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       # taz.de -- Comedy-Star Hannah Gadsby: Die Prügel zum Schluss
       
       > Die australische Comedian Hannah Gadsby rechnet in ihrer Show mit der
       > Comedy-Branche ab. Dafür wird sie gefeiert.
       
   IMG Bild: Die australische Comedian Hannah Gadsby beendet mit ihrer Netflix Show „Nanette“ ihre Karriere
       
       Hannah Gadsby macht Schluss. Mit dem, was sie seit zwölf Jahren macht und
       kann: Comedy. Sie hört auf, weil sie das Wesen ihrer Kunst, die Architektur
       ihrer Gags nicht mehr erträgt. Denn Hannah Gadsbys Comedy war vor allem:
       Witze über Hannah Gadsby – über ihr Leben als lesbische Frau, als dicke,
       „fehlerhaft weiblich“ aussehende Frau, über homophobe Anfeindungen und
       ignorante Familienmitglieder.
       
       Das ist, wenn man so will, die Pointe von „Nanette“, Gadsbys Show auf
       Netflix, die gerade [1][in den Feuilletons diskutiert wird]: Hannah Gadsby
       geht der Comedystoff aus – weil sie sich nicht mehr selbst erniedrigen
       will.
       
       „Nanette“ ist der Zusammenschnitt eines Liveauftritts von Gadsby in der
       Oper in Sydney. Die Sendung beginnt wie klassische Comedy: Gadsby erzählt,
       wie sie in ihrer konservativen Heimatstadt in Tasmanien immer für einen
       Mann gehalten wurde. Wie sie lange Zeit mehr „Fakten“ über Einhörner wusste
       als über lesbische Frauen. Wie sie ihrer Oma anlog, als die fragte, ob
       Gadsby denn nun endlich mal einen Freund hätte. Und: Wie sie einmal an
       einer Bushaltestelle fast verprügelt worden wäre, weil ein Typ dachte, dass
       Gadsby mit seiner Freundin flirtete. Als er erkannte, dass Gadsby eine Frau
       war, sagte er: „Ich schlage keine Frauen.“ Lacher.
       
       So läuft die Sendung etwa eine halbe Stunde – dann kippt die Stimmung, als
       Gadsby das Genre Comedy infrage stellt: In einer Branche, sagt sie, in der
       Witze immer gleich funktionieren, nämlich immer aus Anfang und Pointe
       bestehen, fällt die eigentliche Geschichte weg. Die Geschichte, die über
       das „Haha“ hinausgeht, die von Verletzung handelt und von der harten Suche
       nach sich selbst.
       
       ## Die Geschichten fehlen
       
       Gadsby erzählt mit zitternder Stimme, wie viel Kraft es sie gekostet habe,
       zu ihrem Lesbischsein zu stehen – und sich trotzdem selbst zu lieben. Wie
       sehr diese Selbstliebe aber darunter gelitten habe, dass Gadsby jahrelang
       auf den Bühnen dieser Welt Witze über sich und ihre Biografie gemacht hat.
       
       Wie sie die eigentlich wichtigen Passagen ihrer Biografie aber ausgespart
       hatte: zum Beispiel die, dass der Typ an der Bushaltestelle letztlich doch
       zurück kam, um Gadsby zu verprügeln. Dass sich Gadsby danach aber nicht
       traute, zum Arzt zu gehen, weil sie dachte, Prügel, das sei das, was sie
       als lesbische Frau verdiene.
       
       Gadsby wird explizit, spricht über noch mehr Gewalt, physische und
       psychische, die sie im Laufe ihres Lebens ertragen musste. Ganz nebenbei
       spannt sie den Bogen zu sexueller Gewalt, zu Männerdominanz und Homophobie
       in der Kunst, der Politik und vielen gesellschaftlichen Debatten.
       
       Wegen all dem, kommt Gadsby schließlich zum Punkt, könne sie nun nicht
       anders, als aufzuhören.
       
       ## Geht es überhaupt anders?
       
       In den Feuilltons debattieren Kulturjournalisten seit „Nanette“, ob Gadsbys
       Show überhaupt Comedy war – oder nicht eher „Stand-Up-Dramedy“. Andere
       finden, dass [2][Comedy nun neu definiert] [3][werden müsse] – weil Gadsby
       all das erschüttert, was wir bisher für witzig gehalten haben.
       
       Das stimmt schon, nur ist diese Hoffnung wahrscheinlich ein bisschen
       überzogen. Zwar sind in den vergangenen Jahren die Komiker Louis C.K und
       Bill Cosby über Belästigungsvorwürfe gestolpert, frei von Sexismus ist die
       Branche trotzdem nicht. Natürlich wäre es toll, wenn diese eine harte,
       kluge, rührende Show reichen würde, um all die Mario Barths aus der
       Comedy-Welt zu drängen. Nur sitzen die da eben leider ziemlich fest – und
       satt ihrer wirft jetzt Hannah Gadsby hin.
       
       Aber es wäre ja auch schon viel gewonnen, wenn mehr Comedians wie Hannah
       Gadsby die großen Bühnen bespielen und dort testen würden, wie das gehen
       kann: Witze, die nicht auf dem Erniedrigen anderer basieren. Netflix hat
       gerade [4][eine große Comedy-Offensive angekündigt], und will Comedians
       (zum Großteil männliche, versteht sich) aus der ganzen Welt auf die Bühnen
       bringen. Vielleicht ist da ja eine Gadsby-Erbin dabei.
       
       15 Jul 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.nytimes.com/2018/07/13/arts/television/nanette-hannah-gadsby-netflix-roundup.html#click=https://t.co/QDm7UvBft2
   DIR [2] https://www.zeit.de/2018/29/hannah-gadsby-netflix-auftritt-nanette
   DIR [3] https://meedia.de/2018/07/13/das-ist-die-netflix-sendung-ueber-die-alle-sprechen-warum-hannah-gadsbys-show-nanette-stand-up-comedy-wohl-fuer-immer-veraendern-wird/
   DIR [4] https://www.dwdl.de/nachrichten/67765/comedians_der_welt_vereinigt_euch__bei_netflix/
       
       ## AUTOREN
       
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