# taz.de -- Geflüchtete auf dem Schiff „Aquarius“: Italien lässt Erschöpfte nicht an Land
> Obwohl Spanien die Geflüchteten auf der „Aquarius“ übernimmt, dürfen sie
> in Italien nicht an Land. Ärzte warnen vor der Weiterreise.
IMG Bild: Müssen wohl noch einige Tage auf Schiffen verbringen: die Geretteten auf der „Aquarius“
Rom/Valencia taz/dpa | Lösung oder Scheinlösung? Diese Frage stellt sich,
nachdem Spaniens Regierung dem Rettungsschiff „Aquarius“ mit 629
Flüchtlingen an Bord Valencia als „sicheren Hafen“ angeboten hat. Das
Angebot erfolgte, weil zuvor Italiens Innenminister Matteo Salvini dem
Schiff die Einfahrt in einen italienischen Hafen verweigert hatte.
Am Dienstag lag das von den Rettungsorganisationen SOS Méditerranée und
Ärzte ohne Grenzen eingesetzte Schiff weiter etwa 35 Seemeilen vor Malta,
das seinerseits eine Aufnahme der Menschen ablehnt. Die 629 Personen, die
von Libyen aus mit Schlauchbooten aufgebrochen waren, hatte das Schiff am
Wochenende an Bord genommen; nur gut 200 von ihnen allerdings waren von den
NGOs direkt gerettet worden, die anderen dagegen hatten sich zunächst auf
Schiffen der italienischen Küstenwache befunden und waren erst anschließend
von der „Aquarius“ übernommen worden.
Nachdem der italienische Staat sich auf diese Weise bemüht hatte, das
Rettungsschiff mit Flüchtlingen, die sich schon in seiner Hand befunden
hatten, zu überfüllen, kam dann Salvinis Stopp mit dem Argument, Italien
sei nicht zuständig.
Den scheinbaren Ausweg machte dann Spaniens neuer Premier, der Sozialist
Pedro Sanchez, frei, der am Montag die Aufnahmebereitschaft seines Landes
erklärte. Gar nicht glücklich mit dieser Lösung ist allerdings Ärzte ohne
Grenzen. In einer Pressemitteilung legt die NGO ihre Sicht dar: „Wir haben
629 Menschen an Bord, unter ihnen 11 kleine Kinder, 123 unbegleitete
Minderjährige und mehr als 80 Frauen, darunter sieben Schwangere. Das
Schiff ist überfüllt, unsere Kapazitätsgrenze ist überschritten. Wir haben
sehr verletzliche Menschen an Bord, die meisten von ihnen sind erschöpft.
Sie sind jetzt schon seit mehr als 48 Stunden auf dem Meer.“
Vor diesem Hintergrund sei die weiterhin die einzig vernünftige Lösung,
dass die „Aquarius“ einen italienischen Hafen oder Malta ansteuere, denn
„wir sind kein Passagierschiff“. Die Fahrt nach Valencia würde weitere vier
Tage in Anspruch nehmen – für sie aber wären Italiens Behörden bereit, sich
nach Kräften ins Zeug zu legen. Der italienische Plan nämlich sieht vor,
dass etwa zwei Drittel der Passagiere von zwei Schiffen der Marine und der
Küstenwache übernommen werden, woraufhin diese im Konvoi mit der „Aquarius“
Spanien ansteuern sollen.
## Mittelmeerüberfahrt als Lotterie
Diese Lösung würde nicht nur die Geretteten weiteren physischen Belastungen
aussetzen; zugleich wäre das NGO-Schiff für mehr als eine Woche an weiteren
Rettungseinsätzen in der Straße von Sizilien gehindert. Es überrascht
nicht, dass Italiens Küstenwache auch bei der NGO deutschen Sea Watch
anfragte, ob sie bereit sei, an dem Transport der Flüchtlinge Richtung
Valencia mitzuwirken. Ebenso wenig überrascht, dass Sea Watch umgehend
ablehnte.
Sea Watch sei durchaus bereit, „dieses Spiel auf dem Rücken der Geretteten
zu beenden“ – nicht aber dazu, „ihr Leben mit einer Fahrt von 1400
Kilometern zu gefährden“. Innenminister Salvini erklärte seinerseits, für
Sea Watch sei in Zukunft „die gleiche Behandlung wie für die Aquarius“
vorgesehen.
In die Debatte schaltete sich am Dienstag der Chef des korsischen
Exekutivrats, Gilles Simeoni, ein und schlug die Aufnahme des
Rettungsschiffs „Aquarius“ in einem Hafen der französischen Mittelmeerinsel
vor. Für dieses Mal dürfte dies nicht in Frage kommen, da Valencia
bestätigter Anfahrtshafen ist.
Derweil steuert ein Schiff mit 937 Flüchtlingen an Bord ungestört den
sizilianischen Hafen Catania an. Der Unterschied zur „Aquarius“: Bei dem
Schiff handelt es sich um die zur italienischen Küstenwache gehörende
Diciotti, die die Geretteten von anderen Handelsschiffen und Einheiten der
Marine übernommen hatte. Ihre Ankunft wird für Mittwochmorgen erwartet.
Damit wird die Reise übers Mittelmeer für die Flüchtlinge zur Lotterie:
Befinden sie sich an Bord eines NGO-Schiffs, müssen sie mit der Abweisung
durch Italien rechnen, wurden sie dagegen von Einheiten der Küstenwache
aufgenommen, haben sie noch eine Chance, in einen italienischen Hafen zu
gelangen.
12 Jun 2018
## AUTOREN
DIR Michael Braun
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