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       # taz.de -- Kommentar zu Merkel und Seehofer: Er wird es wieder tun
       
       > Trennung oder weitermachen? Vor dieser Frage sehen sich CDU und CSU. Klar
       > ist: Hinter das, was Seehofer Merkel angetan hat, führt kein Weg zurück.
       
   IMG Bild: Dringt man zu diesem Mann noch durch?
       
       Sie sind ein altes Paar in der Union. Seit vielen Jahren sind die beiden
       Vorsitzenden Merkel und Seehofer beisammen, haben gemeinsam was aufgebaut,
       manche Schlacht geschlagen. Manchmal war es langweilig, manchmal
       schrecklich, dann wieder fast zärtlich. Ab und an hat jeder der beiden auch
       mal gedacht: Etwas Besseres finde ich allemal. Aber dann kam ein neuer Tag,
       ein neues Thema – und weiter ging’s. Sie blieb sachlich und fleißig, er
       grantig und beharrlich. So kamen sie voran.
       
       Irgendwann hat sich jedoch etwas verändert. Schritt für Schritt. Wort für
       Wort. Lüge um Lüge. Die pragmatische Ehrlichkeit wich einem [1][dumpfen
       Misstrauen], die Zärtlichkeit einer nicht gekannten Grausamkeit.
       Schließlich musste Seehofer zu Hause in Bayern Macht abgeben. Söder, sein
       Nachfolger im Ministerpräsidentenamt, [2][drückt ihn] seither Richtung
       Ausgang. Seehofer, panisch, wurde brutal. Das Zusammensein wurde für beide,
       Merkel und Seehofer, zur bitteren Last. Die große, stampfende
       Unionsmaschinerie knirschte und pfiff.
       
       Und nun, da das Vertrauen futsch ist, stellt sich die alte Paarfrage: Gehen
       oder bleiben? Trennung oder weitermachen?
       
       An diesem Wochenende müssen CDU und CSU darauf eine Antwort finden. Viel
       spricht nach Merkels Ergebnis beim EU-Gipfel dafür, dass es schon irgendwie
       weitergehen wird. Macht ist ein unglaublich starker Klebstoff. Aber was
       käme danach? Wie weit geht die Unionsschwester CSU, wie weit geht Seehofer
       beim nächsten Konflikt? Die Erfahrung sagt: Er wird es wieder tun. Aus dem
       Fight mit Merkel hat er ja gelernt, dass Brutalität zum gewünschten
       Ergebnis führen kann. Dass diese Frau zwar zäh ist, aber nicht
       unverwundbar.
       
       ## Selten war Politik so hässlich anzuschauen
       
       Der Diskursraum, in dem sich die beiden Vorsitzenden der einst so stolzen
       Volksparteien balgen, ist mittlerweile extrem aufgeheizt. Noch selten war
       Politik so hässlich anzuschauen. Angewidert wendet sich das Publikum ab:
       Das sind also die PolitikerInnen, denen wir vor nicht mal einem Jahr unsere
       Stimme anvertraut haben. Das sind die, die im Augenblick der Krise Europa
       ihrem Ego opfern.
       
       Vor allem die CSU eskaliert. Zerlegt das Mobiliar, stellt Ultimaten. Und
       die CDU? Kann sich einfach nicht überwinden, sich auf das CSU-Niveau
       hinabzubegeben. Verdammte Angst! Wer schreit, hat unrecht, heißt es doch.
       Merkels eigene Leute haben die heraufziehende Krise sträflich lange
       ignoriert. Als die CSU im Bundestag Merkel frontal angriff, war da nur
       matter Widerstand. Fraktionschef Volker Kauder und seine Leute haben lieber
       nicht so genau hingeschaut: Längst haben reihenweise Abgeordnete das Team
       Merkel verlassen und warten im Schutz ihres Mandats auf die Scheidung.
       
       Doch ebendiese Trennung wird hinausgezögert. Wie ein Paar, das wegen der
       Kinder und wegen der ganzen, für beide unangenehmen Folgen lieber
       zusammenbleibt, verharren Merkel und Seehofer in ihrer Umklammerung. Er
       eskaliert, sie vollstreckt. Und über das Ergebnis – ein abgeschottetes
       Europa – sollen die WählerInnen dann bitte schön auch noch froh sein.
       Menschen werden zu Zahlen, zu Verwaltungseinheiten, die die CDU-Chefin
       hinter Deutschlands, ja selbst hinter Europas Grenzen wegverhandeln kann.
       Mit politischer Zaubertinte werden die Opfer der Globalisierung unsichtbar
       gemacht. Aber reicht das der CSU? Der Unterbietungswettbewerb wird
       weitergehen.
       
       Sie sind ein altes Paar in der Union. Aber ihre Zeit läuft ab. Noch ist es
       wohl nicht so weit. Noch hat Merkel die Industrie hinter sich, die
       Parteizentrale, die Fraktionsführung, wichtige europäische Partner. Noch
       kann sie, wenn auch knappe, Mehrheiten organisieren. Aber ihre Gegner
       werden mehr. Was Seehofer ihr angetan hat – einschüchtern, demütigen,
       intrigieren –, hat Angela Merkels Abwehrkräfte noch einmal aktiviert.
       Unbegrenzt wiederholbar ist das nicht. Ihr Partner, die CSU, ist zum
       erbitterten Gegner geworden. Hinter diese folgenschwere Erkenntnis führt
       kein Weg mehr zurück.
       
       29 Jun 2018
       
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