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       # taz.de -- Mauerradweg in Berlin: Geschichts-Erfahrung mit Lücken
       
       > Der Mauerradweg auf dem alten Grenzstreifen rund um Westberlin ist in
       > desolatem Zustand. Rot-Schwarz hat ihn vernachlässigt. Der Beginn der
       > Sanierung ist offen.
       
   IMG Bild: Hier wird auch gerannt: TeilnehmerInnen des Ultramarathons „100 Meilen Berlin“ 2014 auf dem Mauerradweg
       
       „Where is the wall?“ Fast 30 Jahre nach dem Fall der Mauer ist dies oft die
       erste Frage vieler Touristen, wenn sie in Berlin ankommen. Der Wunsch, die
       jüngste Geschichte anschaulich nachvollziehen zu können, ist weiterhin
       untrennbar mit dieser Stadt verbunden. Allerdings ist von der Mauer nicht
       mehr viel zu sehen. Zu groß war die Euphorie über ihr Ende 1989 und 1990,
       als dass jemand sie damals umfassend konservieren wollte.
       
       Umso erstaunlicher, dass das Land ausgerechnet jene Attraktion verfallen
       lässt, auf der die Dimension des einstigen Grenzwalls im wahrsten Sinne des
       Wortes erfahrbar wird: den Mauerradweg. Die rund 160 Kilometer lange Route
       entlang des alten Grenzstreifens rund um Westberlin wurde ab 2001 auf
       Initiative des grünen Abgeordneten Michael Cramer eingerichtet. Ganz
       vollständig war der Weg nie, weil sich einige Eigentümer weigern, ihre
       Grundstück dafür herzugeben. Auch fehlen immer mal wieder kleine
       Teilstücke, wo man vom Radweg auf die Straße ausweichen muss.
       
       Aber in den vergangenen Jahren ist die Touristenattraktion regelrecht
       vernachlässigt worden. Das zeigt ein Zwischenbericht der Senatsverwaltung
       für Umwelt und Verkehr für die Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Ende
       Mai, entstanden auf Druck des Abgeordnetenhauses.
       
       Danach wurde zwar 2010 ein sehr detailierter Plan von der landeseigenen
       Grün Berlin GmbH erstellt, auf welchen Abschnitten des Mauerradwegs
       „kurzfristig“, „mittelfristig“ und „langfristig“ Mängel behoben werden
       müssten. Demnach waren fast zehn Kilometer, sechs Prozent des Gesamtwegs,
       mit der Priorität „Rot“ versehen, da dort „durch erhebliche Mängel
       Unfallgefahr oder die Gefahr der Schädigung des Fahrrads besteht“.
       
       Laut Verkehrsverwaltung wurden allerdings seitdem lediglich knapp fünf
       Kilometer Radweg ausgebessert. Und keine dieser Maßnahmen erfolgte unter
       der SPD-CDU-Regierung von 2011 bis 2016.
       
       „Der Mauerweg ist in der gemeinsamen Regierungszeit von SPD und CDU
       sträflich vernachlässigt worden“, kritisiert der grüne
       Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar, von 2011 bis 2016 Mitglied des
       Abgeordnetenhaus. „Das muss nun nachgearbeitet werden.“ Tatsächlich hat
       sich Rot-Rot-Grün im Koalitionsvertrag Ende 2016 dazu bekannt, „gemeinsam
       mit dem Land Brandenburg die schadhaften Stellen des Mauerwegs zu
       beseitigen und die Defizite zu beheben“. Uneinig ist man sich jedoch, wie
       das geschehen soll.
       
       Gelbhaar fordert, den Weg unter Denkmalschutz zu stellen: „Den Mauerweg in
       seiner Gesamtheit als ein Stück Weltgeschichte zu sichern, geht langfristig
       nur so.“ Die Vernachlässigung unter der rot-schwarzen Regierungs sei ein
       Beleg dafür. Gelbhaar will den Weg als „sogenannten Denkmalbereich“ unter
       Schutz stellen; damit sei gewährleistet, dass auch künftig Veränderungen
       möglich sind, etwa Straßenübergänge sicher zu gestalten.
       
       Die Senatsverkehrsverwaltung kommt allerdings zu einem anderen Schluss. Den
       Weg als Denkmal auszuweisen sei langfristig die falsche Strategie, da
       „hierdurch eine weitere Entwicklung des Mauerweges erschwert würde“,
       schreibt sie in ihrem Bericht.Noch deutlicher äußert sich das
       Landesdenkmalamt Berlin: Ein Denkmalschutz für den Weg sei gar nicht
       möglich, schreibt es auf Anfrage.
       
       Denn: Erstens müssten Denkmale aus der Vergangenheit stammen; dies sei bei
       dem nach 2001 angelegten Weg nicht der Fall. Zudem müssten sie „physische
       Gegenstände sein und als Zeugen der Vergangenheit historische Substanz“
       aufweisen. Das Brandenburger Landesdenkmalamt teile diese Einschätzung.
       
       Der Verkehrsexperte der SPD im Abgeordnetenhaus, Tino Schopf, hält die
       Einschätzung der Senatsverwaltung hingegen für nachvollziehbar. Wichtig sei
       ihm, „die nötigen Maßnahmen auf dem Mauerweg so schnell wie möglich
       umzusetzen.“
       
       Das wird teuer. Die Verkehrsverwaltung rechnet mit knapp zehn Millionen
       Euro Kosten, etwa ein Drittel mehr als noch 2010 von der Grün Berlin GmbH
       veranschlagt. Schopf drängt dennoch darauf, das Projekt schnell anzugehen,
       sonst werde es am Ende noch teurer. Denn: „Die Erinnerung an die Todesopfer
       der SED-Diktatur darf man nicht so verlottern lassen.“
       
       In diesem Jahr wird daraus jedoch nichts mehr. Angesichts der „notwendigen
       umfangreichen Bestandserhebungen“ wird die Senatsverwaltung für Verkehr
       erst Ende Dezember ihren endgültigen Bericht vorlegen und darlegen, welche
       Maßnahmen nötig sind.
       
       Gelbhaar will derweil den Bund stärker in die Pflicht nehmen, schließlich
       sei der Eigentümer mehrerer Mauergrundstücke: „Ich werde die
       Bundesregierung und insbesondere die Kulturstaatsministerin fragen, ob in
       Zukunft mehr Engagement zu erwarten ist.“
       
       17 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bert Schulz
       
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