URI: 
       # taz.de -- Kolumne Heult doch!: Lebensfragen in aller Herrgottsfrühe
       
       > Ist die Uroma jetzt vielleicht eine Katze? Kinder reden gern. Am liebsten
       > ganz früh morgens – über das luftig-leichte Sommerthema Tod zum Beispiel.
       
   IMG Bild: Sind so Kinderfragen: Sitzt die Uroma vielleicht auf einer Wolke über Berlin?
       
       Mitten im Sommerloch treiben meine Kinder die richtig schweren Themen um.
       Der Kleine möchte vorzugsweise über das luftig-leichte Sommerthema Tod
       sprechen, den Großen beschäftigt die ungelöste Frage der Gleichberechtigung
       von Mann und Frau. Am liebsten werden diese Diskussionen in aller
       Herrgottsfrühe geführt. Ein Löffel [1][Honigmüsli] und – wham – sind die
       beiden wach, noch bevor bei mir der erste Kaffee einschlägt.
       
       Und so hält der Kleine plötzlich gedankenverloren inne beim Müslilöffeln,
       der Löffel rutscht ihm in eine gefährliche Schräglage, die Milch tropft als
       kleine Pfütze erst auf die Hose und dann unter den Tisch, und das Kind
       fragt zum wiederholten Male und mit großem Ernst, ob denn seine Oma
       eigentlich schon tot sei?
       
       Den Großen bringt das regelmäßig auf die Palme. „Boah, deine Oma hat uns
       doch gerade erst angerufen, klar lebt die noch!“ Das ficht den Kleinen aber
       nicht an. Ob denn der Opa schon tot ist? Und die Ritter? Bei den
       Dinosauriern ist er sich sicher: „Die sind ausgestorben.“ Das letzte Wort
       betont er neuerdings geradezu ehrfürchtig.
       
       Neulich, wir hatten gerade geklärt, dass seine Uroma schon vor wahnsinnig
       langer Zeit gestorben ist, hielt er den Löffel besonders lange in
       konzentrierter Schieflage. Er wollte wissen, wo die Uroma denn jetzt hin
       sei. Das fand ich eine schwierige Frage – sowieso und ganz besonders
       morgens um 6.45 Uhr. Hm, sagte ich deshalb. „Na, Uroma sitzt oben im
       Himmel, hab ich dir doch gestern schon gesagt“, sagt der Große
       dankenswerterweise. „Wenn man dran glaubt“, schränke ich ein.
       
       Der Kleine ist interessiert. Ob die Uroma dann auch über die Wolken hüpfen
       könne? Ja, vielleicht, bestimmt, sage ich. „Kann aber auch sein, dass deine
       Uroma als Katze wieder auf die Erde gekommen ist. Daran glauben auch
       manche“, sagt der Große wissend. Der Kleine lacht sich kaputt über seine
       unbekannte Uroma als Katze, und ich sage, dass es auch sein kann, dass man
       einfach für immer schläft, wenn man tot ist. Aber so genau wisse man das
       eben nicht.
       
       ## Zu viel Beten ist auf Dauer nicht gesund
       
       Das Kind ist in einer evangelischen Kita, es war die nächstgelegene mit
       einem freien Platz und noch dazu die mit den besten Öffnungszeiten. Ich
       glaube nicht, dass ein „Amen“ vor dem Mittagessen von montags bis freitags
       großen Schaden anrichtet. Aber ich glaube, dass zu viel Beten auf die Dauer
       nicht gesund ist. Ich habe das Gefühl, da ab und an ein bisschen Prävention
       betreiben zu müssen.
       
       Die tote Uroma war dann ohnehin erledigt, weil der Große wieder mit seinem
       Frauenthema ankam. Er habe gehört, dass Frauen „total lange“ überhaupt
       nicht wählen gehen durften! Er ist ehrlich empört. „Mama, warum eigentlich
       nicht?“ – „Weil die Männer behaupteten, dafür hätten Frauen kein
       Verständnis und das interessiere sie ohnehin nicht“, sage ich.
       
       „Hä, und was sollte sie dann sonst interessieren?“, fragt das Kind, und
       gibt sich sogleich selbst die Antwort: „Ah, ich weiß schon, Haushalt und
       Kinder und so. Deshalb durften sie auch nicht alle Berufe machen, die sie
       wollten.“ Denkpause. „Aber, Mama, die Kinder werden doch groß!“, sagt das
       Kind nach einer Weile irritiert.
       
       „Exakt“, sage ich. Und dass das Geschlecht für kompetente
       Wahlentscheidungen ja nun auch logischerweise unerheblich sei, man sich
       aber eine Weile geweigert habe, das zu erkennen, weil man Angst vor klugen
       Frauen hatte. Und dass heute aber auch noch nicht alles in Butter sei weil,
       stell dir vor mein Kind, die Lohnlücke und so weiter. Mein Kind findet die
       Lohnlücke ungerecht, sieht aber immerhin den Fortschritt, dass ich mir
       meinen Beruf selbst aussuchen durfte.
       
       „Als Oma und Opa jung waren, war das übrigens noch nicht so“, sage ich.
       Doch die Erwähnung von Oma und Opa war ein Fehler. Der Kleine hört auf, die
       Blaubeeren aus seinem Müsli zu pulen, hält den Löffel schräg und fängt an
       zu heulen. „Mama, ich will aber nicht ausgestorben sein!“, brüllt er bei
       der Erwähnung seiner Großeltern. „Ich auch nicht, echt nicht“, seufze ich –
       und verabschiede mich gedanklich in den Urlaub. Ich fürchte, dieses Jahr
       fährt Uroma mit.
       
       14 Jul 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%BCsli
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Klöpper
       
       ## TAGS
       
   DIR Heult doch!
   DIR Sterben
   DIR Sommer
   DIR Großeltern
   DIR Heult doch!
   DIR Heult doch!
   DIR Heult doch!
   DIR Eltern
   DIR Kita
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kolumne „Heult doch!“: Kinder werden einfach zu schnell groß
       
       Wenn der große Sohn mit neun erklärt, schon „halb volljährig“ zu sein. Und
       der kleine Sohn immer schlauer wird: Eine Art vorgezogenes
       Empty-Nest-Syndrom?
       
   DIR Kolumne Heult doch!: Der Toni Kroos in Glitz
       
       Dass das Kind neuerdings besonderes Interesse an den Einkäufen der Eltern
       zeigt, hängt mit Lücken im Mittelfeld bei der Fußball-Weltmeisterschaft
       zusammen.
       
   DIR Kolumne Heult doch!: „Sag mal Nintendo Switch!“
       
       Toll, dass der Dreijährige endlich gerade Sätze sprechen kann. Wenn die
       Lieblingswörter nur nicht „blöd“ und „warum“ wären.
       
   DIR Kolumne Heult doch!: Zum Glück sind wir alle gut erzogen
       
       Mit Kindern im Ruhebereich des ICE: Das Unverständnis zwischen Eltern und
       Nicht-Eltern entlädt sich mitunter in erstaunlichen Rücksichtslosigkeiten.
       
   DIR Kolume Heult doch!: Problemeltern in der Kita-Garderobe
       
       Nasenbisse sind doch eigentlich kein Ding. Oder doch? Blöd, wenn das
       Problemkind in der Kita plötzlich ausgerechnet das eigene ist.