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       # taz.de -- Fünf Jahre Warten
       
       > Noch immer zeichnet sich für die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ keine
       > Perspektive ab. Die meisten sind nur geduldet, einige leben auf der
       > Straße, andere sind untergetaucht. Die Politik sitzt das Problem einfach
       > aus. An diesem Samstag ruft die Gruppe zu einer Kundgebung auf 43–45
       
   IMG Bild: Ali Ahmed, 48, kommt aus dem Sudan, hat in Libyen gelebt und ist über die Mittelmeer-Insel Lampedusa nach Europa geflohen. 2013 kam er nach Hamburg, wo er seitdem lebt
       
       Protokolle Annika LasarzikFotos Miguel Ferraz
       
       Seit fünf Jahren kämpfen wir für ein Bleiberecht, das die ganze Gruppe
       einschließt. Wie oft haben wir demonstriert, mit Politikern diskutiert,
       Journalisten unsere Geschichten erzählt … und heute? Ich bin enttäuscht!
       
       Enttäuscht von den Menschen, die uns nur benutzt haben, die sich in
       Wahlkampfzeiten mit uns in den Medien gezeigt haben, uns dann aber doch
       fallen ließen. Im rot-grünen Koalitionsvertrag taucht die Lampedusa-Gruppe
       überhaupt nicht auf, dabei hatten die Grünen mal versprochen, sich für uns
       einzusetzen. Ich bin wütend auf Olaf Scholz, der uns immer nur ignoriert
       hat und Hamburg nun für seine politische Karriere verlassen hat.
       
       Die Jahre gehen hier nicht einfach so an uns vorbei, die
       Perspektivlosigkeit macht die Männer mürbe, das merkt man. Viele haben
       Angst vor der Zukunft, verlieren die Hoffnung. Ich nicht. Ich kämpfe
       weiter. Ich lehne es weiter ab, mich bei den Behörden zu melden, mich auf
       eine „Einzelfalllösung“ einzulassen, denn die halte ich für eine Falle: Sie
       würden mich ja ohnehin nach Italien zurückschicken.
       
       Zwar gibt es einige Leute aus unserer Gruppe, die das Angebot des Senats
       angenommen haben, die mittlerweile sogar arbeiten, feste Wohnungen haben.
       Und ich verurteile sie nicht dafür. Doch wenn wir alle uns darauf
       eingelassen hätten, wenn wir nach und nach die Duldungen und später
       womöglich Abschiebungen akzeptiert hätten, wäre unser politischer Kampf
       schon längst verloren. Und die Kritik an der Dublin-III-Regelung, nach der
       sie uns zurückschicken können, wäre untergegangen.
       
       Inzwischen sind wir in der Öffentlichkeit zwar nicht mehr so präsent wie
       vor vier oder fünf Jahren, aber wir können auf ein großes Netzwerk aus
       Unterstützern zählen. Ein wichtiges Moment war dabei die Internationale
       Flüchtlingskonferenz auf Kampnagel 2016: Zu erleben, wie viele Menschen das
       Migrationsregime der EU kritisieren, hat uns neuen Antrieb gegeben. Und zu
       wissen, dass wir einen Eindruck hinterlassen haben in der Stadt und darüber
       hinaus, macht mich stolz.
       
       Bitter war es allerdings, zu spüren, wie sich die Stimmung in der Stadt ab
       Herbst 2015 verändert hat: Plötzlich wurde unterschieden zwischen „guten“
       und „schlechten“ Flüchtlingen. Während den neu ankommenden Menschen große
       Hilfsbereitschaft entgegengebracht wurde, wurden wir vergessen oder sogar
       verstärkt kritisiert.
       
       Dabei bin ich selbst politischer Flüchtling, in meinem Heimatland, dem
       Sudan, war ich in der Kommunistischen Partei. Libyen, wo ich ein paar Jahre
       lang als Koch gearbeitet habe, ist heute ein gefährliches Land. Und
       Italien? Dort ist das Leben für Geflüchtete noch härter als hier, das weiß
       ich von Freunden und Bekannten, die inzwischen wieder dort leben.
       
       Doch natürlich habe ich noch Hoffnung, Pläne. Ich wünsche mir, dass der
       Platz am Steindamm, auf dem unser Infozelt steht, in „Lampedusa-Platz“
       umbenannt wird, damit unser Kampf immer im Stadtbild sichtbar bleibt. Ich
       könnte mir vorstellen, eine Art Lampedusa-Café zu eröffnen, einen
       Begegnungsort für Geflüchtete und Hamburger, in dem wir afrikanisch kochen,
       musizieren, unsere Kultur zeigen können.
       
       Ein solcher Austausch wäre auch wichtig, um Vorbehalte abzubauen. Viele von
       uns erleben täglich Rassismus auf der Straße: Je dunkler die Hautfarbe,
       desto öfter wird man von Passanten beschimpft oder von Polizisten
       kontrolliert.
       
       Kundgebung: Sa, 30. 6., 14 Uhr, Lampedusa-Zelt am Steindamm, mit
       anschließender Menschenkette zum Hamburger Rathaus
       
       30 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Annika Lasarzik
       
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