URI: 
       # taz.de -- Studie zu „übergewichtigen“ Menschen: Dick ist nicht gleich ungesund
       
       > Englands Bevölkerung wird dicker, weil Plus Size Models Dicksein
       > promoten. Das behauptet eine aktuelle Studie. Daran stimmt so einiges
       > nicht.
       
   IMG Bild: Nicht ungesund: Ein „Plus-Size“-Model macht Werbung für Mode
       
       Es gibt unterschiedliche Arten, Erkenntnissen aus Studien einen Rahmen zu
       geben und diese auszuwerten. [1][In England untersuchte eine Studie], wie
       viele Menschen ab einem gewissen BMI ihr genaues Gewicht wissen und wie
       viele von ihnen Anstalten machen, an Gewicht abzunehmen. Das Ergebnis: Die
       Anzahl vermeintlich „übergewichtiger“ Menschen – so bezeichnet die
       Weltgesundheitsorganisation Personen, deren Body-Mass-Index größer gleich
       25 ist –, die sich regelmäßig wiegt und Gewichtsverlustmaßnahmen trifft,
       [2][ist höher als vor zwanzig Jahren.]
       
       Das wiederum setzt die Studie in Zusammenhang mit dem Avancieren der
       sogenannten Plus-Size-Fashion: Einerseits gibt es immer mehr Models, deren
       Konfektionsgröße über eine 38 oder 40 hinaus geht, und andererseits bieten
       Kleidungsketten immer häufiger Klamotten in größeren Größen als 42 an. So
       weit, so erfreulich.
       
       Diese Entwicklung könnte eine_r so interpretieren: Immer mehr Menschen
       fühlen sich durch diversere Models medial repräsentiert. Sie müssen
       außerdem nicht mehr abnehmen, um schöne Kleidung in ihrer Größe zu finden.
       Zu spüren, dass mit dem eigenen Körper entgegen penetranten Diätwerbungen,
       [3][strukturellem Dickenhass] und neoliberalen Selbstoptiminierungszwängen
       alles in Ordnung ist, kann sich ermächtigend anfühlen. Zu wissen, dass auch
       dicke Körper es verdienen, so selbstbestimmt wie es der Kapitalismus nun
       mal zulässt, mit Mode herum zu experimentieren und sich schön zu fühlen,
       bringt den Hass auf den eigenen Körper zum Sinken.
       
       „Lose hate, not weight“ lautet etwa die Philosophie der fat-aktivistischen
       Autorin und Referentin Virgie Tovar, die gesellschaftliche Vorstellungen
       von Gesundheit sprengt. Diese hängt nämlich nicht zwangsläufig mit dem
       Körpergewicht zusammen, jedoch immer auch mit mentalem, sexuellem und
       spirituellem Wohlbefinden. Diese unterschiedlichen Aspekte lassen sich
       nicht einfach voneinander trennen. Stress beeinflusst etwa auch das Herz
       und den Magen, kann zu (einer Verschlimmerung von) Depressionen, Asthma,
       Diabetes, Alzheimer und Kopfschmerzen führen.
       
       ## Dubiose Schlussfolgerung
       
       Und was verursacht wiederum Stress? Zum Beispiel ständig daran erinnert zu
       werden, [4][der eigene Körper sei wertlos, unproduktiv, ekelerregend, nicht
       liebenswert, krank]. Diese Erinnerungen können zusammenhanglose Fragen von
       Angehörigen, Ärzt_innen oder Fremden sein, sie können
       Erwerbsarbeitslosigkeit sein, aber auch psychische und physische Gewalt
       gegen dicke Menschen. Wenn Forscher_innen nach fragwürdigen Studien
       behaupten, dicke Menschen seien automatisch weniger gesund als schlanke
       Menschen, könnten sie erstens eine Ecke weiter denken und darauf kommen,
       dass es nicht an dem Körpergewicht an sich liegen muss, und zweitens sich
       Studien reinziehen, die genau das Gegenteil beweisen.
       
       Umso dubioser erscheint die Schlussfolgerung aus ersterer Studie: Anstatt
       sich über die steigende Körperakzeptanz zu freuen, schlagen die Leute vom
       „Obesity Research Journal“ alarmistische Töne: Die englische Bevölkerung
       werde immer dicker, weil Plus-Size-Models Dicksein nicht nur normalisieren,
       sondern gar promoten.
       
       Nun basiert die Studie zu ihrem Pech auf fragilen Standbeinen. Als Basis
       für ihre Studie dient der Body Mass Index, auch BMI genannt. Diese Werte
       hat sich die WHO (genau, die Leute, [5][die bis vor ein paar Tagen noch
       Transidentität als Krankheit pathologisiert haben] – und bis 1992 auch
       Homosexualität) ausgedacht. Sie sind nicht nur sehr pauschalisierend und
       deshalb ein verkürzter Blick auf Körper und Gesundheit, sondern auch eine
       abstruse Konstruktion.
       
       1997 etwa beschloss die WHO, die Werte einfach zu ändern. Stell dir vor, du
       wachst auf, und plötzlich erzählen dir irgendwelche WHOttos, du seist ab
       sofort „übergewichtig“. Über welchem Gewicht denn eigentlich? Darauf kann
       ich nur die Autorin und Spoken Word Künstlerin Stefanie-Lahya Aukongo
       zitieren, die bei ihrer Performance neulich mal wieder klarstellte: Manche
       Persönlichkeiten passen nun mal in keine Größe 38. Dass immer mehr Menschen
       das merken und zelebrieren, ist – der Studie zufolge – auch
       Plus-Size-Models zu verschulden, äh, verdanken!
       
       26 Jun 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/oby.22204
   DIR [2] /!5416435
   DIR [3] /!5356078
   DIR [4] /!5307591
   DIR [5] /!5514747
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hengameh Yaghoobifarah
       
       ## TAGS
       
   DIR Studie
   DIR Gesundheit
   DIR Übergewicht
   DIR Großbritannien
   DIR Familie
   DIR Sexualität
   DIR Magersucht
   DIR Feminismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Familienstudie der AOK: Deutschland wird immer fetter
       
       Die AOK hat 5000 Eltern zu ihren Gewohnheiten befragt, um Aussagen über
       Familiengesundheit zu treffen. Doch die Studie ist nicht differenziert
       genug.
       
   DIR Bundesvereinigung Trans* über WHO: „Die Entscheidung ist ein Meilenstein“
       
       Die Weltgesundheitsorganisation streicht Transsexualität von der
       Krankheitsliste. Das reicht noch nicht, findet BV-Trans*-Vorstand Wiebke
       Fuchs.
       
   DIR Nicole Jäger spricht über ihre Essstörung: „Meine Waffe, mein Heilmittel war das Essen“
       
       Mit Humor und Selbstironie schreibt und spricht Nicole Jäger live und im
       Kabarett über das Dicksein. Und sie ist als Heilpraktikerin für
       Essstörungen hoch begehrt
       
   DIR Sexismus in Social Media: Zu dick für Facebook
       
       Das Bild eines Plus-Size-Models wird gelöscht, weil sich Nutzer_innen
       schlechtfühlen könnten. Die Körper dicker Frauen sind auf Facebook
       „unerwünscht“.