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       # taz.de -- Neues Soloalbum von Gruff Rhys: Eine Zwickmühle namens Babelsberg
       
       > Den Waliser Gruff Rhys kennen manche von seiner Psychedelicband Super
       > Furry Animals. Nun hat er ein süffiges Soloalbum mit Orchester
       > arrangiert.
       
   IMG Bild: Gruffudd Maredudd Bowen Rhys alias Gruff Rhys
       
       Wer die Gabe hat, zeitlose Songs zu komponieren, muss sich nicht eilen,
       kann seine Vision in Ruhe zur Realität gedeihen lassen. Genau so jemand ist
       Gruff Rhys. Der walisische Gitarrist und Sänger, der in den Neunzigern mit
       den Super Furry Animals psychedelischem Rock absurden Humor beimengte, hat
       sein neues Soloalbum „Babelsberg“ bereits vor zwei Jahren in Band-Besetzung
       eingespielt, dann aber festgestellt, dass den Songs eine größere
       Ausstattung gebührt.
       
       Also bat er den im walisischen Swansea und London lebenden irischen
       Komponisten Stephen McNeff, die Songs für Orchester neu zu arrangieren. Die
       Aufnahme mit dem 72-köpfigen BBC National Orchestra of Wales beweist: Das
       Warten auf diese pompösen Arrangements hat sich gelohnt.
       
       McNeff komponiert Orchesterstücke und Kammermusik, aber vornehmlich
       Theatermusik und Opern – seine Kinderoper „Der sanfte Riese“ wurde gerade
       in Hannover aufgeführt. McNeffs Vorliebe für theatralische Gesten ist auch
       in seine Partitur für „Babelsberg“ eingeschrieben, aber der 66-Jährige
       erwartet nicht, dass man dem Geschehen still dasitzend und bierernst
       lauschend folgt. Gemäß englischer Music-Hall-Tradition soll zum Sound von
       „Babelsberg“ getanzt, gelacht, geschmaust und sich unterhalten werden.
       
       ## Harfe, Flöten, Zuckerwatte
       
       Orchesterinstrumente wie Streicher, Harfe und Flöten gehen mit Schlagzeug,
       E-Bass und Gitarren eine schillernde Verbindung ein: Dem treibenden Flow
       von „Limited Edition Heart“ setzt McNeff mediterrane Zuckerwattepop-Chöre
       entgegen und Rhys’ Krautrock-Dehngitarren holen den Song wieder aus der
       Sonne. „Take That Call“ wartet mit einer Verbeugung vor „Eleanor Rigby“ von
       den Beatles auf, Rhys singt hier ähnlich behaucht sorglos wie Paul
       McCartney und lässt mit seiner sonst nonchalant-nachlässigen Attitüde Ray
       Davies von den Kinks grüßen. In „Drones in the City“ modifiziert er seinen
       Bariton zum Bass, Orff’sches Schlagwerk wird von Flöten und Harfen in
       andere Sphären entführt, bevor der Song mit Schlagzeug und Flummi-Bass zu
       einem flirrenden Manifest gegen nervtötende Spielzeugdrohnen wird.
       
       Gruff Rhys hat schon früher die Kopfkino antriggernde Wirkung von
       Streichern und Chören zu schätzen gewusst. Ein Großteil der Songs auf dem
       Super-Furry-Animals-Album „Love Kraft“ (2005) sind mit
       psychedelisch-größenwahnsinnigen Streicher-Arrangements aufgepimpt. Er
       komponiert neben Musik für Computerspielen auch Filmscores, weiß, wie
       Drama geht und bringt dafür schwerelos Pop mit Klassik in Einklang. „Oh
       Dear!“ beginnt wie ein zackiger Popsong, mit Rodeo-Bass und -Gitarre,
       schuppernden Drums, die einsetzenden Streicher werden von akzentuierten
       Bläsersätzen vorangetrieben, dabei von Drums und Basslinie um den Finger
       gewickelt.
       
       Die musikalische Leichtfüßigkeit bringt die inhaltliche Substanz elegant
       zur Geltung. Auf den Albumtitel „Babelsberg“ kam Rhys, als er an einem
       Wegweiser zur Filmstadt in Potsdam vorbeikam, aber der Hinweis auf den
       Turmbau zu Babel inklusive Entfremdung schwingt auch mit. In den Songs
       besingt er auch verantwortungslos handelnde Staatsoberhäupter und
       zunehmende Alltagsgewalt: Der 47-Jährige erkundet, welche Auswirkungen das
       auf uns als Individuen hat.
       
       Dabei belässt er es aber nicht, sondern fordert ein empathischeres
       Miteinander ein, um die Welt als einen lebenswerten Ort zu erhalten. Wenn
       er in „The Club“ singt: „They threw me out of the club. The club I built
       with my own two hands“, meckert er nicht nur über die entfesselte Seite der
       Gentrifizierung, sondern bekennt sich dazu, Teil des Problems zu sein.
       Zwickmühle! Doch spätestens bei der Zeile „Conquer all the negative vibes“
       im Song „Negative Vibes“ hat Rhys einem jegliche schlechten Gefühle
       ausgetrieben.
       
       Und lehrt uns, wie man die traurigen Absurditäten des Weltgeschehens mit
       Humor ad absurdum führt.
       
       1 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sylvia Prahl
       
       ## TAGS
       
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