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       # taz.de -- Das Nationale an der WM: „Sie haben es für ihr Land getan“
       
       > Patriotismus und internationaler Wettbewerb schließen sich nicht aus, im
       > Gegenteil. Die Partie Nigeria gegen Island zeigt das auf ihre Weise.
       
   IMG Bild: Hatten Spaß: Fans in Lagos, Nigeria
       
       Wolgograd taz | Es war wieder kein normales Fußballspiel. [1][Wenn Nigeria
       gegen Island spielt], dann erwartet gewiss niemand den ganz großen Sport.
       Die Spieler sollen gefälligst alles geben, nicht für ihr Team, für ihr Land
       sollen sie es tun. So ist das eben bei einer Fußball-Weltmeisterschaft. Da
       geht es um mehr als darum, in 90 Minuten herauszufinden, wer die bessere
       Mannschaft ist, wer vielleicht auch nur gewinnt, weil er das Glück auf
       seiner Seite hat.
       
       Auch deshalb ist Weltmeisterschaftsfußball ein großes Gefühlstheater. In
       der Champions League mögen die fußballerischen Maßstäbe gesetzt werden,
       aber intensiver geht es bei einer WM zu. Da fließen schon in der
       Gruppenphase die Tränen, dass es kaum ein Halten gibt. Würde Neymar weinen
       nach einem Hinrundensieg mit Paris Saint-Germain in der Gruppenphase der
       Champions League? Unvorstellbar.
       
       „Sie haben es für ihr Land getan“, das hat Gernot Rohr, der Trainer der
       nigerianischen Auswahl nach dem 2:0 gegen Island gesagt. Angespielt hat er
       auf seine taktischen Umstellungen. Er verdonnerte den langjährigen Kopf der
       Mannschaft, Jon Obi Mikel, der seine besten Premier-League-Zeiten hinter
       sich hat und seit zwei Jahren in China kickt, dazu, die Spielmacherposition
       zu verlassen und vor der Abwehr zu spielen.
       
       Dem anderen Star des Teams, Victor Moses vom FC Chelsea, hat er vor dem
       Spiel beigebracht, dass es doch besser für ihn sei, nicht als Stürmer,
       sondern im rechten offensiven Mittelfeld zu spielen. „Sie haben ein Opfer
       für ihr Land gebracht“, sagte Rohr dazu. Das war es wieder, dieses ganz
       Große, das bei diesem Nationenwettbewerb mitschwingt. Ein Positionswechsel
       wird zur nationalen Pflicht.
       
       ## „Fußball ist nicht alles“
       
       Bei Island ist ohnehin offensichtlich, dass jedes Spiel ein sportlicher
       Feldzug im Wettbewerb der Nationen ist. Ein guter Teil der Bevölkerung hat
       sich auf den Weg nach Russland gemacht, um das Team, nein, die Nation zu
       unterstützen. Wolgograd war fest in Wikingerhand.
       
       Wer zu Hause geblieben ist, schaute sich das Spiel im Fernsehen an. Wenn
       stimmt, was vermeldet wurde, dann hat es beim isländischen Auftaktspiel so
       gut wie keinen Fernseher im ganzen Land gegeben, auf dem etwas anderes
       gelaufen ist. Weil die Isländer wissen, dass sie trotz all ihrer kleinen
       Erfolge in der Vergangenheit in jedem Spiel Außenseiter sind, geht es ihnen
       darum, eine eigene, nationale Botschaft auszusenden. Sie sind bei der WM
       unterwegs, um zu zeigen, dass man auch dann gut Fußball spielen kann, wenn
       es im Leben auch noch etwas anderes als Fußball gibt.
       
       Ob es nicht falsch gewesen sei, den Spielern mitten im Turnier einen Tag
       frei zu geben, den sie mit Freundinnen, Frauen und Kindern verbringen
       konnten, wurde Trainer Heimir Hallgrimsson nach der Niederlage gefragt.
       Seine einfache Antwort: „Fußball ist nicht alles.“ Mit dieser Botschaft
       ziehen Tausende Isländer derzeit durch Russland.
       
       ## In Gruppe D geht noch was
       
       Woanders wird diskutiert, wie wichtig es ist, bei der Hymne mitzuträllern
       und wenn ein Zweifel daran besteht, dass sich ein Spieler nicht ausreichend
       zur Nation bekennt, dann kriegt er einen Termin beim Staatspräsidenten.
       Wieder woanders fragt man sich, ob ein Schweizer in einem Spiel gegen
       Serbien [2][eine kosovarisch-nationalistische Jubelgeste machen kann], ohne
       das Recht zu verwirken, ein guter Schweizer genannt zu werden.
       
       Auch bei Island geht es um mehr als um das Spiel auf dem Platz. Auch Island
       hat eine Botschaft. Es ist das vielleicht verrückteste Paradoxon dieser WM.
       Um der Welt zu zeigen, dass Fußball nicht alles ist, steht eine ganze
       Nation hinter ihrer Mannschaft.
       
       Die ist übrigens nach der Niederlage gegen Nigeria noch nicht
       ausgeschieden. Island hat noch eine Chance, wenn es das schon fürs
       Achtelfinale qualifizierte Kroatien schlägt. Auch Nigeria kann mit einem
       Sieg gegen Argentinien in die K.o.-Runde aufsteigen. Und selbst die
       Argentinier sind noch im Rennen. Es geht am letzten Gruppenspieltag am
       Deinstag, wie kann es anders sein, um mehr als Fußball.
       
       23 Jun 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Rüttenauer
       
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