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       # taz.de -- Forscherin über lesbische Geschichte: „Das ist kein Generationending“
       
       > Das Schwule Museum befasst sich mit der Geschichte der Lesbenbewegung am
       > Beispiel des Lesbischen Aktionszentrums. Lara Ledwa hat dazu geforscht.
       
   IMG Bild: Plattencover 1977 (Ausschnitt)
       
       taz: Frau Ledwa, wie kamen Sie als Studentin der Gender Studies dazu, sich
       mit dem Lesbischen Aktionszentrum – kurz LAZ – zu beschäftigen? 
       
       Lara Ledwa: Der Archivbestand zum LAZ im Lesbenarchiv Spinnboden war kaum
       erforscht. Weil ich lesbisch lebe, mich mit feministischen und queeren
       Politiken und Lebensweisen identifiziere, fand ich das total spannend. Das
       LAZ ist eine der ersten Gruppen von Lesben in der BRD. Ich wollte genauer
       hinschauen: Was waren die Lebensrealitäten von Lesben damals? Wofür wollten
       und mussten sie kämpfen? Welche Auseinandersetzungen gab es mit der
       Mehrheitsgesellschaft, aber auch innerhalb der Szene? Und wie setze ich all
       das in Relation zu heutigen lesbischen, feministischen und queeren
       Politiken?
       
       Sie werfen eine explizit queere Perspektive auf das LAZ. Klappt das? 
       
       In meinem Verstehen beinhalten lesbische und feministische Geschichte/n
       immer auch queere Geschichte/n. Für mich macht es wenig Sinn, diese Dinge
       voneinander zu trennen. Mit einer queertheoretischen Perspektive habe ich
       in meiner Masterarbeit zweierlei gefragt: Welche Politiken im LAZ waren
       bündnisoffen und imaginierten ein alternatives, feministisches,
       antikapitalistisches Zusammenleben für möglichst viele marginalisierte
       Menschen? Und welche Politiken hatten problematische Tendenzen wie
       Klassismus, Rassismus und Trans*feindlichkeit?
       
       Wie queer war das LAZ denn? 
       
       Das ist schwierig zu beantworten, weil es so einen „Grad von Queerness“
       konstruiert. Queer bedeutet für mich eine Art zu leben, Politik und auch
       Theorie zu machen, die versucht, komplexe Lebensrealitäten zu bedenken, und
       einem engen Verständnis von Identitäten entgegenzuwirken. Da gab es
       einerseits Prozesse im LAZ, die viele marginalisierte Menschen
       einschlossen. Das LAZ hatte Bündnisse mit Schwulen, mit Gewerkschaften oder
       mit der autonomen Frauenbewegung. Andererseits gab es Prozesse, die eher
       exklusiv wirkten. Zum Beispiel hatte das Erstarken einer
       lesbisch-separatistischen Bewegung die Tendenz, lesbisches Leben als die
       „beste“ Form für ein feministisches Leben zu postulieren. In der Fülle des
       Archivmaterials konnte ich feststellen, dass es immer viele verschiedene
       Positionen im LAZ gegeben hat.
       
       Was ist heute von der Lesbenbewegung übrig? 
       
       Man findet überall Spuren, die sich auf die historischen Lesbenbewegungen
       beziehen: in Kunst und Musik, in den Codes und der Sprache der Subkultur,
       in Beratungs- und Unterstützungsangeboten, der Theoriebildung, in
       politischen Gruppen und Aktionen usw. Aber die Spuren lagern sich ab und
       sind nicht immer als solche für alle sicht- und wahrnehmbar. Das Wissen
       über die Lesbenbewegung ist eben immer noch ein marginalisiertes Wissen.
       
       Junge Lesben definieren sich mittlerweile häufig als queer. Wie wichtig ist
       heute noch die Lesbenbewegung als Bezugsrahmen? 
       
       Ich finde, lesbisch und queer schließen sich nicht aus und sind schwer
       voneinander zu trennen. Viele Menschen, ich auch mich selbst, bezeichnen
       sich als queer in Kombination mit lesbisch. Das kann ein Verständnis von
       lesbisch ausdrücken, das nicht in einem Zweigeschlechtersystem denkt. Auch
       wenn das nicht immer bewusst ist – das ist für mich eine enorme
       Wertschätzung historischer Prozesse. Denn nehmen wir zum Beispiel die
       Butch/Femme-Kultur aus Working-Class-Kontexten der 1950er/60er Jahre. Da
       gab es einen enorm performativen Umgang mit Geschlecht, der auch als queer
       bezeichnet werden kann.
       
       Trotz dieser Wertschätzung und den Kontinuitäten gibt es auch Konflikte
       zwischen den Generationen. 
       
       Ich glaube, problematisch ist es eher, wenn ein Verständnis von Lesbe
       vertreten wird, mit dem ich und andere Menschen – nicht nur junge – sich
       nicht identifizieren können und wollen. Etwa, weil es trans*exklusiv ist
       und keine sexpositiven Politiken vertritt. Ich finde es aber wichtig, das
       nicht als ein „Generationending“ zu postulieren, denn das stimmt so nicht.
       
       In vielen linken Szenen wird schon ein Generationenkonflikt aufgemacht. In
       der lesbischen Szene ist das zum Beispiel die Dichotomie: Die
       Lesbenbewegung der 70er war radikal, die heutigen Queers sind Mainstream. 
       
       Das finde ich schwierig. Ich kenne genauso die umgekehrte Erzählung: Die
       heutigen Queers sind radikal – die Menschen aus den 70er Jahren haben sich
       in ein Mainstream-Leben zurückgezogen und vertreten, wenn überhaupt, nur
       problematische politische Forderungen. Ich glaube, diese Narrative treffen
       partiell zu. Gleichzeitig verunmöglichen sie aber, genauer hinzuschauen.
       Sie erkennen die jeweilige Gruppe nicht in ihren Forderungen und Kontexten
       an. Das kann auch sehr reduzierend sein.
       
       Hat die Ausstellung das Potenzial, das Gespräch über diese Entwicklungen
       anzustoßen? 
       
       Die Macherinnen haben sehr viel Material von damals zusammengetragen. Da
       kann man auf jeden Fall viel entdecken und sich darüber freuen, was das LAZ
       alles Tolles bewegt hat. In der Eröffnungsrede haben sie gesagt, dass sie
       auch die Vergangenheit reflektieren wollen und eine Brücke in die Gegenwart
       schlagen. Das habe ich in der Ausstellung jedoch nicht gesehen. Ich finde
       es wichtig und legitim, einen Überblick darüber zu geben, was war. Spannend
       wäre aber auch gewesen, zu sehen, was die Zeitzeuginnen heute über ihre
       Geschichte denken. Das hätte mich sehr interessiert, weil ich das auch in
       meiner Arbeit mache.
       
       13 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Clara Woopen
       
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