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       # taz.de -- Strategien der Neuen Rechten: Die Ideenfabrik der AfD
       
       > Mit der AfD ist die Neue Rechte im Bundestag angekommen. Sie arbeitet an
       > tiefgreifenden Veränderungen der Bundesrepublik.
       
   IMG Bild: Die Entwertung von demokratischen Errungenschaften ist Teil der Hegemonie-Strategie der Rechten
       
       Anfang Juni durfte der neurechte Blog Sezession einen besonderen Termin
       vermelden: Erik Lehnert, Leiter des rechten Thinktanks Institut für
       Staatspolitik (IfS), zu dem auch die Sezession gehört, referierte in Berlin
       zu Ernst Jünger. Und zwar nicht irgendwo, sondern in Raum 261 des
       Bundestags. Der AfD-Abgeordnete Harald Weyel hatte Lehnert bereits als
       Mitarbeiter angestellt; der Termin zeigt erneut, wie kurz die Wege für die
       Neue Rechte geworden sind: Sie ist im Bundestag angekommen.
       
       Die enge Nähe zwischen der AfD-Fraktion und der Neuen Rechten lässt sich
       auch in ihren parlamentarischen Initiativen finden. Etwa in einem
       Gesetzentwurf, den die AfD im April einbrachte und der die Volksverhetzung
       gegen das „deutsche Volk“ unter Strafe stellen sollte: Der Topos der
       angeblichen Deutschenfeindlichkeit ist seit Jahren ein äußerst beliebtes
       Thema der neurechten Szene. Vor knapp zehn Jahren starteten Akteure um das
       Institut für Staatspolitik die Kampagne „Deutsche Opfer“.
       
       Unter der E-Mail-Adresse des IfS-Mitbegründers Götz Kubitschek konnten 2009
       „Fälle von Gewalt gegen Deutsche“ angegeben werden. 2011 legte Kubitschek
       gemeinsam mit Michael Paulwitz den Band „Deutsche Opfer, fremde Täter.
       Ausländergewalt in Deutschland“ vor.
       
       Paulwitz ist langjähriger Autor der Jungen Freiheit. Heute gehört er zum
       Pressestab der AfD-Bundestagsfraktion. Kein Einzelfall: Seit der
       vergangenen Bundestagswahl ist die Neue Rechte nicht mehr bloß
       außerparlamentarische Opposition, sondern sitzt mit im Bundestag. Allein zu
       neurechten Medien von der Jungen Freiheit bis zu Sezession lassen sich 41
       Verbindungen der AfD-Abgeordneten und ihrer Mitarbeiter finden. Zu
       neurechten Thinktanks wie dem IfS gibt es ebenfalls zahlreiche
       Verbindungen.
       
       ## Neue Rechte startete vor über 50 Jahren
       
       Ein prominenter Fall: Mit Erik Lehnert wählte einer der führenden Denker
       der Neuen Rechten den Weg in die Niederungen der Parteiarbeit. Als
       Geschäftsführer des IfS verantwortet er Tagungen und Akademien, heute
       arbeitet er außerdem für den AfD-Abgeordneten Harald Weyel. Dabei hatte das
       Institut mit Sitz in Schnellroda die AfD anfänglich durchaus skeptisch
       beobachtet. In dem 2015 in Kubitscheks Antaios-Verlag erschienenen
       Gesprächsband „Tristesse Droite – Die Abende von Schnellroda“ witzelt Götz
       Kubitschek über den großen Zuspruch für die AfD von einer „Ergriffenheit“,
       die sie „AfD-positiv“ genannt hätten.
       
       Und Lehnert sagt, es habe „fast was Religiöses“, wenn die Leute sagten:
       „Ja, ich bin jetzt der Partei beigetreten.“ In dem von Kubitschek und
       seiner Frau Ellen Kositza herausgegebenen Buch wird auch beklagt, dass eine
       „flächendeckende Parteidisziplin um sich gegriffen“ hätte, sodass jeder
       Hinweis, dass die AfD die „gleichen Typen hervorbringen“ und „in die
       gleichen Schwierigkeiten taumeln“ könnte wie andere Parteien, als „friendly
       fire auf die eigenen Reihen“ angegriffen werde.
       
       Über das Verhältnis zwischen AfD und der Neuen Rechten klagte Lehnert da
       noch: „Man ist ja sogar in eine Rechtfertigungsposition gekommen. Denn am
       Ende hieß es dann: Jaja, ihr macht schöne Theorien, aber jetzt können wir
       was bewegen, wo seid ihr eigentlich?“ Es scheint, als habe dieser Vorwurf
       nicht wenige der Neuen Rechten bewegt, sich der Parteiarbeit anzunehmen.
       Vielleicht lockte aber auch die gut dotierte Festanstellung.
       
       Die Spannung zwischen Meta- und Realpolitik ist der Neuen Rechten immanent.
       Ihre Anfänge lassen sich weiter zurückverfolgen, als es ihr Name
       suggerieren mag: Vor über 50 Jahren starteten die ersten neurechten
       Projekte und Publikationen. Nach dem knappen Scheitern der NPD bei der
       Bundestagswahl 1969 mit 4,3 Prozent brach damals insbesondere unter den
       Intellektuellen der weit rechten Szene eine Debatte los: Sollte man weiter
       den parlamentarischen Weg verfolgen? Nicht wenige sahen diese Strategie als
       gescheitert.
       
       ## Ideenklau von der Linken
       
       „Die alte Rechte ist tot“, schrieb Alain de Benoist später in
       „Kulturrevolution von rechts“ (1985). Sein Vorschlag: Die Rechte müsse
       versuchen, im „vorpolitischen Raum“ die gesellschaftliche Atmosphäre
       nachhaltig und stetig zu beeinflussen, um so langfristig die politischen
       Verhältnisse ins Wanken zu bringen.
       
       Ganz offen griff der französische Vordenker der „Nouvelle Droite“ auf das
       Hegemonie-Konzept des italienischen marxistischen Philosophen Antonio
       Gramsci zurück, wonach eine staatliche und gesellschaftliche
       Vormachtstellung nicht durch bloßen Zwang, sondern durch langfristige
       Kräfteverschiebungen und die Produktion zustimmungsfähiger Ideen zu
       erreichen ist.
       
       Mit diesem Ideenklau inspirierte de Benoist auch die Junge Freiheit und das
       IfS in Deutschland. Über die französische Neue Rechte entdeckten sie auch
       die fast vergessene „Konservative Revolution“ wieder, eine antiliberale,
       antidemokratische und antiemanzipatorische Bewegung der 1920er und 1930er
       Jahre. Dieser Herren-Club um Ernst Jünger, Edgar Julius Jung, Carl Schmitt
       und Arthur Möller van den Bruck ist bis heute ihr Referenzrahmen.
       
       Gern wird sich zudem auf den italienischen Faschismus bezogen. Der
       vermeintliche Clou: Durch den Bezug auf diese Vordenker wird eine Distanz
       zum Nationalsozialismus suggeriert. Unberechtigterweise: Der Historiker
       Volker Weiß hat unlängst in „Die Autoritäre Revolte“ die Nähe einzelner
       konservativer Revolutionäre zum Nationalsozialismus aufgezeigt und macht
       sie mit verantwortlich für die Delegitimation demokratischer Werte und
       humanistischer Vorstellungen.
       
       ## Angebliche Deutschendiskriminierung
       
       Die Umdeutung von politischen Begriffen und die Entwertung von
       demokratischen Errungenschaften ist auch Teil der Hegemonie-Strategie der
       Neuen Rechten. In dem Gesetzentwurf zur Volksverhetzung findet sich eben
       nicht bloß ein Thema der Neuen Rechten – die angebliche Diskriminierung von
       Deutschen – wieder. Er folgt auch der metapolitischen Strategie, den
       Volksverhetzungsparagrafen zu entwerten. Denn nichts anderes impliziert die
       Gleichsetzung der sprachlichen Anfeindung der Mehrheitsgesellschaft mit der
       Diskriminierung gesellschaftlicher Minderheiten.
       
       Die bisher größte Diskursverschiebung gelang der Neuen Rechten aber bisher
       bei einem anderen Thema: [1][der sogenannten Political Correctness]. Eine
       Verschiebung, deren Anfänge ebenfalls weiter zurückliegen, als es manche
       aktuellen Debatten vermuten ließen. 1995 veröffentlichte Klaus Rainer Röhl
       das Buch „Deutsches Phrasenlexikon. Politisch korrekt von A bis Z“. Mit dem
       Werk wollte der ehemalige Verleger der linken Zeitschrift Konkret und
       frühere Ehemann der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof vermeintlich humorvoll
       die „wichtigsten Worte und Redewendungen des politisch korrekten Jargons“
       vorführen und diskreditieren.
       
       Nach der Wiedervereinigung, schreibt Röhl, hätten die „guten Menschen von
       links“ begonnen, eine politische Korrektheit in Deutschland zu etablieren,
       da sie die Wiedervereinigung als „narzisstische Kränkung“ erlebt hätten.
       Ein „neuer innenpolitischer Gegner wurde gesucht – und gefunden“, nämlich,
       so führt er aus: „Was man längst vergessen geglaubt hatte: den Terror von
       rechts, die Neonazis, die Brandstifter und (…) die neuen Rechten“.
       
       Statt „Schlag-Stock ein Schlag-Wort: Political Correctness“. Beflissen
       ignoriert Röhl, da schon selbst in die Neue Rechte involviert, die
       Brandanschläge in Mölln 1992 und Solingen 1993, durch die alleine acht
       Menschen ermordet wurden.
       
       ## Einfluss auf junge Abgeordnete
       
       [2][Insbesondere die Junge Freiheit] lamentierte in den Folgejahren immer
       wieder über vermeintliche Political Correctness oder kurz PC. Appelle und
       Kampagnen der Neuen Rechten zu diesem Thema folgten und zeigten Wirkung:
       Die Vorstellung, eine linke Meinungselite behindere und verbiete offene
       Debatten, findet nicht erst seit der Gründung der AfD 2013 Anklang. 2014
       gelang Thilo Sarrazin mit dem Buch „Der neue Tugendterror – Über die
       Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland“ ein Spiegel-Besteller.
       
       Und dreiundzwanzig Jahre nach Röhls Publikation wird heute in den
       Feuilletons weit jenseits neurechter Medien über ein „bedenkliches Klima
       der PC“ geklagt und behauptet, dass „die Gutmenschen mit ihrer Political
       Correctness“ erst die Grundlage für die AfD geschaffen hätten.
       
       Diejenigen, die vor den rassistischen, antiliberalen und antidemokratischen
       Konnotationen warnen, erscheinen nun als autoritär und undemokratisch.
       Diese Umkehrung aus der gesellschaftlichen Mitte feiert die Neue Rechte.
       
       [3][Die Mitarbeiter mit neurechter Vita oder Kontakten sind aber nicht nur
       bei Bundestagsabgeordneten tätig], die sich selbst auch weit rechts
       positionieren. Ihre Anstellung legt eine Nähe der Abgeordneten zu ihren
       Positionen jedoch nahe. Der direkte Einfluss auf noch unerfahrene
       Abgeordnete der AfD könnte steigen. Sie wären nicht die ersten Politiker,
       die durch ihre Mitarbeiter im Hintergrund an Profil gewinnen.
       
       27 Jun 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Speit
       
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