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       # taz.de -- Ausstellung „[Control] No Control“: Unter Kontrolle
       
       > In der Hamburger Kunsthalle fragt die Ausstellung „[Control] No Control“,
       > wie Bilder zur Ausübung von Macht dienen können.
       
   IMG Bild: Düsseldorfer Hinterhöfe, mit der Nachtsichtkamera in Kriegsgebiete übersetzt: Thomas Ruff, „Nacht 2 II“ (1992)
       
       HAMBURG taz | Wer ist sich schon rund um die Uhr bewusst, wie das eigene
       Tun gesehen wird? Welche Bilder entstehen durch mein Handeln? Sind die
       eigenen Verhaltensmuster vielleicht für andere in ganz anderer Weise
       bedeutend? Was machen Beobachter aus dem für das Selbst doch meist
       sinnvollen Alltag?
       
       Heute geht es bei solchen Überlegungen meist um Spuren in den
       elektronischen Medien. Aber das Problem ist älter, es ist eine Frage nach
       der Konstruktion der sozialen Wahrnehmung.
       
       Um sich selbst besser zu verstehen, hat die Französin Sophie Calle schon
       1981 einen Privatdetektiv gegen sich selbst beauftragt. Wer nun die
       entstandenen Bild-Texttafeln liest, muss sich wundern: Auch das Publikum
       wird niemals wirklich herausfinden, was an Erkenntnissen über das Leben der
       Künstlerin wahr ist, was inszeniert und was nur Vermutung. Und bei einem
       Kunstprojekt ist ohnehin nicht sicher, ob diese ganze Idee nicht nur
       vorgespielt ist.
       
       Dergleichen romanhafte Unsicherheit wäre sogar amüsant, wenn nicht
       inzwischen im Alltag von allen Ansehen, Vertrauen, Kredite, ja
       Lebenschancen in hohem Maß von Überwachung und medialer Kontrolle abhingen.
       Und das Bild ist deren wichtigster Beleg.
       
       ## Ein Oval Office aus Papier und Pappe
       
       Die Ausstellung „[Control] No Control“ in der Hamburger Kunsthalle ist
       einer der konzeptuell brisanteren Teile der diesjährigen Hamburger
       Triennale der Photographie. Hier geht es nicht um Fotos als historische
       Dokumente oder schöne Kunst, es geht um Bilder zur Ausübung von Macht.
       
       Inhaltlich reicht das vom Präsidentenschreibtisch bis zum Grenzregime,
       technisch vom Guckkasten bis zur Künstlichen Intelligenz. Die 15
       ausgewählten Künstler*innen forschen in Bildarchiven, fragen nach
       Kontexten, nach Realitätsbezug und verborgenen Informationen. Mitunter
       versuchen sie, die gleichen Techniken, wie Staat und Militär zu nutzen:
       Nachtsichtgeräte und kaum vorstellbar effiziente Hochleistungskameras.
       
       Der Rundgang beginnt mit ganz einfachen Fragen: danach, was denn ein Bild
       sei. Thomas Demands Fotos aus dem Heiligtum der US-amerikanischen Politik,
       dem Oval Office im Weißen Haus, bebildern in großer Nähe den Ort der Macht.
       Doch der Künstler baut seine Bilder akribisch als 1:1-Modelle aus Papier
       und Pappe im Atelier: Der Ort des Handelns wird zur theatralischen
       Vorstellung seiner selbst.
       
       ## Ein Haufen grün bedrucktes Papier
       
       Einfacher ist die Botschaft bei Anette Kelm: Ihr Haufen grün bedruckten
       Papiers ist als Dollarbild erkennbar, spätestens wenn die Noten das Wort
       „MONEY“ bilden.
       
       Es folgt ein Intermezzo mit Skulptur: In Aluminiumguss macht Bogomir Ecker
       sichtbar, wie viele unterschiedliche Apparaturen nötig waren, um Bilder
       überhaupt zu erzeugen. Daneben hat der Bildersammler Peter Piller sich für
       seine Serie „Möglichkeitssinn“ in Polizei- und Bundeswehrarchiven
       umgesehen. In einer ganzen Menge der daraus reproduzierten Fotos wurde wohl
       einst ein Sachverhalt dokumentiert. Aber ohne Wissen darum, was das Bild
       belegen soll, belegt es rein gar nichts: Alles kann Waffe werden, überall
       ein Tatort sein.
       
       Durch Unmengen von ähnlichen Informationen lernen aber die Maschinen. Eine
       wahre Bilderflut von Objekten, Gesichtern, Gesten und Aktionen füttert
       Datenbanken, um die Künstliche Intelligenz zu speisen. Was diese KI daraus
       machen könnte, imaginiert Trevor Paglen in seinem teils verpixelten Video:
       Es ist mit einer suggestiven elektronischen Musik unterlegt, die aus den
       zum gleichen Wiedererkennungszweck den Maschinen eingespeisten Stimmen und
       Geräuschen komponiert wurde: Schöne Grüße aus der vielleicht längst
       eingetretenen Zukunft.
       
       ## Bild-Technik des Kampfes
       
       Zu den ungemütlicheren Teilen der Ausstellung gehört der
       politisch-militärische Komplex. Der 2014 verstorbene Dokumentarfilmer Harun
       Farocki stellt in „Auge/Maschine“ dar, wie sehr visuelle Kriegstechnologien
       das zivile Leben durchdrungen haben. Und wie sehr zivile Kommunikation zum
       Geschäfts- und Kontrollmodell geworden ist, zeigt aktuell die Dokumentation
       der durchaus unbefriedigenden Anhörung zum Datenschutz von Facebook-Boss
       Mark Zuckerberg im US-Senat.
       
       Als Reaktion auf die Medienbilder zum Golfkrieg rückt Thomas Ruff an sich
       belanglose Motive aus Düsseldorfer Hinterhöfen mittels Nachtsichtkamera in
       die Anmutung von Kriegsreportagen und befreit eine vom Kampf dominierte
       bildgebende Technik zur Kunstsprache.
       
       Sprache selbst kann zum Bild werden, zumindest in der Verweigerung von
       Information: Jenny Holzer reproduziert in großformatigen handgeschöpften
       Drucken „Top Secret“-Papiere der CIA. Ausgerechnet bis auf das Stichwort
       Waterboarding ist der übrige Text der ganzen Seite geschwärzt.
       
       Ebenso machen der Fotograf Edmund Clark und der Anti-Terror-Ermittler
       Crofton Black das Ergebnis von Kontrolle sichtbar: An verschleppte und
       verschwundene Personen erinnern sie in einer großen Collage mit
       geschwärzten Belegen und verpixelten Fotos.
       
       Unbedingt überwältigen aber will Richard Mosse: Sein 2014 – 2017
       produziertes Dreikanal-Video „Incoming“ zeigt in falschfarbigem
       Schwarz-Weiß Menschen auf der Flucht. In Stadt und Land, auf dem Meer und
       für den Blick in den von Vögeln und Kampfmaschinen geteilten Himmel benutzt
       er eine waffentaugliche Wärmekamera, die speziell menschliche Körper auf
       über 30 Kilometer Entfernung aufspüren kann.
       
       Das Leiden und die Agonie derer in den überfüllten Fahrzeugen und Booten,
       die wie außerirdisch dagegengesetzte technische Macht des Militärs, schon
       das kalte Glitzern der Rettungsfolien: Diese Bilder scheinen von einem
       anderen Planeten. Aber all das passiert hier, in Nordafrika, in Südeuropa ,
       auf dem Mittelmeer. Egal was die moralischen und politischen Folgerungen
       sind: Es soll niemand sagen, er hätte es nicht gesehen.
       
       19 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR hajo schiff
       
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