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       # taz.de -- Kommt Deutschland weiter?: Der Herzschrittmacher des Spiels
       
       > Allein schon wegen Marco Reus muss das DFB-Team gegen Südkorea weiter
       > kommen. Aus ganz verschiedenen Gründen.
       
   IMG Bild: Fußball-Nationalspieler Marco Reus will bei der Fußball-WM endlich aus dem Schatten treten
       
       Moskau taz | Es ist immer wieder verblüffend. Wenn es um das Team geht,
       dann kehren die deutschen Nationalspieler ihr unerschütterliche Zuversicht
       hervor. Sie demonstrieren ein Selbstbewusstsein, dem kein Mensch auf dieser
       Welt im mindesten auch nur Schaden zufügen könnte. Wenn es um die eigenen
       Ansprüche im Team geht, dann wiederum machen sich die großen Kicker
       klitzeklein. Sie zeigen eine Demut, die Benediktinermönchen zur Ehre
       gereichen würde.
       
       Marco Reus ist einer, der dieses Wechselspiel traumwandlerisch beherrscht.
       Vor allem erstaunt, wie klein er sich machen kann. Als er im DFB-Lager in
       Watutinki gefragt wurde, ob er nun davon ausgehe, einen Platz in der
       Startelf zu haben, antwortete Reus: „Ich habe schon das Gefühl, dass ich
       der Mannschaft helfen kann, aber [1][ich kenne die Pläne von Joachim Löw
       nicht]. Wenn es nicht so ist, geht die Welt davon nicht unter. Wir sind ein
       Team.“
       
       Reus ist der Herzschrittmacher des deutschen Spiels, er ist derjenige, der
       nach der Partie gegen Schweden zu Recht von der Fifa zum Spieler des Spiels
       gekürt wurde. Und das will was heißen. Klassischerweise führt der
       Fußball-Weltverband die entscheidenden Torschützen aufs Podium. Und das
       wäre in diesem Fall Toni Kroos mit seinem Geniestreich in letzter Minute
       gewesen.
       
       ## Ein Leisesprecher wird laut
       
       Aber der immens vitalisierende Einfluss von Reus auf das deutsche Spiel
       ließ sogar die Fifa-Juroren mit ihrer Routine brechen. Zu sehr stachen
       seine unwiderstehlichen Dribblings, seine Schnelligkeit, seine
       Spielübersicht, sein Ideenreichtum, seine tollen Laufwege ins Auge.
       
       Auf die Chancen des deutschen Teams gegen Südkorea angesprochen,
       verbreiterte sich erwartungsgemäß die Brust des Dortmunder Stürmers
       gewaltig: „Südkorea hat eine gewisse Qualität. Wenn wir aber mit der
       gleichen Leidenschaft und Energie wie gegen Schweden auftreten, bin ich mir
       sicher, dass es schwer wird, gegen uns zu gewinnen.“
       
       Mittlerweile sagt Reus solche Sätze auch in gut vernehmbarer Tonqualität.
       Vor einigen Jahren musste man in den Interviewzonen möglichst nahe bei ihm
       stehen, um überhaupt irgendetwas zu verstehen. So schüchtern, so leise
       sprach er, meist den Blick irgendwo auf den Boden geheftet. Doch diese
       Zeiten sind längst vorbei. In Russland fällt Reus durch Blickkontakt und
       sogar durch Meinungsstärke auf. Die Berichterstattung nach der Partie gegen
       Mexiko sei zu kritisch gewesen, merkte er in Watutinki an. Auch wenn er
       sich damit vor allem der Meinung von Kroos anschloss, derlei ist man von
       ihm nicht gewohnt.
       
       ## Rebell auf dem Rasen
       
       Der Rebell in Reus kam außerhalb des Platzes nur selten zum Vorschein. Und
       dann in eher unvorteilhaftem Licht. Weil er jahrelang ohne Fahrerlaubnis
       Auto fuhr, musste der Gesetzesbrecher vor vier Jahren gut eine halbe
       Million Euro Strafe zahlen. Auf dem Rasen dagegen wurde er für sein ewig
       aufständiges Wesen, für sein kaum fassbares, unberechenbares Spiel weit
       über Dortmund hinaus geschätzt. Ähnlich wie Mesut Özil lebt er sein
       Temperament lieber hier aus.
       
       Von seinem überragenden WM-Auftritt in Sotschi kann also niemand überrascht
       sein, der Reus in den letzten Jahren hat Fußball spielen sehen. Für den
       29-Jährigen ist es das erste große Fußballturnier, an dem er in wichtiger
       Position mitwirken kann. Er ist einer der erfahrensten Neulinge mit
       Weltklasseformat bei einer Weltmeisterschaft. Und es ist wahrscheinlich
       genau diese Kombination, die so belebend auf den etwas selbstzufriedenen,
       behäbig gewordenen Titelverteidiger wirkt.
       
       Reus hat nichts zu verteidigen, er will nur erobern. Das verbindet ihn mit
       einem zweiten derzeit auffälligen Spieler im deutschen Team, mit dem noch
       jungen Leipziger Timo Werner. Marco Reus will indes nun endlich die
       Erfolgserlebnisse haben, die ihm lange Zeit verwehrt blieben.
       
       Bis vor diesem Turnier schien ihm das Unglück trotz all seiner Wendigkeit
       penetrant auf den Fersen zu haften. Bei der EM 2012 kam er zwar im
       Viertelfinale erstmals in der Startelf zum Einsatz und erzielte sogleich
       ein Tor, im Halbfinale musste er trotzdem erst einmal wieder auf die Bank,
       die WM 2014 und die EM 2016 musste er, viel schlimmer noch,
       verletzungsbedingt absagen.
       
       ## Keine Alternative, sondern alternativlos
       
       Russland könnte nun auch Reus' Land werden. Seine Karriere könnte doch noch
       den goldenen Anstrich erhalten, den ihr viele schon lange vorausgesagt
       haben. Und bei aller eingeübten Bescheidenheit, weiß der alte neue
       Hoffnungsträger, dass er sich mit seiner Leistung gegen Schweden zu einem
       unverzichtbaren Bestandteil in der deutschen Elf gemacht hat. Sein Lob für
       den Konkurrenten Özil, der für ihn bei diesem Spiel Platz machen musste,
       kann ihm leicht über die Lippen kommen. „Einer der besten Spieler der
       Welt“, schwärmte er.
       
       Die Frage, das weiß auch Löw, kann nicht mehr heißen: Özil oder Reus?
       Sinnvoll ist nur: Özil und Reus. Der Leidtragende könnte der Münchner
       Thomas Müller sein, der bislang wenig überzeugen konnte.
       
       Empfehlenswert scheint in jedem Fall, am Mittwoch in Kasan die im
       Schwedenspiel so bewährte taktische Veränderung beizubehalten. Gegen die
       körperlich kleineren Südkoreaner dürfte ein von Reus und Werner mit Flanken
       versorgter Mario Gomez im Sturmzentrum noch besser zur Geltung kommen. Reus
       warnte vor nachlassender Wachsamkeit: „Es wird ein ähnlich schwieriges
       Spiel, weil Südkorea ähnlich wie Schweden oder Mexiko über Konter agieren
       werden.“
       
       An seiner Zuversicht – das wurde ja bereits erwähnt – ändert das natürlich
       nichts. Für den jahrelangen Pechvogel wäre ein frühzeitiges Ausscheiden bei
       dieser Weltmeisterschaft eine erneute Tragödie. Es könnte doch sein Turnier
       werden.
       
       27 Jun 2018
       
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   DIR Johannes Kopp
       
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