URI: 
       # taz.de -- Gender-Professorin über Ibrahimovic: „Die Mittelschicht mag ihn nicht“
       
       > Die schwedische Professorin Annika Olsson über die Rolle von Migranten in
       > der Nationalelf und warum Zlatan Ibrahimovic Privilegien infrage gestellt
       > hat.
       
   IMG Bild: An Selbstvertrauen fehlt es ihm öffentlich nicht: Schwedens Ex-Kapitän Zlatan Ibrahimovic
       
       taz: Zlatan Ibrahimovic ist der große Abwesende der WM; kein Artikel über
       die schwedische Nationalmannschaft kommt ohne Verweis auf ihn aus. 
       
       Annika Olsson: Er war die wichtigste öffentliche Person Schwedens und
       bleibt es auch jetzt, nach seinem Rücktritt. Es gibt niemanden mit seiner
       Bedeutung, denn jeder hat eine Meinung von ihm, man liebt oder man hasst
       ihn, oft genug für die exakt gleichen Gründe. Er ist Repräsentant für die
       Ängste der einen und die Hoffnungen der anderen: er versinnbildlicht die
       Widersprüche des modernen Schwedens.
       
       In der öffentlichen Figur Ibrahimovic treffen unterschiedliche Diskurse
       aufeinander. Er gilt – im Gegensatz zu beispielsweise Björn Borg – nicht
       als der typische schwedische Sportsmann. 
       
       Auch Borg ist nach seinem Rücktritt des Unschwedentums bezichtigt worden,
       weil er nach Monaco zog und nicht hier seine Steuern zahlte. Aber anders
       als Borg ist Ibrahimovic schon ganz zu Beginn seiner Karriere mit seiner
       unschwedischen Spielweise konfrontiert worden. Er hat die Geschichte, die
       seine wurde, nicht erfunden, zu Beginn seiner Karriere war er eher scheu,
       eher zurückhaltend. Aber er hat sie aufgenommen. Diese Geschichte hat viel
       mit Klassismus zu tun, die Mittelschicht mag ihn nicht. Beispielsweise ist
       die machohafte Maskulinität, die Ibrahimovic verkörpert, in liberalen
       Kreisen nicht anschlussfähig.
       
       Ibrahimovic stammt aus Rosengard, das als Ghetto gilt. 
       
       Es ist ein Arbeiterviertel. Es gibt diese Erzählung, dass Ibrahimovic es
       bis ganz nach oben geschafft hat, obwohl er aus Rosengard stamme; er hat
       diese Erzählung umgedreht und sagt, er habe es so weit geschafft, gerade
       weil er dort aufgewachsen sei. Er erzählt auch immer wieder, wie er sich
       gegen Kinder aus besser betuchten Familien hat durchsetzen müssen; damit
       bedient er einerseits die Hoffnungen auf Aufstieg marginalisierterer
       Menschen, stellt mit seiner Geschichte aber auch die Privilegien der
       Mittelklasse erzählerisch in Frage.
       
       Schweden hat eine sehr von der Mittelklasse geprägtes, sozialdemokratisch
       ausgerichtetes Land. Aktuell befindet sie sich im Umbruch, sowohl politisch
       als auch demografisch. Die alten Werte werden neu verhandelt. Ibrahimovic
       stellt diese Werte in Frage. Das Gesetz von Jante – man solle nicht
       glauben, man sei etwas Besonderes, die Gemeinschaft steht über allem, du
       bist nichts besseres – klingt wie eine Antithese zu dem, was er vertritt.
       Für ihn gilt: I'm the greatest. Das vertritt vor ihm nur Muhammad Ali in
       dieser Deutlichkeit.
       
       Diese Erzählung scheint mir ein Janusgesicht zu haben. Sie hat etwas
       empowerndes, indem sie sagt: Du kannst alles sein. Aber es gibt den
       neoliberalen Zusatz: du musst es nur genug wollen. Und vor allem auch:
       always improve. 
       
       Sie sagen neoliberal, aber es gibt auch einen christlichen Hintergrund zu
       dieser Haltung, die älter ist. Der Calvinismus nimmt den einzelnen in die
       Verantwortung, es betont die individuelle Souveränität.
       
       Der schwedische Fußball hat eine lange Geschichte von Stürmern mit
       Migrationshintergrund, insbesondere Martin Dahlin und Henrik Larsson
       stechen da hervor. 
       
       Martin Dahlin war ein sehr liebenswerter junger Mann, sehr kommunikativ und
       witzig, eine warme, positive Persönlichkeit. Später hat er dann sein
       eigenes Label gegründet und Schuhe und Unterwäsche verkauft. Ich weiß gar
       nicht, was er jetzt macht.
       
       Er ist Spielerberater und wohnt in Monaco, wie Borg. 
       
       Ach! (Lacht.) Das hat hier, so weit ich weiß, keine Wellen geschlagen.
       Larsson war auch ein netter Junge von nebenan, aber ruhiger, medial weniger
       präsent. Ibrahimovic hat in Interviews übrigens immer wieder betont, wie
       wichtig Larsson für seine Entwicklung gewesen ist, weil sie sich in
       Gesprächen über ihre Situation austauschen konnten. Aber sowohl Dahlin als
       auch Larsson haben sich angepasst, sie waren – als öffentliche Figuren,
       nicht als Personen – weniger emanzipiert.
       
       Vor einigen Jahren hat Ibrahimovic eine Werbung für Volvo gemacht, das ja
       als eine der schwedischen Parademarken gilt; da trat er auf als der typisch
       schwedische Mann, still, freundlich, liebevoll, naturverbunden und stark.
       Volvo war kurz zuvor von einer chinesischen Firma aufgekauft worden und
       wurde dann als „Made by Sweden“ promoted. Die öffentliche Person Zlatan
       Ibrahimovic war die einzige Möglichkeit, diese Widersprüche zu erzählen.
       
       Gibt es eine öffentliche Figur, die nach seinem Rücktritt diesen Platz in
       der schwedischen Gesellschaft einnehmen wird? 
       
       Ich sehe niemanden. Ibrahimovic wird uns, denke ich, noch eine ganze Weile
       begleiten, auch wenn er nicht spielt.
       
       23 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frederic Valin
       
       ## TAGS
       
   DIR Schweden
   DIR WM-taz 2018: Neben dem Platz
   DIR Zlatan Ibrahimovic
   DIR Frauen-WM 2019 
   DIR Fußball
   DIR Kolumne Helden der Bewegung
   DIR Klassismus
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Frauen-WM 2019 
   DIR Frauen-WM 2019 
   DIR WM-taz 2018: Auf dem Platz
   DIR Fußball
   DIR Zlatan Ibrahimovic
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Abgang von Fußballer Zlatan Ibrahimović: Zauberer der Selbstbefreiung
       
       Der schwedische Fußballspieler Zlatan Ibrahimović taugt nicht zum Idol.
       Dennoch ist seine Ich-Bezogenheit faszinierend. Es geht ein Prometheus.
       Danke, Ibra.
       
   DIR Autorin Brigitte Theißl über Klassismus: „Medien lieben Aufsteigergeschichten“
       
       Brigitte Theißl schreibt über Diskriminierung aufgrund sozialer Herkunft.
       Beteiligt daran sind ihr zufolge auch Medien. Ein Gespräch über Klassismus.
       
   DIR Shitstorm für schwedischen Spieler: „Bastard“, „Gorilla“, „Hurensohn“
       
       Schwedens Nationalspieler Jimmy Durmaz erhält nach dem Spiel gegen
       Deutschland Todesdrohungen. Sein Foul führte zu Kroos’ Last-Minute-Treffer.
       
   DIR Gruppe F: Deutschland – Schweden: Schlandard schlägt Schweden
       
       Der fünfte Stern? Die deutsche Mannschaft will, kann aber nicht. Alle
       Hoffnungen ruhen auf Gomez. Muss man mehr sagen? Ja, Kroos.
       
   DIR Liveticker Deutschland – Schweden: Kroosartig!
       
       2:1 für Deutschland. Kroos schießt die dezimierte DFB-Elf im letzten Moment
       zum Sieg. Alles ist noch drin. Glück gehabt.
       
   DIR Gruppe F: Schweden – Südkorea: Schweden kann's auch ohne Zlatan
       
       Schweden gewinnt sein Auftaktspiel 1:0. Es sichert sich so eine gute
       Ausgangsposition für das Duell mit Deutschland am Samstag.
       
   DIR Deutschlands WM-Gegner Schweden: „Wir können weiterkommen“
       
       Schweden überzeugte beim 0:0 gegen Dänemark nicht. Aber wie stark das neue
       Kollektiv sein kann, war zu sehen – auch ohne Zlatan Ibrahimovic.
       
   DIR Achtelfinale Champions League: Ibrahimovic ist weiter
       
       Paris St. Germain wirft den FC Chelsea raus. Auch Benfica Lissabon steht
       nach einem Auswärtssieg in St. Petersburg im Viertelfinale.