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       # taz.de -- Urteil zur Flüchtlingshilfe in Frankreich: Solidarität ist keine Straftat
       
       > In Frankreich dürfen sich Helfer uneigennützig für Migranten ohne
       > Aufenthaltserlaubnis engagieren, so das Verfassungsgericht.
       
   IMG Bild: Das Urteil stellt auch einen persönlichen Triumph für Cédric Herrou dar
       
       Paris taz | Jetzt hat es Frankreichs Regierung schriftlich von der höchsten
       Gerichtsbarkeit der Republik bekommen: Flüchtlingen aus mitmenschlicher
       Regung zu helfen ist nicht illegal. Im Gegenteil, die „Brüderlichkeit“
       (Fraternité) und damit Solidarität ist neben Freiheit und Gleichheit einer
       der drei Grundwerte der auf der Menschenrechtserklärung basierenden
       französischen Verfassung, mahnen die sieben Verfassungsrichter des Conseil
       constitutionnel.
       
       Die Entscheidung geht auf den [1][Fall des südfranzösischen Bauerns Cédric
       Herrou] zurück. Er war [2][mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten],
       als er im bergigen Hinterland der Riviera, unweit der Grenze zu Italien,
       immer wieder Flüchtlinge bei sich aufnahm oder sie mit seinem Fahrzeug
       transportierte. Als er erneut angeklagt wurde, hat er mit einer
       individuellen Klage beim Conseil constitutionnel verlangt, dass geprüft
       werde, ob diese Anschuldigung an sich überhaupt verfassungskonform sei.
       
       Das französische Gesetz verbietet Hilfe für illegale Einreise oder
       Aufenthalt von Ausländern. Es sieht jedoch eine Ausnahme vor, wenn Menschen
       aus humanitären Gründen beim Aufenthalt helfen – etwa, indem sie Migranten
       Essen geben oder sie unterbringen. Bislang galt diese Ausnahme aber nicht
       für Fälle, in denen Menschen Migranten helfen, sich innerhalb Frankreichs
       fortzubewegen.
       
       Der französische Gesetzgeber hatte bei einer kürzlichen Revision des
       Immigrations- und Asylrechts trotz Bedenken aus der linken Opposition, aber
       auch aus den Reihen der Regierungspartei La République en marche die
       „Kriminalisierung“ von humanitären Flüchtlingshelfern an der Grenze nur
       teilweise aufgehoben. In bestimmten Fällen blieb die Solidarität ein
       Delikt.
       
       ## Humantitäres Motiv
       
       Dass Cédric Herrou nun von den Verfassungsrichtern recht bekommen hat, ist
       ein [3][Sieg für alle humanitären Helfer], die bisher ständig mit einer
       Strafklage rechnen mussten. Die Regierung und mit ihr erst recht alle
       rechten Kräfte, die sich für eine weitere oder gar verschärfte
       Strafverfolgung des „Solidaritätsdelikts“ einsetzten, werden damit
       bloßgestellt.
       
       [4][Der Verfassungsgrundsatz der „Fraternité“] definiert nach Auslegung des
       höchsten Gerichts eine „Freiheit, anderen aus humanitären Zielsetzungen zu
       helfen, ohne dabei deren legalen Aufenthalt auf dem nationalen Territorium
       berücksichtigen zu müssen“. Das heißt, wer Flüchtlingen in uneigennütziger
       Weise hilft, sie bei sich aufnimmt, ernährt oder in Frankreich
       weitertransportiert, kann deswegen keinesfalls belangt werden.
       
       Das Urteil stellt einen persönlichen Triumph für Cédric Herrou dar. Er war
       im August 2017 vom Berufungsgericht von Aix-en-Provence zu einer Strafe von
       vier Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden, weil er rund 200
       Geflüchtete aus Sudan und Eritrea an der italienischen Grenze abgeholt und
       in einem improvisierten Aufnahmezentrum auf seinem Hof beherbergt hatte.
       
       Dasselbe Gericht hatte auch den Universitätsdozenten Pierre-Alain Mannoni
       zu einer Strafe verurteilt, weil er drei Flüchtlinge zu einem Bahnhof
       gebracht hatte. Mannoni hat sich wie mehrere humanitäre Organisationen wie
       La Cimade und die französische Menschenrechtsliga Herrous Verfassungsklage
       angeschlossen.
       
       Bei der Revision des Asylrechts wollte die Regierung ursprünglich zwischen
       kriminellen Schlepperorganisationen, die aus finanziellen Interessen
       handeln, und Solidarität aus humanitären Gründen unterscheiden. Das ist ihr
       aber nach Ansicht des Verfassungsgerichts nur in unzulänglicher Weise
       gelungen. Es legt darum gegen bestimmte Formulierungen ein Veto ein. Das
       humanitäre Motiv des Beistands müsse das entscheidende Kriterium bleiben.
       
       Nicht toleriert dagegen wird es weiterhin, Flüchtlingen beim illegalen
       Grenzübertritt zu helfen. Jede Form von Solidarität auf französischem
       Territorium aber kann nicht verboten werden.
       
       9 Jul 2018
       
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