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       # taz.de -- Generationswechsel im Fußball: Jugend allein macht keinen Titel
       
       > Fußballmannschaften müssen sich verjüngen. Für einen Erfolg braucht es
       > allerdings mehr – eine sinnvolle Anpassung der Taktik an das Alter.
       
   IMG Bild: Verehrt wie Gott in Frankreich: Kylian Mbappé beim WM-Achtelfinale gegen Argentinien in Kasan
       
       Die Süße der Jugend hat beim Fußball im besten Fall etwas Berauschendes,
       gleichgültig Glänzendes, sorglos Voranschreitendes. Dann rollt sie dahin,
       ohne einen Gedanken ans Scheitern zu verschwenden, und wenn sie doch
       scheitert, nennt man das Naivität und Unerfahrenheit. Wenn nicht, heißt es
       goldene Zukunft.
       
       Deutschland richtet nach dem Ausscheiden den Blick auf die Jugend, das Wort
       von den Confed-Cup-Helden geht um wie die Windpocken. [1][Frankreich feiert
       seine jungen Götter, allen voran den brillanten 19- jährigen Kylian
       Mbappé]. England bejubelt seine Pampers-Kicker, die zwar bislang sehr
       mittelmäßigen Fußball spielen, aber dafür Elfmeter schießen können.
       
       Die Alten fielen. Die Argentinier als ältestes Turnierteam mit rund 29
       Jahren sind ausgeschieden, auch die greisen Spanier mit dem greisen
       Iniesta, auch die Portugiesen. Nur die Brasilianer kämpfen sich weiter
       durch Neymaristan. Diese Weltmeisterschaft ist in guten Momenten ein
       Festival des Neuanfangs. Einerseits.
       
       Irgendwann in den grauen 2000ern war das beste Fußballeralter Ende zwanzig.
       Das waren Bernd Schneider und Michael Ballack, Ersterer rauchte übrigens
       noch. Dieses beste Alter habe sich auf 25 verschoben, sagte ein
       frustrierter Andreas Hinkel schon 2012, als er sein Karriereende bekannt
       gab. Mit 30 Jahren hatte er keinen Verein mehr gefunden. „Damit gehörst du
       schon zur alten Garde.“
       
       Er hat recht. 2002 noch hatten laut DFL die 25-Jährigen den größten Anteil
       an der Spielzeit, 2012 waren es schon die 23-Jährigen, und in der Saison
       2017/18 betrug das Durchschnittsalter aller Bundesliga-Spieler 24,5 Jahre.
       Sie sind damit 2,5 Jahre jünger als 2002.
       
       ## Fast wie im Kunstturnen
       
       Der Fußball hat Leistungszyklen angenommen, die schon fast dem Kunstturnen
       ähneln. Es ist ein Erbe der Nachwuchsakademien, die die 18-Jährigen auf den
       Markt spucken, und des immer schneller gewordenen Fußballs. Er fordert
       Protagonisten, die dem Tempo standhalten. Die schnell brennen und schnell
       verbrannt sind und noch tiefer in der Blase Profifußball leben. Heute ein
       Sieger, morgen ein Senior.
       
       Der Fußball liebt die Jugend, weil er unter dem Optimierungsdruck, den er
       sich selbst auferlegt hat, immer das Element sucht, wo sich noch ein
       bisschen mehr herausquetschen lässt, noch ein bisschen mehr Leistung, noch
       ein bisschen mehr Wille, noch ein bisschen mehr Athletik und Anspruch. Wer
       wäre dazu besser in der Lage und gewillt, wenn nicht der Nachwuchs? Und
       doch funktioniert Fußball nicht so eindimensional.
       
       Dieses Turnier ist nach Angaben der Fifa die Weltmeisterschaft mit den
       ältesten Kadern aller Zeiten. Das Durchschnittsalter der Spieler beträgt
       knapp 28 Jahre. Weil Nationaltrainer ungern Experimente machen, wählen sie
       Platzhirsche und Leistungsträger, weil Außenseiter wie Panama und
       Australien mühsam WM-taugliche Kader zusammenkratzen, bei denen lichtes
       Kopfhaar zweitrangig ist. Und weil viele Große wie Spanien, Deutschland,
       Argentinien und Portugal gerade am Ende eines Generationenzyklus stehen.
       
       Und doch hat die Jugend nicht das Alter besiegt. Der aktuelle Triumph des
       Gegen-den-Ball-Fußballs mit schnellen Kontern und hohem Pressing kommt den
       Jungen zugute, aber es gewinnt, wer seine Taktik sinnig an das Alter seiner
       Mannschaft anpasst.
       
       Dass es kompliziert ist, bewies in der letzten Champions-League-Saison
       Juventus Turin, dessen im Schnitt 28-jähriges Team den späteren Sieger Real
       Madrid an den Rand des Ausscheidens brachte. Dass es kompliziert ist,
       zeigen auch die Belgier, die als 27-jähriges Team einen schnellen,
       eleganten, kreativen Fußball spielen.
       
       ## Alte Uruguayer und Kroaten
       
       Dass es kompliziert ist, zeigen die Russen mit einem der ältesten Kader des
       Turniers, die in einer Abwehrschlacht den Favoriten Spanien besiegten. Und
       die alten Uruguayer, die selbiges gegen Portugal schafften, ohne in
       Dopingverdacht zu geraten. Und die alten Kroaten. Die Jüngsten aus Nigeria,
       Serbien, Tunesien sind längst draußen.
       
       Deutschland hatte kurioserweise den siebtjüngsten Kader des Turniers.
       Jünger als Südkorea, jünger als Schweden und deutlich jünger als Mexiko,
       eine der ältesten Mannschaften dieser WM. Gegen alle drei Gegner sahen die
       Deutschen nicht gut aus.
       
       Das Ausscheiden Deutschlands hatte also höchst marginal mit Altersschnitten
       zu tun. Löw hat durchaus auf Jugend gesetzt. Aber er hat mit dem Confed Cup
       eine zweite Mannschaft fast ohne Überschneidung aufgebaut und die erste
       protegiert. Vermutlich ist er auch an dieser Inkonsequenz gescheitert. Man
       darf davon ausgehen, dass eine besser moderierte Mischung die klügste
       Lösung gewesen wäre. Es fehlten Erfahrung und frisches Blut zugleich.
       
       Immerhin müssen sich die Deutschen nicht allein fühlen. Sie erlagen ebenso
       chancenlos dem neuen Festungs-und-Konter-Fußball wie viele alte
       Ballbesitzriesen, nur eben etwas früher, etwas hilfloser, etwas peinlicher.
       
       ## Intervention des Trainers
       
       Die Sieger des aktuell kurios überschätzten Sommerkicks namens Confed Cup
       werden das allein nicht lösen. Die Maulwürfe – mehrere Spieler der
       deutschen Nationalmannschaft, die in der FAZ massive Kritik an Jogi Löw
       geübt hatten – zeigten zuletzt unfreiwillig auch die seltsame
       Unselbstständigkeit und Weltfremdheit einer Generation der
       Internatsfußballer. Denn diese sind kaum in der Lage, einen Streit in
       Eigenregie beizulegen.
       
       Für jedes Detail erwarten sie eine Intervention des Trainers, und jetzt
       hoffen sie, dass die zuvor permanent gescholtenen Medien ihnen Löw aus dem
       Amt schreiben. Der Neuanfang wird zwangsläufig und richtig mehr Jugend
       bedeuten. Aber unglücklicherweise für Löw und den DFB heißt Neuanfang noch
       sehr viel mehr.
       
       5 Jul 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Achtelfinale-Frankreich--Argentinien/!5517098
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Schwermer
       
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