# taz.de -- Erneut globaler Flüchtlingsrekord: 68,5 Millionen im Jahr 2017
> Die dramatische Entwicklung setzt sich fort: Jeder 110te Mensch auf der
> Erde ist weltweit auf der Flucht. 85 Prozent der Flüchtlinge leben in
> armen Ländern.
IMG Bild: Teil des traurigen Rekords: Oktober 2017 waren fast eine Million Rohingya nach Bangladesch geflohen
BERLIN taz | Jedes Jahr, immer zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni,
veröffentlichen die UN die neuen Flüchtlingszahlen. In sechs der letzten
sieben Jahre gab es dabei neue Rekorde. Die globalen Flüchtlingszahlen
seien ein „Fieberthermometer des Weltgeschehens“ sagte der
UNHCR-Deutschland Direktor Dominik Bartsch.
Die Zahlen der Ankünfte in Europa und Deutschland sind durch die
Abschottung der Grenzen zuletzt stark zurückgegangen. Doch weltweit steigen
sie immer weiter: 68,5 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der
Flucht – fast drei Millionen mehr als 2016, mehr als je zuvor. Es ist der
größte Anstieg der Flüchtlingszahlen in einem Jahr in der Geschichte des
1951 gegründeten UNHCR. Im Schnitt wurden im vergangenen Jahr jeden Tag
44.400 Menschen vertrieben.
Hauptursachen waren die Krise in der Demokratischen Republik Kongo, der
Krieg im Südsudan und die Flucht Hunderttausender Rohingya-Flüchtlinge aus
Myanmar nach Bangladesch. Zwei Drittel der Flüchtlinge auf der Welt kommen
aus nur fünf Ländern: Syrien, Afghanistan, Südsudan, Myanmar und Somalia.
## 2 von drei bleiben im eigenen Land
Die meisten Flüchtlinge kommen nicht weit: Sie bleiben im eigenen Land. 40
der 68,5 Millionen sind so genannte Binnenvertriebene, Internally Displaced
Persons genannt. Anders als die überhitzte Debatte hierzulande nahelegt,
gelangt nur ein Bruchteil in den globalen Norden: Sechs von sieben
internationalen Flüchtlingen bleiben im globalen Süden und werden somit von
Entwicklungsländern aufgenommen.
Über die Hälfte der vom UNHCR registrierten Flüchtlinge (52 Prozent) sind
Kinder. Das sind 11 Prozentpunkte mehr als vor zehn Jahren.
Nirgends wurden mehr Menschen vertrieben, als aus Syrien: 6,3 der einst
rund 20 Millionen Menschen haben das Land seit Beginn des Krieges 2011
verlassen. Damit ist jeder dritte internationale Flüchtling auf der Welt
eine SyrerIn. Aus Afghanistan flohen bis Ende 2017 mehr als 2,6 Millionen
Menschen, das ist der zweithöchste Wert für ein Land. Es folgen Süd-Sudan
(1,4 Millionen) und Angehörige der muslimischen Minderheit Rohingya aus
Myanmar (1,2 Millionen).
Bei den Aufnahmeländer liegt die Türkei seit einiger Zeit an der Spitze:
3,5 Millionen Menschen fanden hier Zuflucht, mehr als irgendwo sonst, die
meisten davon SyrerInnen. Es folgen Pakistan (1,4 Millionen Aufgenommene),
auch wenn die Regierung begonnen hat, viele der dorthin geflohenen
AfghanInnen des Landes zu verweisen. Der Konflikt im Süd-Sudan hatte vor
allem eine drastische Nahrungsmittelkrise zur Folge, 1,4 Millionen Menschen
flohen in das Nachbarland Uganda.
## Libanon nahm relativ am meisten auf
Deutschland liegt laut dem UNHCR mit 970.000 Aufgenommenen weltweit auf
Platz 6. Der UNHCR zählt dabei Menschen mit laufendem Asylverfahren oder
Duldung nicht hinzu. Würden die eingerechnet, käme Deutschland auf etwa 1,3
Millionen, und würde an Iran und Libanon vorbei auf Platz 4 ziehen.
Setzt man die Flüchtlingsaufnahme jedoch ins Verhältnis zur Einwohnerzahl,
dann fällt Deutschland mit 11,6 Aufgenommen je 1.000 Einwohnern im
weltweiten Vergleich stark nach hinten zurück. Libanon beispielsweise nahm
164 Menschen je 1.000 Einwohner auf (Platz 1), in Jordanien sind es 71, in
der Türkei 43. Schweden ist das Land mit der höchsten relativen Aufnahme in
Europa: 24 Menschen je 1.000 Einwohner.
„Wir stehen an einem Scheideweg. Um auf weltweite Fluchtbewegungen
erfolgreich reagieren zu können, brauchen wir einen neuen und weit
umfassenderen Ansatz, der einzelne Länder und Gesellschaften nicht allein
lässt,“ sagte UNHCR-Direktor Filippo Grandi. „Aber es gibt Grund zur
Hoffnung. Es sei nur noch eine Frage von wenigen Monaten, bis ein neuer
Globaler Pakt für Flüchtlinge von der Vollversammlung der Vereinten
Nationen verabschiedet werden kann.“ Grandi forderte alle Staaten auf,
dieses Projekt zu unterstützen: „Kein Mensch wird freiwillig zum
Flüchtling. Aber ganz freiwillig können wir diesen Menschen helfen.“
Der Repräsentant des UNHCR in Berlin, Dominik Bartsch, dankte den Deutschen
für ihre Unterstützung. „Deutschland hilft finanziell, ist aber auch ein
wichtiges Aufnahmeland. Das sind Leistungen, die weltweit gewürdigt werden
und Deutschland viel Anerkennung eingebracht haben.“ Die Flüchtlingsdebatte
müsse jedoch wieder sachlicher werden. „Es ist verständlich, dass über die
Herausforderung der Aufnahme von Flüchtlingen diskutiert wird. Leider wird
aber kaum über die Chance gesprochen, das Potential dieser Menschen zu
nutzen. Es liegt zuerst an Deutschland selbst, ob Flüchtlinge eine Bürde
oder eine Bereicherung sind.“
19 Jun 2018
## AUTOREN
DIR Christian Jakob
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