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       # taz.de -- Literaturkonferenz in Berlin: Strategien gegen Nazis gesucht
       
       > Die Literaturkonferenz „Ängst is now a Weltanschauung“ beschäftigte sich
       > mit der „Erosion des Demokratischen“. Was kann man gegen die Rechten tun?
       
   IMG Bild: Kein Durchgang für Nazis: Auf der Straße kann man Rechten entgegentreten
       
       Im Berliner Ballhaus Ost steht eine Stuhlreihe aus 13 einzelnen Stühlen,
       dahinter ist eine Sitztribüne ohne Sitzgelegenheiten, von den
       Ballsaalwänden blättert der Putz, der Boden ist zerkratzt, und der Blick
       aus dem Fenster zeigt einen Friedhof in Prenzlauer Berg. Ein guter Ort, um
       über den Zustand der Demokratie zu sprechen.
       
       Das dichtende Kollektiv Nazis und Goldmund hat zur Tagung „Ängst is now a
       Weltanschauung“ geladen. Ihr Untertitel: „Eine Literaturkonferenz zur
       Erosion des Demokratischen“, und „Erosion“ ist ein angemessener Begriff,
       weil er beschreibt, was passiert: Die Abtragung stabil geglaubter, aber
       eigentlich verwitterter Strukturen; das langsame Verlieren des Bodens unter
       den Füßen. Ein schleichender Prozess, scheinbar unaufhaltsam.
       
       Die Konferenz ist nun ein Versuch, das scheinbar Unaufhaltsame aufzuhalten,
       oder zumindest die Suche nach Strategien, die das Unaufhaltsame aufhalten
       könnten. Was hat die Kunst dem Vormarsch der Rechten entgegenzusetzen?
       
       Thomas Arzt, österreichischer Dramatiker und ein Kopf des „poetologischen
       Monstrums“ Nazis und Goldmund, plädiert für das Zeigen von Zwischenräumen,
       für das Abbilden von Vielstimmigkeiten und für das Erzählen von
       Komplexität. Ist das Insistieren auf Komplexität aber nicht gerade das
       Problem? „Ich bin der Meinung, dass sich Komplexität und Popularität nicht
       widersprechen“, antwortet Arzt. „Man muss nicht die einfache Lösung bieten.
       Weil die die einfache Lösung bieten.“
       
       Die Dramatikerin Gerhild Steinbuch, ein weiterer Kopf des Monstrums, wirft
       ein, dass Komplexität ja nicht verkopft sein müsse. Es ginge darum, eine
       vielfältige Welt abzubilden, in der es nicht nur Schwarz und Weiß gibt, und
       nicht nur Männer und Frauen. Dieses Abbilden könne aber auch humorvoll sein
       und spielerisch.
       
       ## Spielerischer Ansatz
       
       Wie dieser spielerische Ansatz aussehen kann, zeigt der „Moderator, Host,
       Video-Macher, Aktivist und Feminist“ Tarik Tesfu in seinem Vortrag. Der
       selbsternannte „Gender Love Messias“ Tesfu präsentiert eine kleine Auswahl
       seiner temporeichen YouTube-Filme und erzählt von rechten Hass-Kampagnen in
       sozialen Medien. Dafür benutzt er Wörter wie „futschikato“ und „chilli
       vanilli“, seine Power-Point-Präsentation besteht vollständig aus Memes und
       „I Bims“-Blödeleien: Tesfu spricht die Sprache der Schulhöfe.
       
       Darum muss es wohl gehen. Denn Polit-Aktionismus für, sagen wir, schlecht
       gefüllte Theatersäle ist in erster Linie nur gut für das Gewissen und das
       Ego. Am Samstagnachmittag, dem dritten Tag der Tagung, sollen die
       Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse vorstellen. Die Präsentationen werden aber
       kurzerhand abgesagt, es wird lieber weiterdiskutiert. Auch das
       Abschlussplenum am folgenden Tag ist eine Weiterführung dieser
       Diskussionen, und in Teilen wohl auch eine Wiederholung. Im großen
       Stuhlkreis fallen wieder Begriffe wie Vielfalt und Vielstimmigkeit.
       
       Man müsse, heißt es, rechte Rhetorik dekonstruieren, deren Argumente
       enthebeln, Kontexte aufzeigen, Lügen entlarven, Begriffe zurückerobern, vom
       eigenen Schreibtisch aus wie in künstlerischen Allianzen. Ist das
       überzeugend? Ob es einem gefällt oder nicht (und es gefällt einem nicht):
       Es hat eine Diskursverschiebung in postfaktisches Terrain stattgefunden.
       
       Factchecking als argumentative Waffe heißt, mit einem Bleistift in einen
       Schwertkampf zu ziehen. Eine Schriftstellerin fragt sich: „Was kann ich,
       wenn ich am Schreibtisch sitze, ändern?“ Der hilflose Reporter ahnt in
       Gedanken: Ja, rein gar nichts. Vielversprechender ist da eine Wortmeldung
       von Jörg Albrecht, einem weiteren Kopf des Monstrums. Er will „lustvoll
       neue Sachen machen“, mit Esprit eigene Themen setzen, neue Räume öffnen und
       sich somit nicht auf eine Unterhaltung einlassen, die von anderen begonnen
       wurde und bestimmt wird.
       
       Die Tagung endet mit einer Art Zusammenschluss. Was man, einmal
       zusammengeschlossen, genau machen will, wird vertagt. Die Namensgebung
       hingegen ist in vollem Gange. Am Nachmittag wird ein Text veröffentlicht.
       Vielleicht, denkt man, ist es ja eine Aufgabe der Dichtenden, die
       Dringlichkeit in klare Worte zu fassen.Sie schreiben: „Keine Zukunft ohne
       Europa, ohne Europa keine Zukunft.“
       
       18 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Jekal
       
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