschinen arbeiten, und etwas mehr „Indien“ als auf Speisekarten.
       
       Nach der Studentenbewegung gab es im Urbankrankenhaus übrigens eine ganze
       Therapieeinrichtung für „Indienfahrer“, also für Berliner, die nach Indien
       gefahren und hierher zurückgekehrt prompt durchgeknallt waren. Wo sind die
       alle geblieben?
       
       24 Jun 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.downtoearth.org.in
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Helmut Höge
       
       ## TAGS
       
   DIR Kolumne Wirtschaftsweisen
   DIR Landflucht
   DIR Kolumne Wirtschaftsweisen
   DIR Insekten
   DIR Tiger
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kolumne Wirtschaftsweisen: Orte-Finder gegen Gentrifizierung
       
       Location Scouts sind immer auf der Suche nach Klischee-Orten. Sie helfen
       damit – ob sie wollen oder nicht – die letzten maroden Straßen zu bewahren.
       
   DIR Entomologe im Interview: „Die Artenvielfalt steigt seit Jahren“
       
       Von den einen zu viel, von den anderen zu wenig? Insektenkundler Jens Esser
       über Massen hungriger Mücken und das befürchtete Insektensterben.
       
   DIR Die Namen der Tiger: Da waren‘s nur noch zwei
       
       Ein Wissenschaftlerteam fand die Unterarten von Tigern zu kleinteilig
       definiert. Wo bisher neun waren, unterscheidet es jetzt nur noch zwei.
       
   DIR Botanischer Garten erforscht Kompost: Urwaldwissen in Dahlem
       
       Der Botanische Garten wusste nicht, wohin mit seinen Abfällen. Gleichzeitig
       musste immer wieder Komposterde gekauft werden. Beide Probleme
       zusammengedacht ergaben eine nachhaltige und kostengünstige Lösung.