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       # taz.de -- Streit um Wissenschaftspublikation: „Tschernobyl der Medizinethik“
       
       > Forschungsbetrug und unethische Menschenexperimente – der Fall um den
       > Chirurgen Paolo Macchiarini ist immer noch nicht abgeschlossen.
       
   IMG Bild: Das Chirurgenteam um Paolo Macchiarini (M) im OP des Universitätskrankenhauses in Stockholm (Archivfoto 2011)
       
       Der „größte Skandal in der schwedischen Medizingeschichte“, „ein
       Tschernobyl der Ethik“ ist für Bo Risberg, den Exvorsitzenden der
       schwedischen Forschungsethikkommission, der Fall Macchiarini. [1][Die
       Geschichte um die künstlichen Luftröhren], die der Chirurg Paolo
       Macchiarini an Stockholms „Karolinska-Institut“ (KI) Kranken einsetzte,
       brachten der Institution, die auch die Medizinnobelpreise verleiht, statt
       Ruhm und Ehre den Vorwurf ein, wissenschaftlichen Betrug und ethisch nicht
       zu rechtfertigende Operationen ermöglicht zu haben. Auch mehr als zwei
       Jahre nach Macchiarinis Entlassung ist die juristische Aufarbeitung seiner
       Tätigkeit am KI nicht beendet. Und sie gärt auch in
       Wissenschaftspublikationen weiter.
       
       Am 30. Januar konstatierte das Rektorat des KI, dass eine Forschungsarbeit
       von Macchiarini und Kollegen, die auf einer 2011 an der
       Karolinska-Universitätsklinik erfolgten Behandlung eines akut lungenkranken
       Mannes fußt, unter Verstoß gegen ethische Standards erfolgte und damit
       wissenschaftlich fehlerhaft sei.
       
       Gleichzeitig wurde die Fachzeitschrift Respiration aufgefordert, den dort
       2015 hierzu erschienenen und v[2][on Macchiarini mit verfassten
       Forschungsartikel] wegen „wissenschaftlichen Fehlverhaltens aufgrund
       schwerer Verletzungen ethischer Standards“ zurückzuziehen. [3][In der
       Begründung], die der Wissenschaftsjournalist Leonid Schneider auf seiner
       Internetseite [4][„For Better Science“] veröffentlicht hat, heißt es,
       Macchiarini habe als korrespondierender Autor und Initiator der
       Forschungsarbeit eine besonders große Verantwortung an den Vorgängen
       gehabt, „die dem Artikel vorausgingen und ermöglichten, Experimente
       präklinischer Natur an einem Menschen durchzuführen“.
       
       Als Respiration der Aufforderung auch nach fünf Monaten nicht nachgekommen
       war, entschloss sich KI-Präsident Ole Petter Ottersen, Teile des
       Briefwechsels mit der Redaktion [5][in seinem Blog] zu veröffentlichen.
       Denn es sei für ihn „absolut nicht nachvollziehbar“, warum ein Artikel,
       „der sich negativ auf die klinische Praxis auswirken und menschliches Leid
       verursachen kann“, nicht zurückgezogen werde.
       
       Respiration windet sich: Trotz des vom KI gefassten Beschlusses sei man
       „nicht in der Lage zu beurteilen, ob dieser Artikel zurückgezogen werden
       soll oder nicht“. Den Vorschlag der Redaktion, das KI solle in der
       Zeitschrift seine Argumente für eine Zurückziehung veröffentlichen und den
       VerfasserInnen ermöglichen, ihren Standpunkt darzustellen, lehnt Ottersen
       ab: Solcher erneuten Diskussion bedürfe es nicht, alle Autoren hätten
       bereits Gelegenheit gehabt, sich gegenüber KI zu äußern, und das auch
       getan.
       
       ## Kein Einzelfall
       
       Ottersen zeigt sich von der Weigerung der Respiration „überrascht und
       unzufrieden“. Mittlerweile hat auch die Internetplattform [6][„Retraction
       watch“] den Fall aufgegriffen. Deren Autoren befassen sich mit Fällen
       wissenschaftlicher Manipulationen, Forschungsfälschungen und fragwürdigen
       Publikationen. Ein Einzelfall sei es nicht, dass Wissenschaftszeitschriften
       monatelang oder überhaupt nicht reagierten, würden sie auf problematische
       oder fehlerhafte Artikel hingewiesen, konstatiert die Website. Sie hat auch
       herausgefunden, dass Respiration seit über 10 Jahren keinen Artikel
       zurückgezogen hat. Dabei gebe es für die Redaktion im konkreten Fall gar
       keinen Spielraum, meint Ottersen: „Wenn ethische Standards verletzt wurden,
       müssen sie handeln.“
       
       Während ein Vertreter des Schweizer Karger-Verlags, in dem die
       Fachzeitschrift Respiration“ erscheint, gegenüber „Retraction watch“ nun
       ankündigte, Statements von Autoren des fraglichen Artikels zur KI-Forderung
       zu veröffentliche, hat Paolo Macchiarini offenbar keine Probleme, weiterhin
       mit seinen Stammzellenforschungen publiziert zu werden. So im März [7][mit
       einem Artikel im Journal of Biomedical Materials Research.]
       
       Was Karl-Henrik Grinnemo, einem der Ärzte, die Macchiarini wegen
       verfälschter Forschungsresultate angezeigt hatten und damit den Skandal ins
       Rollen brachten, doch sehr wundert: „Welche seriöse Redaktion kann von ihm
       noch ein Manuskript annehmen?“
       
       Es gebe nun mal keinen rechtlichen Hinderungsgrund, kommentiert der
       Medizinprofessor (em.) Bengt Gerdin gegenüber der schwedischen Ärztezeitung
       [8][Läkartidningen:] „Aber allen ehrlichen Forschern muss das natürlich ein
       Dorn im Auge sein.“
       
       25 Jun 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Forschungsskandal-in-Schweden/!5273264
   DIR [2] https://www.karger.com/Article/FullText/441799
   DIR [3] https://drive.google.com/file/d/0By2HqPi4t2RbQU5nMktLOTMyTHFFT2Q0MnRUNmdndzNzMnBN/view
   DIR [4] https://forbetterscience.com/
   DIR [5] http://blog.ki.se/rektor/a-publication-should-be-retracted-if-it-reports-unethical-research/
   DIR [6] https://retractionwatch.com/2018/06/07/karolinska-told-a-journal-to-retract-a-paper-by-macchiarini-it-refused-the-story-didnt-end-there/
   DIR [7] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/jbm.b.34116
   DIR [8] http://www.lakartidningen.se/Aktuellt/Nyheter/2018/05/Paolo-Macchiarini-publicerar-nya-forskningsresultat/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reinhard Wolff
       
       ## TAGS
       
   DIR Forschung
   DIR Mikroplastik
   DIR Nobelpreis
       
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