URI: 
       # taz.de -- Die Wahrheit: Finde dich im Zwiebelfisch
       
       > Wohin deutsche Spitzenpolitiker in den Sommerferien reisen. Eine kleine
       > Urlaubsumfrage unter dem politischen Personal der Hauptstadt.
       
   IMG Bild: Horst Seelenhofers Ferienort: die Couch von Dr. Freud
       
       Es ist Sommer. Es sind Ferien. Eine ungewöhnliche Stille liegt über der
       Hauptstadt. Die deutschen Spitzenpolitiker sind auf dem Weg in den Urlaub.
       Zum Glück haben wir sie kurz vor ihrer Abreise beim Kofferpacken erwischt,
       um sie zu fragen, wohin die Reise geht. Manch einer würde sich nach den
       Querelen der letzten Zeit sicher auch gern in eine thailändische Höhle
       zurückziehen, aber erstaunlicherweise bleibt das politische Personal der
       Bundesrepublik im Lande. Ein Urlaub im Ausland widerspricht offenbar dem
       Geist der Zeit. Oder haben die Politiker lediglich Angst, dass sie
       hinterher nicht wieder hineingelassen werden? Jedenfalls finden sie an
       ihrem Zielort das, was die meisten Deutschen auf Reisen suchen: sich
       selbst.
       
       Bundeskanzlerin Angela Merkel wird sich mit kleinem Gepäck auf Sinnsuche
       begeben. Denn sie hat es nicht weit von ihrer Wohnung am Kupfergraben in
       Berlin-Mitte bis zu ihrem Ferienort. Erstmals seit fast dreißig Jahren wird
       die Kanzlerin in diesem Jahr ihre gewohnte Wellnesskur auf Ischia ausfallen
       lassen und eine andere Insel besuchen: Westberlin.
       
       Auch sie habe damals nach der Maueröffnung das Begrüßungsgeld kassiert, um
       sich gleich wieder hinter der Mauer zu verschanzen, erklärt Merkel. Endlich
       werde sie jetzt einen Traum wahr werden lassen und das Bermudadreieck von
       Charlottenburg rund um den Savignyplatz erkunden. Zwischen den drei Lokalen
       Zwiebelfisch, Diener und Dicke Wirtin werde sie dem Lebensgefühl einer
       untergegangenen Stadt nachspüren. Sie, die ja tagein, tagaus wie eine
       politische Maschine funktioniere, kenne so etwas wie ein Lebensgefühl gar
       nicht.
       
       ## Kapitänin eines Seelenverkäufers
       
       Im Diener wolle sie all die Vorabendschauspieler einmal live erleben, die
       heutzutage niemand mehr sehen will, die sie jedoch noch aus dem
       Westfernsehen damals kenne. Auf die Dicke Wirtin freue sie sich besonders,
       weil sie hinter der Theke selbst das Ruder in die Hand nehmen werde, um
       endlich zu erfahren, wie es ist, als Kapitänin einen Seelenverkäufer zu
       steuern, ohne unterzugehen. Und im Zwiebelfisch wolle sie sich die
       Geschichte der längst verstorbenen dicken Katze, die immer im Schaufenster
       lag, erzählen lassen. Sie, die sich doch selbst oft wie eine dicke Katze im
       Schaufenster fühlt, der die Mäuse auf der Nase herumtanzen. „Ansonsten
       lasse ich die Seele baumeln, wie schon Tucholsky sagte“, meint Angela
       Merkel.
       
       Verschwiegen wie ein Grab ist wie üblich Horst Seehofer, seinen Urlaubsort
       will er partout nicht nennen. „Schlafen, schlafen, schlafen“, wolle er,
       behauptet der Bundesinnenminister, der tatsächlich keinen wachen Eindruck
       hinterlässt. Das Gerücht, dass er sich als Schlafstätte die berühmte Couch
       eines Wiener Seelenarztes ausgesucht habe, will er weder bestätigen noch
       dementieren. „Mein Bett liegt dann im befreundeten Inland“, atmet der
       Noch-CSU-Vorsitzende seinem Scherz noch lange schwer nach. „Ansonsten lasse
       ich die Seele baumeln, wie schon Tucholsky sagte“, meint Horst Seelenhofer.
       
       Als Einziger eine Flugreise antreten, will der AfD-Mann Alexander Gauland,
       und doch wird er in Deutschland bleiben, wie er sich einredet. „Ich fliege
       nach Deutsch-Südwest“, wie Gauland Namibia nennt. Dort will er das tun, was
       er am besten kann – jagen: „Ein Nashorn schießen und vielleicht ein paar
       Haribos oder Hereros oder wie diese Neger da unten heißen“, schielt Gauland
       erwartungsvoll über seine Halbbrille, ob die Provokation wirkt. „Ansonsten
       lasse ich die Seele baumeln, wie schon Ernst Jünger sagte“, meint Alexander
       Gauland.
       
       ## Schichtdienst im Wald
       
       Ebenso heimatverbunden gibt sich die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles. Sie
       bleibe in der Eifel und werde dort Pilze sammeln. Den Einwurf, dass doch
       noch gar keine Pilzsaison sei und die Trockenheit den edlen Gewächsen nicht
       entgegenkomme, kontert die gewiefte Taktikerin mit einem „Hah!“. Das habe
       sie selbstverständlich bedacht und deshalb ein Dreischichtensystem für ihre
       Familie entwickelt. Getreu dem SPD-Slogan „Arbeit. Arbeit. Arbeit.“ habe
       sie drei Arbeitsschichten geplant. Da müsse ihre siebenjährige Tochter dann
       schon mal eine Nacht im Wald verbringen und darauf warten, dass die Pilze
       hervorschießen. Einmal im Leben wolle sie, die sonst jede Entwicklung
       zielsicher verpasst, als Erste eine Entdeckung machen, feuert sich die
       clevere Sozialdemokratin selbst an. „Ansonsten lasse ich die Seele baumeln,
       wie schon Tucholsky sagte“, meint Andrea Nahles.
       
       Er werde ins schöne Marl an den nördlichen Rand des Ruhrgebiets reisen und
       sich im Hotel Lohmühle einquartieren, steckt uns der FDP-Vorsitzende
       Christian Lindner. An Marl reize ihn nicht nur die Architektur des
       Brutalismus, die sich in den herrlichen Betonnachkriegsbauten zeige, nein,
       nahe dem Hotel liege auch der Segelflugzeugplatz, auf dem der
       Spitzenliberale Jürgen Möllemann einst aufschlug, nachdem er vergessen
       hatte, nicht nur beim Fallschirmspringen die Reißleine zu ziehen. „Diese
       brutale Hybris der Macht, so schnell wie möglich nach unten zu kommen,
       entspannt mich mehr als drei Wochen Seychellen“, verrät er. „Ansonsten
       lasse ich die Seele baumeln, wie schon Tucholsky sagte“, meint Christian
       Lindner.
       
       Auf eine Insel würde die Linken-Frontfrau Sahra Wagenknecht niemals reisen.
       Wozu gibt es denn das Saarland? Schließlich kämen drei der wichtigsten
       deutschen Politiker aus dem Saarland: „Oskar Lafontaine, Erich Honecker und
       Rosa Luxemburg.“ Weil aber Rosa Luxemburg genau wie sie selbst heute
       politisch verfolgt worden sei, habe die Vorkämpferin ihren Namen geändert
       und zur Ablenkung einen Nom de Guerre aus dem Nachbarland gewählt. „Als
       Rosa Saarland wäre sie bestimmt nichts geworden“, glaubt die kluge Linke.
       „Ansonsten lasse ich die Seele baumeln, wie schon Tucholsky sagte“, meint
       Sahra Wagenknecht.
       
       ## Mit dem Porsche durch die Alpen
       
       Auch der Grüne Robert Habeck will keine Auskunft über sein Ferienziel
       geben. Das sei privat, knurrt der Umweltschriftsteller. Irgendwas mit
       „auswildern, einsam und allein“ quetscht er noch zwischen den Zähnen durch,
       was wohl heißen soll, er wird wandern gehen. Grüne wandern ja immer und
       überall, das gehört zu ihrer Folklore, selbst wenn sie wie Habeck mit einem
       aufgemotzten Porsche 911 Cabrio durch Alpenserpentinen jagen.
       
       „Ansonsten lasse ich die Seele baumeln, wie schon …“, will Robert Habeck
       gerade anheben, als wir ihn unterbrechen: „Nein, nein, nein! Ein für alle
       Mal: Das war nicht Tucholsky. In zwei Sommerepisoden lässt er zwar seine
       Charaktere ‚mit der Seele baumeln‘, aber die unsägliche Phrase stammt aus
       einer Fremdenverkehrswerbung der siebziger Jahre, die Tucholsky auch noch
       falsch zitiert. Und seitdem ist die dümmliche Phrase in der Welt. Der
       nächste Politiker oder Journalist aber, der sie benutzt, wird
       standrechtlich mit der Erbsenpistole erschossen. Beim Barte des Tuchos!“
       Dennoch einen schönen Urlaub.
       
       10 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Ringel
       
       ## TAGS
       
   DIR Sommerferien
   DIR Hunde
   DIR Robert Habeck
   DIR Horst Seehofer
   DIR Schwerpunkt Angela Merkel
   DIR Frank Schirrmacher
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Die Wahrheit: Das Hundeverbot
       
       Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit. Heute darf sich die geneigte
       Leserschaft an einer Ode an eine tierische Freundin erfreuen.
       
   DIR Die Wahrheit: Jetzt noch mehr Bock auf besser!
       
       Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Annalena „Merkel“
       Baerbock und Robert „Macron“ Habeck von Bündnis 90/Die Grünen.
       
   DIR Die Wahrheit: Rückrufaktion für Horst Seehofer
       
       +++ CSU zieht Vorsitzenden aus dem Verkehr +++ Fehlerhafte Charge +++
       Verunreinigung mit rechten Fremdkörpern +++
       
   DIR Die Wahrheit: Ein Sternenkrieg für Angela Merkel
       
       Was kann die Bundeskanzlerin in dieser alles entscheidenden Woche noch
       retten? Ein morgendlicher Einblick ins Innere der Macht.
       
   DIR Die Wahrheit: Die Würde des Windbeutels
       
       Frank Schirrmacher lebt! Vom Größten Feuilletonisten aller Zeiten zum
       Fahrradpfarrer – der ehemalige „FAZ“-Herausgeber weilt unter uns.