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       # taz.de -- Abschottung der Europäischen Union: Retter in Not
       
       > Die Schiffe liegen an der Kette. Auf Malta sind Flüchtlingsretter zum
       > Nichtstun verurteilt. Keiner will die Migranten aufnehmen.
       
   IMG Bild: Protest am Hafen von Valetta auf Malta gegen das Auslaufverbot von Rettungsschiffen
       
       Berlin/Valetta taz | In einer Nacht im vergangenen Winter, wenige Tage vor
       Weihnachten, steht Ruben Neugebauer, 28 Jahre alt, an der Theke der
       Tennis-Bar in Berlin-Neukölln, es gibt Gin Tonic und Weißwein, aber
       Neugebauer hadert. Am nächsten Tag wird in dieser Zeitung das erste große
       Porträt über ihn erscheinen. Er wird darin die „umtriebigste Person der
       deutschen Bewegungsszene“ genannt, es wird dort stehen, dass er die
       Seerettungs-NGO Sea-Watch aufgebaut hat, ihr „Sprecher, Koordinator und
       Krisenmanager“ ist und dass er sogar selbst über das Mittelmeer fliegt, um
       Schiffbrüchige zu suchen. Eigentlich widerstrebe es ihm, so im Mittelpunkt
       zu stehen, sagt Neugebauer seinen Freunden an diesem Abend.
       
       Zwei Jahre hatte er Sea-Watch auch ohne diese Art persönlicher Geschichten
       in den Medien halten können, sogar der US-Sender CNN schaltete ihn live per
       Skype aus seinem Berliner WG-Zimmer ins Studio. „Aber das Einzige, was
       jetzt noch funktioniert, ist, wenn Leute von uns sich porträtieren lassen“,
       klagt er. Die Redaktionen hätten ansonsten das Interesse verloren. „Die
       Geschichte ist auserzählt, sagen sie.“
       
       Aber die Geschichte der Retter im Mittelmeer, von Leuten wie Neugebauer,
       von Medizinstudentinnen aus Kassel und Unternehmensberatern aus Schwaben,
       von Musiktherapeuten aus Westfalen und Freizeitskippern aus Hamburg, von
       den normalen und nicht so normalen Leuten, die die Nachrichten über die
       Toten nicht aushalten und deshalb selbst in See stechen; getrieben von
       Idealismus, gehasst von den Rechten und betroffen davon, dass sie manchmal
       zu spät kommen: Diese Geschichte ist nicht auserzählt. In diesen Tagen
       erreicht sie einen Punkt, den so niemand vorhergesehen hat – dass Europa
       die Unerwünschten eher ertrinken als einreisen lässt.
       
       „Es gibt plötzlich zwei Meinungen darüber, ob man Menschen, die in
       Lebensgefahr sind, retten oder lieber sterben lassen soll“, schreibt am
       Freitag der Süddeutsche-Zeitung-Redakteur Wolfgang Luef. Dies sei „der
       erste Schritt in die Barbarei“. Luefs Worte machen schnell Furore. Aber sie
       treffen die Sache nicht ganz. Zwei Meinungen darüber, die gab es schon
       lange. Aber die, die finden, dass man besser nicht rettet, haben jetzt die
       Macht. Sie haben eine Situation geschaffen, in der sie diese Ansicht nicht
       nur offen äußern, sondern auch ganz ungeniert umsetzen können.
       
       ## Die „Sea Watch 3“ darf nicht mehr auslaufen
       
       Noch vor Kurzem war das Bizzina-Hafenbecken östlich von Maltas Hauptstadt
       Valletta fest in der Hand eines knappen Dutzends Rettungsschiffe. Malta war
       die Basis der überwiegend deutschen Gruppen, die sie betrieben. Hier
       mieteten und betankten sie ihre Schiffe, hier hockten die Freiwilligen am
       Abend und grillten im Schatten der Dockgebäude. Doch an diesem Nachmittag
       ist nur noch die „Sea-Watch 3“ übrig. Neben ihr liegt ein graues
       Kriegsschiff der britischen Marine. Es ist Teil der neuen Themis-Mission
       der EU-Grenzschutzagentur Frontex.
       
       24 Stunden vorher anmelden, Ausweiskontrolle, Unterschrift: Auf die
       „Sea-Watch“ kommen BesucherInnen nicht mehr einfach so. Ein junger Mann mit
       Funkgerät erscheint. „Bitte hier eintragen“, sagt er und nimmt eine in
       Folie gehüllte Liste von einem Haken. „Sie auch.“ Er hält einem Besucher
       mit weißem Kurzarmhemd, der gerade über die Gangway kommt, einen
       Kugelschreiber hin. Holländische Kontrolleure sind am Morgen zu einer
       unangekündigten Inspektion nach Valletta geflogen. Jetzt untersuchen sie
       die „Sea-Watch“. „Die Situation ist gerade ein bisschen angespannt“, sagt
       der Mann mit dem Funkgerät, es klingt fast entschuldigend.
       
       ## Martin Kotel sollte Menschen retten. Jetzt wartet er
       
       114 Menschen ertrinken am 1. Juli vor Tripolis. An ebendiesem Tag bekommt
       die „Sea-Watch“-Kapitänin Pia Klemp von der maltesischen Hafenbehörde eine
       Mail: Das Auslaufen sei untersagt, steht darin. Auch die Schiffe „Lifeline“
       und „Seefuchs“ sowie das Suchflugzeug „Moonbird“ können nicht starten. Die
       Regierung erklärt knapp, sie müsse „sicherstellen, dass alle, die unsere
       Häfen nutzen, nationale und internationale Standards einhalten“. Warum gibt
       es daran Zweifel? Und warum jetzt? „Das wüsste ich auch gern“, sagt der
       Mann im weißen Kurzarmhemd. Er arbeitet für das UN-Flüchtlingswerk UNHCR.
       Bis vor Kurzem war er in Afghanistan im Einsatz. Jetzt vertritt er
       Hochkommissar Filippo Grandi auf Malta. „Ich bin hergekommen, um zu
       verstehen, was hier vor sich geht“, sagt er.
       
       Das Sterben nicht verhindert haben Europas Mächtige schon seit Jahren,
       trotz des Einsatzes der Frontex-Schiffe im Mittelmeer. Es gab immer
       Erklärungen, warum es bis heute trotzdem 30.000 Ertrunkene gab: zu wenig
       Schiffe, Koordinationsprobleme, Streit um die Zuständigkeit, Versäumnisse,
       Unklarheiten. Wer wollte, konnte das glauben und sich so das Zutrauen in
       das gute, integre Europa erhalten. Heute ist für diesen Glauben nicht mehr
       viel übrig. Im Juni durften die vollbesetzten Rettungsschiffe „Aquaris“ und
       „Lifeline“ keine italienischen Häfen mehr ansteuern. Kapitän Claus-Peter
       Reisch steht in Malta vor Gericht. Ähnliches gab es auch in der
       Vergangenheit. Doch dass die, die retten wollen, allesamt an der Kette
       liegen, während Hunderte ertrinken: das ist neu.
       
       22 Freiwillige gibt es auf der „Sea-Watch“. Einer davon ist Martin Kolek,
       ein Musiktherapeut aus Westfalen. Er trägt ein blaues T-Shirt, die orangen
       Shorts haben fast dieselbe Farbe wie sein Bart. Er sieht aus, als habe er
       sein halbes Leben auf See verbracht, dabei ist dies erst sein zweiter
       Einsatz. Der erste liegt zwei Jahre zurück. Damals musste Kolek Dutzende
       Leichen bergen, Nachrichtenagenturen schickten ein Bild um die Welt, das
       ihn auf dem Meer mit einem toten Baby im Arm zeigte. Um mit dem Erlebten
       fertig zu werden, reiste er nach Italien, besuchte Gräber der von ihm
       geborgenen Ertrunkenen, suchte den Kontakt zu ihren Angehörigen. 2017 gab
       er im Selbstverlag ein Buch über das Geschehene heraus.
       
       Auf Leichen hatte Kolek sich jetzt eingestellt, auf das Ausfahrverbot
       nicht. „Ich hätte das definitiv nicht für möglich gehalten“, sagt er. Er
       hat Schwierigkeiten dieses Gefühl zu artikulieren. „Wir leben in einer
       hochtechnisierten Kultur, die sich für hochdemokratisch hält“, sagt er
       dann. „Aber diese Kultur, ihre Gremien, ihre Technik, ihre Verwaltung, alle
       demokratisch kontrolliert, die werden jetzt benutzt, um vorsätzlich
       unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge zu begehen“, so sieht er das.
       
       Auf dem Flughafen von Valletta drängen sich junge Sprachurlauber am
       Gepäckband, die Füße in Flipflops. Rollkoffer klappern über die Fugen der
       Bodenplatten. 8.000 Touristen kommen Anfang Juli im Schnitt an jedem Tag
       hier an, 83 Flugzeuge bringen sie her und fliegen sie wieder weg. Ein
       Flugzeug aber bleibt am Boden: Es steht am Rand des Rollfelds, eine weiße,
       einmotorige Cirrus SR22, sie trägt die Kennung HB KMM. Sea-Watch hat sie im
       letzten Jahr in der Schweiz geleast und „Moonbird“ getauft.
       
       ## Maria Drenk darf nicht nach Schiffbrüchigen suchen
       
       Maria Drenk ist eine hochgewachsene junge Frau, sie lebt in Köln und wartet
       dort auf einen Studienplatz für Medizin. Auf Malta ist sie für die
       „Moonbird“-Mission verantwortlich. Es ist ihr dritter Einsatz. An einem
       Sonnentag mit ruhigem Meer, einem Tag wie heute, hätte Drenk einen
       signalfarbenen Overall anziehen sollen und eine Rettungsweste. Mit einem
       der ehrenamtlichen Schweizer Piloten hätte sie die Wettervorhersage gelesen
       und dann eine Mail an das Tripoli Air Control Center, die libysche
       Luftaufsicht, geschickt, mit Flugdaten, Flugzeit, Koordinaten. Dann wäre
       der Tankwagen gekommen, der Fahrer hätte die Zapfpistole in die Flügeltanks
       gesteckt und 300 Liter Treibstoff hineingepumpt. Drenk hätte auf dem Sitz
       neben dem Piloten Platz genommen, sie hätten die Starterlaubnis abgewartet
       und wären abgehoben.
       
       Knapp 350 Stundenkilometer schafft die „Moonbird“. 350 Kilometer sind es
       bis an den Rand der libyschen Hoheitsgewässer. Östlich von Tripolis wären
       sie eingeschwenkt, dann immer entlang der Küste geflogen, bis kurz vor
       Tunesien, drei Stunden, in 300 Meter Höhe. Drenk hätte Ausschau gehalten,
       vielleicht auf gut Glück, vielleicht gezielt an Orten, von denen ein Notruf
       abgesetzt wurde. 100 Quadratkilometer kann ein Schiff in der Stunde
       absuchen, mehr als 1.000 schafft die „Moonbird“. An der Rettung von 21.000
       Menschen sei das Flugzeug im vergangenen Jahr beteiligt gewesen, 1.000
       wären ohne das Flugzeug gestorben, erklärt die Organisation Sea-Watch.
       2.000 Euro kostet ein solcher Suchflug, das meiste davon zahlt die
       Evangelische Kirche. Dutzende solcher Flüge hat Drenk bei ihrem ersten
       Einsatz im letzten Jahr absolviert. Gleich zu Beginn hat sie damals vier
       Boote entdeckt, keines sei der Rettungsleitstelle in Rom bekannt gewesen.
       „In einem saßen 130 Menschen, es war kurz davor zu sinken, das Innere war
       praktisch ein Swimmingpool“, sagt sie.
       
       Jetzt aber ereilt Drenk das gleiche Schicksal wie den Freiwilligen Kolek
       auf der „Sea-Watch“. Vor einigen Tagen schickte die maltesische
       Luftaufsicht eine Mail: „No permit will be issued for any SAR operation,
       unless this is done […] on request by a neigbouring country.“ Die
       „Moonbird“ dürfe also nur noch abheben, wenn die Libyer sie für Suchflüge
       anfordern. „Seit dem letzten Jahr machen wir diese Flüge als privates
       Suchflugzeug. Für die Libyer war immer ausreichend, dass wir uns jeweils
       mit Flugplan angemeldet haben“, sagt Drenk. „Eine solche ‚Anforderung‘ ist
       nicht nötig, davon war nie die Rede.“
       
       Drenk ist sich sicher, dass das Startverbot politisch motiviert ist: „Die
       wollen da unten keine Augen haben“, sagt sie. „Jetzt sind die Toten nur
       Zahlen. Damit kommt die Öffentlichkeit klar. Wenn wir aber hinfliegen
       könnten, um wenigstens Bilder zu machen, bekommen sie Gesichter. Dann hat
       die Politik ein viel größeres Problem.“ Es sei kein Zufall, dass
       ausgerechnet jetzt, nach der Wahl des rechtsextremen italienischen
       Innenministers Matteo Salvini, alle Schiffe und das Flugzeug lahmgelegt
       wurden, sagt Drenk. Die Seenotretter seien mit der Regierung von Malta
       immer gut ausgekommen. „Aber die kriegt jetzt Druck von Italien.“
       
       Dem „Lifeline“-Kapitän Reisch wird vorgeworfen, sein Schiff sei nicht
       ordnungsgemäß registriert gewesen: Der Eintrag im niederländischen
       Freizeitbootregister berechtige nicht, mit niederländischer Fahne in
       internationalen Gewässern zu fahren, argumentiert die Staatsanwaltschaft.
       Reischs Anwälte weisen dies zurück.
       
       ## Die Zahl der Ertrunken steigt immer weiter
       
       Am Freitag letzter Woche schaltet sich das Hauptquartier des
       Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Genf ein. Die Zahl der Ankünfte in Europa
       sei „drastisch gefallen“, sagt Sprecher Charlie Yaxley. 45.700 Menschen
       kamen seit Beginn des Jahres. 2016 waren es noch fünfmal so viele.
       Gleichzeitig steige die Rate der Toten immer weiter an: Im ersten Halbjahr
       2017 ertrank ein Mensch je 38 Ankommenden, im ersten Halbjahr 2018 war es
       einer von 19 und im Juni diesen Jahres einer von 7. Man muss sich das klar
       machen: Einer von sieben, die in heute Libyen ins Boot steigen, kommt
       niemals an. „Und in diesen Tagen beginnt die Hochsaison für die
       Überfahrten“, sagt Yaxley. Es sei von „absoluter Dringlichkeit und ein
       Gebot des Seerechts“, Lebensrettung zuzulassen.
       
       Doch was heißt das für den kleinen Inselstaat Malta, auf den jetzt alle
       schauen?
       
       Lange hatte Malta mit der Ankunft vieler Flüchtlinge zu kämpfen. Die Zahl
       der Menschen, die die anderen EU-Staaten abnahmen, war nicht der Rede wert.
       2014 sicherte Italien dem Inselstaat schließlich zu, auch jene Flüchtlinge
       zu übernehmen, die in dessen Rettungszone aufgenommen würden. Offiziell
       bestätigt haben die beiden Länder diese Übereinkunft nie.
       
       Seit dem 27. Juni scheint das alles Geschichte zu sein. An diesem Tag
       beendete die Odyssee des Schiffes „Lifeline“ die Übereinkunft. Es war das
       zweite mit Flüchtlingen voll besetzte Schiff, das Italiens neue Regierung
       abwies. Sie will, dass die Schiffbrüchigen zurück nach Libyen gebracht
       werden. Doch das lehnen die Hilfsgruppen strikt ab, weil denen dort
       Misshandlung und Gefangenschaft drohen. Das erste abgewiesene Schiff, die
       „Aquaris“ der deutschen Gruppe SOS Mediterranee, durfte nach tagelanger
       Irrfahrt mit 629 Menschen an Bord am 17. Juni in Spanien anlanden. Die
       „Lifeline“ musste in Malta andocken. Die dortige Regierung fürchtete einen
       Präzedenzfall. In den 72 Stunden vor der Ankunft der „Lifeline“ setzte man
       alle Hebel in Bewegung, damit die 233 an Bord befindlichen Flüchtlinge in
       andere EU-Staaten weiterreisen.
       
       Was die ganze EU seit Jahren nicht zuwege bringt – einen funktionierenden
       Verteilmechanismus –, musste Malta ganz allein für sich aushandeln, ein
       Land etwa so groß wie Duisburg. „Eine wahnsinnige Herausforderung war das“,
       sagt ein Beamter aus dem Stab von Regierungschef Joseph Muscat. Malta hätte
       die 230 Menschen vermutlich auch selbst aufnehmen können, wahrscheinlich
       könnte man auch 1.230 unterbringen. Aber dann, irgendwann, wäre
       unbestreitbar Schluss.
       
       ## Malte von Italiens neuer Rechts-Regierung alleine gelassen
       
       Es gab Tage im letzten Jahr, da haben die Rettungsschiffe 5.000 Menschen
       aus dem Mittelmeer geholt und nach Italien gebracht. „Alle in Europa sagen
       jetzt: Unser Land zuerst. Was sollen wir da tun?“, sagt ein maltesischer
       Beamter.
       
       Italien, heiß es in Regierungskreisen in Valletta, sei der wichtigste
       Alliierte gewesen. Doch der ist nun weg. Auch wenn es keiner offen
       ausspricht: Natürlich ist das der Grund für die Blockade der Seeretter –
       und nicht, dass irgendwelche Registrierungen fehlerhaft sind. Malta war
       ihre Basis, solange die Flüchtlinge woandershin konnten: ins
       sozialdemokratisch regierte Italien. Aber jetzt sind in Rom andere am
       Drücker – und auch anderswo. „Es ist ja nicht nur Salvini“, sagt ein
       maltesischer Beamter. Auch andere EU-Staaten seien nicht glücklich damit
       gewesen, was die Flüchtlingshelfer getan haben. Und jetzt sei der Druck
       eben zu stark.
       
       Die neue Achse Rom–Wien–München–Budapest–Visegrád, sie hat sich
       durchgesetzt, bis in den tiefsten Süden des Kontinents. Und so weiß
       niemand, ob und wann die Seeretter wieder ausrücken dürfen. Denn einen
       Plan, wo die nächsten 230 Flüchtlinge, die sie retten würden, hinsollen,
       den hat hier keiner.
       
       Je rauer der Ton der Politik gegen die Seeretter wird, desto mehr
       Unterstützung gibt es von Prominenten. Jan Böhmermann sammelte in wenigen
       Tagen über 140.000 Euro für die Anwälte des angeklagten „Lifeline“-Kapitäns
       Reisch. Der Fernsehmoderator Klaas Heufer-Umlauf dreht für seine 1,8
       Millionen Twitter-Follower ein Video. Man möge Geld spenden, damit die
       Seeretter neue Schiffe chartern können, um die Blockade zu umgehen.
       „#Civilfleet“ ist der Hashtag der neuen Kampagne. „Wir lassen uns das nicht
       bieten“, sagt der Aktivist und Grünen-Politiker Erik Marquardt, der an der
       Sache mitgewirkt hat. „Sie können nicht alle Schiffe an die Kette legen.“
       
       ## Die Wutbürger: „Ihr Schlepper-Scheiß-Drecksbande!“
       
       In diesem Tagen bringt Axel Steier aber auch einen Packen Briefe zum
       Papiercontainer. Wutbürger machen sich tatsächlich die Mühe, nicht nur
       online, sondern auch auf klassischem Postweg ihren Hass auf die
       Seenotretter der „Lifeline“ loszuwerden, deren Schiff im Hafen von Valetta
       an der Kette liegt. „Ihr Schlepper-Scheiß-Drecksbande gehört alle sofort
       hinter Gitter“, hat jemand anonym gekritzelt. Wenn erst die AfD am Ruder
       sei, werde mit solchen Volksverrätern abgerechnet.
       
       Im abgewohnten ehemaligen „Ratskeller“ hat die „Mission Lifeline“ nicht
       mehr als einen Briefkasten. Für Freund und Feind ist es dennoch eine
       Adresse. Die Identitären waren schon hier und beschmierten die Hauswände
       mit Farbe.
       
       Das 32 Meter lange Schiff „Lifeline“ hat rund 170.000 Euro gekostet – die
       Hälfte davon brachten Dresdner Spender auf. „Das zeigt, dass rechte
       Gesinnungen in der Stadt doch nicht so verwurzelt sind, wie oft angenommen
       wird“, nimmt Axel Steier, einer der Gründer der Hilfsorganisation, die
       Einheimischen in Schutz. Rund 24.000 Euro kostet eine einzige
       Rettungsfahrt. Wenn sie denn retten dürften.
       
       Am Abend steht in Valetta auf Malta die Sonne wie eine leuchtende Qualle im
       Dunst über dem Mittelmeer. Auf den Festungsmauern von Valletta flanieren
       Touristen, unten am Wasser haben lokale Gruppen einen Protest gegen die
       Blockade der Seeretter organisiert. Vielleicht hundert Menschen sind
       gekommen, Windlichter flackern. „Für das namenlose Kind, das durch unsere
       Gleichgültigkeit starb“, steht auf großen Fotos geborgener Kinderleichen.
       Maria Pisani unterrichtet soziale Arbeit an der Universität von Malta,
       vorher war sie Büroleiterin der UN-Migrationsorganisation IOM auf Malta. Es
       ist die Organisation, die die Statistik der toten Flüchtlinge führt. Sie
       hält eine kurze Rede. „Manche auf Malta haben vor den Migranten Angst“,
       sagt Pisani, „Manche sind rassistisch. Aber manche wollen, dass sich etwas
       ändert. Wir können nicht akzeptieren, was geschieht, denn es wird immer
       mehr Tote geben.“
       
       Auch Martin Kolek ist hergekommen. Jemand hat ihm eines der ausgedruckten
       Bilder mit den Wasserleichen in die Hand gedrückt. Ausgerechnet ihm. Es sei
       eine „sehr ruhige, sehr angemessene Ansprache“, gewesen, die Pisani
       gehalten habe, sagt Kolek. Er hockt vor den Windlichtern auf dem Boden und
       schaut zu, wie es über dem Meer langsam dunkel wird.
       
       9 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
   DIR Michael Bartsch
       
       ## TAGS
       
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