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       # taz.de -- Kommentar Räumung Lenné-Dreieck: Die Mauern kommen wieder
       
       > Das Lenné-Dreieck ist in der linken Szene Berlins zum Mythos geworden. Es
       > ist auch eine Mahnung gegen den Bau von Grenzen und damit aktueller denn
       > je.
       
   IMG Bild: Auch das ist nur eine Kulisse: Dreharbeiten für einen Spielfilm zum Mauerfall
       
       Eine Generation lang stand die Berliner Mauer, seit einer Generation ist
       sie schon wieder Geschichte. Damit ist auch die Kulisse eines besonderen
       Stücks absurden politischen Theater unwiderruflich verschwunden, das im
       Sommer 1988 unter dem Titel „Lenné-Dreieck“ oder auch „Kubat-Dreieck“
       aufgeführt wurde.
       
       Wer die Stadt nicht mehr zu Mauerzeiten erfahren hat, kann sich schwer in
       die damalige Zeit der En- und Exklaven hinein versetzen; in die Situation,
       dass man bisweilen mit einem Schritt in einem anderen Land war. Zudem
       einem, das man eigentlich gar nicht so leicht betreten durfte.
       
       Bis zum 30. Juni 1988 besaß die DDR ein gut vier Hektar großes Stückchen
       Land im Westteil der Stadt, gelegen unmittelbar an der Grenze nahe des
       Potsdamer Platzes. Als die Mauer 1961 gebaut worden war, wollte sich das
       Regime schlicht den Knick im Grenzverlauf sparen.
       
       So entstand der Raum für einen politischen Freiraum, den die linke Szene
       Westberlins schließlich am 26. Mai 1988 nutzte, indem sie das Areal
       besetzte. Fünf Wochen träumte sie hier ihren eigenen Traum von der freien
       Welt, Volksküche und Bullenbeschimpfung inklusive. Das Ende kam
       unausweichlich, als das Gelände vom Senat quasi gekauft wurde. Vor der
       Räumung am 1. Juli flohen viele Besetzer mit Hilfe der DDR-Grenzer über die
       Mauer in den Ostteil der Stadt.
       
       „Geht doch nach drüben“ war ein gängiger Spruch, den Linke seit den 1950ern
       zu hören bekamen, wenn sie allzu laut Kritik am bundesrepublikanischen oder
       Westberliner System äußerten. Diesmal taten das einige – wenn auch nicht
       ganz freiwillig. Sie schlugen damit der Polizei und dem Berliner Senat ein
       Schnippchen, allerdings eines, das sich nicht auf andere Situationen
       übertragen ließ. Derart vorführen ließ sich nur ein Regierender
       Bürgermeister in der Mauerstadt Berlin.
       
       Vor zwei bis drei Jahren wäre man noch versucht gewesen zu schreiben, dass
       Grenzen damals im Gegensatz zu heute noch etwas bedeuteten in Deutschland,
       in Europa. Leider scheint sich das zu ändern. Grenzen gewinnen wieder an
       Bedeutung – für die Politik, für Menschen, und nicht nur für jene auf der
       Flucht. Eine Bedeutung, die man eigentlich schon auf dem Friedhof der
       Geschichte verortet sah.
       
       So ist das einmalige politische Theater mit dem Titel „Lenné-Dreieck“ auch
       eine Mahnung, welche absurde Folgen Grenzen und die damit verbundene
       Ausgrenzung haben kann. Dass wir wieder und wieder realisieren müssen,
       welch' ein Fortschritt es war, als das Ende der Mauer, des Kalten Krieges,
       des Ost-West-Konflikts kam und mit ihm die Verbindung von West- und
       Osteuropa.
       
       Natürlich entwirft keiner ein Szenario, dass die Mauer wieder aufgebaut
       werden könnte. Aber sind wir wirklich so weit davon entfernt, wenn ein Land
       wie Ungarn – das vom Mauerfall profitiert hat – wieder Zäune der
       Abschottung aufbaut? Wenn ein bayrischer Politiker Grenzkontrollen im
       eigenen Land als höchsten Wunsch formuliert? Wenn Schiffe mit
       Schiffbrüchigen auf dem Mittelmeer die eigentlich garantierte Einfahrt in
       sichere Häfen verweigert wird? Wenn ein Kontinent beschließt, in einem
       anderen Kontinent Lager zu errichten?
       
       30 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bert Schulz
       
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