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       # taz.de -- Hassmails an Kinderbuchautor: Nur noch kurz die Welt retten
       
       > Ahmet Özdemir will die Integration in Deutschland weiterbringen. Dafür
       > hat er ein Kinderbuch geschrieben – jetzt wird er von rechts angefeindet.
       
   IMG Bild: Kinderbuchautor Ahmet Özdemir in seinem Garten in Kerpen
       
       Kerpen taz | Da vorne, jetzt sieht man es“, sagt Ahmet Özdemir und deutet
       mit der rechten Hand Richtung Windschutzscheibe, während die linke das
       Lenkrad seines schwarzen VW Polo hält. Hinter dem Glas wird sie sichtbar,
       die Michael Schumacher Kartbahn, ein großer weiß-gräulicher Gebäudekasten
       mitten in einem Industriegebiet, versehen mit den roten, geschwungenen
       Buchstaben „MS“.
       
       Özdemirs Eltern kamen vor gut 40 Jahren aus der Türkei nach Deutschland. Er
       selbst ist in Aachen geboren, lebt seit 16 Jahren in Kerpen, dreißig
       Kilometer südwestlich von Köln, und ist offensichtlich stolz auf seine
       Wahlheimat – um die Kartbahn zu zeigen, hat er extra einen Schlenker auf
       dem Weg nach Hause eingelegt.
       
       Zuhause, das ist ein Haus in einer Neubausiedlung Kerpens, in dem der
       42-Jährige mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern lebt. Özdemir betreut
       als Marketingmanager Projekte mit großen Firmen. Neben dem 40-Stunden-Job
       unterrichtet er internationales Marketing an drei privaten Hochschulen,
       engagiert sich in der örtlichen CDU und ist im Vorstand des Alevitischen
       Vereins. So weit, so glatt. Aber Özdemir schreibt auch Bücher. Wegen dem
       neuesten, einem Kinderbuch, das im letzten Jahr bei Shaker Media erschienen
       ist, wird er seit Monaten angegangen und beleidigt.
       
       „Unser Rasen muss mal gemäht werden, aber ich hab’ die Zeit dazu nicht“,
       sagt er, nachdem er den Polo vor seinem Haus abgestellt und durch Flur und
       Wohnzimmer in seinen Garten geführt hat. Der Garten – Kamin, Holzbank,
       Plastikrutsche, Hüpfburg und Kinderwippe – unterscheidet sich nicht von den
       links und rechts angrenzenden. Auch wenn Özdemirs Leben oft davon geprägt
       ist, dass andere ihn nach wie vor als einen Fremden, als den anderen
       einkategorisieren.
       
       Özdemir trägt Jeans und ein hellblaues Poloshirt, die Haare sind
       zurückgegelt. Auf dem Terrassentisch liegt besagtes Kinderbuch. Es ist
       ungefähr DIN A 4 groß, vom knallig orangen Cover blicken einem zwei Jungs
       entgegen. Der linke mit schwarzem Haar, dunkler Haut und Brille, der rechte
       deutlich blasser und blond. Sie stehen mit dem Rücken zueinander, Kopf und
       Schultern berühren sich, als würden sie ein „A“ bilden. Darüber schwebt der
       Titel: „Ali und Anton: Wir sind doch alle gleich!“ Über den Buchstaben lugt
       ein Schwarzes Mädchen hervor.
       
       ## „Gelbe Haare und hässliche Sommersprossen“
       
       Lesen können muss man nicht, um die Geschichte zu verstehen. Auf jeder der
       14 Doppelseiten zeigt eine Illustration rechts neben dem Text, was darin
       passiert. Und zwar das: Es ist Alis und Antons erster Tag im Kindergarten.
       Sie fangen ob ihres unterschiedlichen Aussehens einen Streit an: „‚Du hast
       schwarze Haare und eine andere Haut. Und du hast eine andere Gesichtsfarbe
       und eine dicke Brille‘, sagt Anton zu Ali. ‚Und warum hast du gelbe Haare
       und hässliche Sommersprossen dazu?‘ gibt Ali zurück. ‚Ich dachte, du bist
       ein Engel! Dabei siehst du nur aus wie ein blöder Käse!‘“
       
       Die Kinder beleidigen sich so lange, bis das Mädchen Rudy mit der dunklen
       Haut kommt und versucht, die beiden zu versöhnen. Erst beleidigen die
       beiden Jungs auch sie. Rudy geht weg und spielt mit Puppen, die
       unterschiedliche Hautfarben haben und sich gut verstehen. Dann passiert
       etwas Wunderbares: „Ali beginnt zu grübeln. Kann es wirklich so einfach
       sein, miteinander zu spielen, obwohl alle unterschiedlich aussehen? Auch
       Anton merkt erstaunt, dass es ihm gefällt, wie viel Spaß die Puppen
       zusammen haben.“
       
       Es folgt das Happy-End. Die drei Kinder spielen den ganzen Tag. „Und als
       sie am Nachmittag abgeholt werden, haben Ali und Anton ihren Streit schon
       ganz vergessen.“
       
       Ein simpler Plot für eine simple Botschaft: Alle Menschen mögen
       unterschiedlich aussehen, doch eigentlich sind alle gleich, also gibt es
       keinen Grund zu streiten. „Kinder werden nicht rassistisch geboren. Das
       machen die Eltern“, sagt Özdemir zu der Idee des Buches. „Ich denke, je
       früher ich die Kinder für das Thema Rassismus sensibilisiere, desto
       einprägsamer ist es.“
       
       Er spricht ruhig und überlegt. In letzter Zeit, das merkt man, musste er
       seine Ideen öfter erklären. Integration, so sagt der Autor, sei sein
       Herzensprojekt. Immerhin habe er die Folgen einer schlecht funktionierenden
       Integration sein ganzes Leben spüren müssen.
       
       ## Der Ausländerhass der Neunziger
       
       Seine Eltern kamen 1963 nach Deutschland, sein Vater arbeitete im Bergbau.
       Als Kind in der Schule schämte er sich, zu sprechen. Sein Deutsch war
       deutlich schlechter als das seiner Mitschüler*innen. Er wurde beleidigt mit
       Sprüchen wie „War ja mal wieder klar, dass der kleine Türke sich den Teller
       so voll macht.“ Erlebte den Ausländerhass der Neunziger, den Brandanschlag
       von Solingen und die Mordreihe der NSU. All diese Erfahrungen hat er schon
       in einem ersten Buch, „Irritiert statt integriert“, niedergeschrieben.
       Erfahrungen, von denen er sich wünscht, dass seine beiden Töchter und alle
       anderen in den folgenden Generationen sie niemals machen müssen.
       
       Doch nun, mit dem Einzug der AfD in den Bundestag, erlebt er ein weiteres
       Mal, wie das Klima sich ändert. Wie Politiker Menschen in Anatolien
       „entsorgen“ wollen. Und als wäre das nicht genug, musste er feststellen,
       dass seine eigene Tochter, die er vor ausländerfeindlichem Hass schützen
       will, nicht neben Schwarzen Mitschüler*innen sitzen wollte.
       
       Özdemir war darüber erschrocken, verstand nicht, wie es dazu kommen konnte.
       „Meine Frau und ich haben dann sehr viel mit ihr geredet. Sie gefragt,
       warum sie nicht neben ihnen sitzen will“, erzählt er. „Sie sagte, dass sie
       mitbekommen hat, dass sie von anderen in ihrer Klasse ausgegrenzt werden“,
       erklärt Özdemir. „Also hat sie sie auch gemieden.“ Mittlerweile sei das
       aber nicht mehr so. Die Tochter spiele mit den Schwarzen Kindern der
       Nachbarschaft. Rassistische Ressentiments, das zeigt sich hier, können bei
       jedem schnell entstehen. Sie können aber auch wieder abgebaut werden, wenn
       vermittelt wird. Der Entschluss, ein Kinderbuch zu schreiben, war gefasst.
       
       Ein fröhliches Pfeifen erklingt aus Özdemirs Handy. „Das sind Ali und
       Anton, zwei Freunde fürs Leben, so viel gemeinsam, viel mehr, als sie
       trennt“, singt eine Stimme zu eingängiger Melodie. Ahmet Özdemir spielt
       stolz den Titelsong ab, den ein Songschreiber aus Aachen zu dem Buch
       komponiert hat, nachdem er in der Zeitung davon las.
       
       ## Erst eine Marktanalyse
       
       „Der Bedarf für ein solches Kinderbuch war da“, sagt der 42-Jährige. „Ich
       habe eine Marktanalyse gemacht und gemerkt, dass es noch keines mit einer
       solchen Geschichte gibt. Nur einige mit Tieren, aber keines mit dieser
       Botschaft.“ Das sagt er öfter: Marktanalyse. Für Özdemir ist die scheinbar
       nicht nur Strategie seines Jobs, sondern für alle Lebensbereiche. Offenbar
       lag er mit der Analyse richtig: Kindergärten und Grundschulen luden ihn zu
       Lesungen ein. Das Buch ist außerdem für den Multi-Kulti-Preis 2018
       nominiert.
       
       „Integration muss von beiden Seiten aus stattfinden“, sagt der
       Familienvater. „Es ist ein Geben und Nehmen und das Verstehen, warum der
       jeweils andere so handelt.“ Dass ein Migrant die Sprache lernt, zum
       Beispiel. Und ein Deutscher akzeptiert, wenn ein Muslim ablehnt, eine Hand
       zu schütteln.
       
       Um politisch das benötigte Verständnis vorantreiben zu können, engagiert
       Ahmet Özdemir sich im Arbeitskreis Integration der örtlichen CDU. Gerade
       hat er dem Bürgermeister ein Konzept vorgelegt. Eine Kernidee darin ist,
       dass in Kindergärten und Grundschulen das Thema Integration stärker
       aufgegriffen wird: Kinder sollen spielerisch etwas über die
       unterschiedlichen Religionen und Kulturen lernen, zum Beispiel in einem
       gemeinsamen Religions- oder Kulturkundeunterricht.
       
       ## Die CDU hatte den größten Bedarf
       
       Warum er sich 2015 ausgerechnet für die CDU entschieden hat? Er mochte
       Merkels menschliche Geste mit dem berühmten „Wir schaffen das“. Und,
       natürlich: Er hat eine Marktanalyse gemacht. Und herausgefunden, dass es
       bei der CDU den meisten Bedarf gibt, da die anderen Parteien das Thema
       schon bearbeiten.
       
       Doch all dieses Engagement wird meist übersehen – oder nicht gern gesehen.
       Nachdem „Ali und Anton“ im Herbst letzten Jahres in die Buchläden einzog
       und verschiedene Zeitungen darüber berichteten, bekam Özdemir viele
       Nachrichten und Beleidigungen über Twitter, per Mail oder in
       Amazon-Bewertungen, geprägt von fremdenfeindlichen Vorurteilen und Hass.
       Die ihm unterstellten, im Auftrag Erdoğans Propaganda zu machen. Oder ihm
       eine Fortsetzung des Buches vorschlugen: Anton hilft Ali, seine Koffer zu
       packen. Oder fragten, was man in dem Buch denn lerne – vielleicht zu
       köpfen?
       
       Wenn Özdemir von diesen Kommentaren erzählt, sitzt er aufrechter, der Blick
       ist bestimmter. Mehrere hundert Nachrichten sind es mittlerweile, die
       schlimmsten hat Özdemir zur Anzeige gebracht, wegen Beleidigung und
       Volksverhetzung. „Ich darf nicht zu viel mitbekommen, sonst kann ich nicht
       schlafen. So sehr empfinde ich das als belastend“, sagt Özdemirs Frau dazu,
       die ihren Vornamen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte.
       
       ## In die Opferrolle gedrängt
       
       Doch für sie seien die Hasskommentare gar nicht das Schlimmste. „Ganz übel
       finde ich eigentlich, dass das Ganze nur über diese Schiene Publicity
       bekommen hat. Dass Ahmet von Medien in diese Opferrolle gedrängt wird und
       die Rechten so den Diskurs bestimmen.“
       
       Ahmet Özdemir nickt. Ob ihm die Publicity nicht auch gelegen komme? Kurz
       und ruckartig schüttelt er den Kopf. „Viele haben gesagt, sei doch froh,
       dafür hast du einen Marketingeffekt. Was für ein Marketingeffekt? Die Leute
       haben das Buch dann nur noch schlecht in Erinnerung.“
       
       Trotz alledem ist eine Fortsetzung von „Ali und Anton“ geplant. Und 2020
       will sich Özdemir für die Wahl zum Stadtrat aufstellen lassen. Vorher
       beendet er aber erst mal sein zweites Kinderbuch mit dem Thema Inklusion.
       Woher er die Energie für all die Projekte nimmt? „Man hat mich einmal
       gefragt: Ahmet, willst du mit deinem Buch die Welt retten? Da habe ich
       gesagt: Ja.“
       
       28 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Maike Brülls
       
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