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       # taz.de -- Forschungsförderung in Deutschland: Füllhörner für die Wissenschaft
       
       > Wohin fließen die mehr als 21 Milliarden Euro Forschungsförderung der
       > Öffentlichen Hand? Der neue Förderatlas Gibt Auskunft.
       
   IMG Bild: Ein Chemo-Chip, entwickelt am Institut für Halbleiter- und Mikrosystemtechnik der TU Dresden
       
       Berlin taz | Alle drei Jahre veröffentlicht die Deutsche
       Forschungsgemeinschaft (DFG) ein großes Datenwerk über die Finanzflüsse in
       der Wissenschaft: den DFG-Förderatlas. In dieser Statistik sind mehrere
       Zehntausend Daten über die öffentlich finanzierte Forschung verdichtet
       worden, sowohl aus der DFG, von Ministerien und der EU wie auch der
       Industrie. Nach Aussage von DFG-Präsident Peter Strohschneider verkörpert
       der Forschungsatlas „das unfangreichste Kompendium zur
       Forschungsfinanzierung, das es in Deutschland gibt“.
       
       Im neuen [1][Förderatlas 2018,] der jetzt in Berlin vorgestellt wurde, sind
       die Forschungsgelder erfasst, die von vier Mittelgebern in den Jahren 2014
       bis 2016 vergeben wurden. Die DFG-Bewilligungen umfassen 8,2 Milliarden
       Euro, wovon 7,3 Milliarden in die Hochschulen gingen, der Rest an
       außeruniversitäre Forschungsinstitute. Die FuE-Projektförderung der
       Bundesministerien ist mit 10,5 Milliarden Euro aufgeführt, das EU-Programm
       „Horizon 2020“ mit 3,9 Milliarden sowie die industrielle
       Gemeinschaftsforschung (AiF) mit 418 Millionen Euro. Von der Gesamtsumme
       von 23,1 Milliarden Euro erhielten die Hochschulen 12,7 Milliarden, die
       außeruniversitären Institute 5,8 und FuE-Einrichtungen der Wirtschaft 4,6
       Milliarden Euro.
       
       Weil die DFG ihre Fördermittel im Wettbewerb der Forscher nach strengen
       fachlichen Bewertungsmaßstäben vergibt, sind diese Drittmittel über die
       reine Finanzzahl hinaus zugleich ein „Ausweis von Forschungsqualität und
       wesentliches Element der Qualitätsicherung im Wissenschaftssystem“, so
       Strohschneider.
       
       Wer sind nach diesem Kriterium die forschungsstärksten Hochschulen in
       Deutschland? Die Antwort darauf ergibt sich aus den Bewilligungen der DFG
       für die Jahre 2014 bis 2016. Danach liegt die Ludwig-Maximilian-Universität
       München mit einer Gesamtsumme von 315,8 Millionen Euro wie auch schon in
       den Vorjahren an der Spitze. Es folgen auf den Plätzen Silber und Bronze
       die Uni Heidelberg mit 292 Millionen und die RWTH Aachen mit 281 Millionen.
       Das Feld der besten 10 wird komplettiert durch die TU München, FU Berlin,
       TU Dresden, Uni Freiburg, Uni Tübingen, HU Berlin und Uni Göttingen.
       
       Bemerkenswert ist der Aufstieg der TU Dresden als beste ostdeutsche
       Hochschule insgesamt. (Unter den 40 drittmittelstärksten Hochschulen sind
       nur vier aus dem Osten, neben Dresden auch die Humboldt-Uni Berlin, Jena
       und Halle-Wittenberg). Dresden machte von 2015 zu 2018 einen Sprung von
       Platz 10 auf 6, indem sie ihre Drittmittel um 35 Prozent auf nunmehr knapp
       260 Mio Euro erhöhen konnte. Neben dem Gewinn des Titels einer
       Exzellenz-Hochschule mit entsprechenden Fördermitteln ist ein weiterer
       Grund im „wissenschaftlich-industriellen Ökosystem“ der sächsischen
       Hauptstadt zu sehen, wo seit der Wende ein Schwerpunkt der Mikroelektronik
       entstanden ist.
       
       ## Die Unis mit den meisten Drittmitteln
       
       Andere Rangfolgen ergeben sich, wegen unterschiedlicher Hochschulprofile,
       beim Blick auf die vier großen Fächergruppen. In den Geistes- und
       Sozialwissenschaften konnten die beiden Berliner Unis FU und HU die meisten
       Drittmittel einwerben. In den Lebenswissenschaften einschließlich der
       Medizin liegen die LMU München und die Uni Heidelberg vorne. Bei den
       Naturwissenschaften führend sind die Unis in Mainz, Hamburg und Bonn. In
       den Ingenieurwissenschaften dominieren keineswegs nur die Technischen
       Universitäten, denn der Aachener TH folgt auf Rang 2 die Universität
       Erlangen-Nürnberg.
       
       Aber auch kleinere Unis können „forschungstark“ sein, wie sich zeigt, wenn
       die Bewilligungen mit der Zahl der Professuren ins Verhältnis gesetzt wird.
       An der Bodensee-Uni Konstanz wird pro Lehrstuhl so viel Forschungsgeld
       eingeworben, dass man im Ranking auf Platz 2 hinter der Uni Freiburg
       landet. Bezogen auf das wissenschaftliche Personal insgesamt liegt Konstanz
       sogar an der Spitze.
       
       Ein besonderer Akzent des Atlas liegt diesmal auf der Forschungsförderung
       in der Europäischen Union (EU). Hier zeigt sich, dass vor allem zwei Länder
       am meisten von den Geldern des Brüsseler EU-Haushalts profitieren. An
       erster Stelle Deutschland, das in den Jahren 2014 bis 2016 insgesamt 3,9
       Milliarden Euro aus dem Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“ erhielt,
       vor Großbritannien mit 3,6 Milliarden. Dass die Briten mit dem „Brexit“ aus
       diesem Fördersystem aussteigen wollen, stellt nach Worten Strohschneiders
       die „Wissenschaft in Deutschland, Großbritannien und ganz Europa vor große
       Herausforderungen“.
       
       Aus Sicht der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) enthält der Förderatlas ein
       wichtiges Signal für die Hochschulfinanzierung generell. Sorge bereitet
       hier der starke Anstieg der sogenannten „Drittmittelquote“, dem Anteil der
       zusätzlichen Fördergelder an der Grundfinanzierung durch die Bundesländer.
       Wie HRK-Vizepräsident Ulrich Rüdiger bei Vorstellung der Zahlen betonte,
       habe sich die Drittmittelquote nach vielen Jahren des Anstiegs „seit 2013
       auf einem hohen Niveau stabilisiert“ und liege nun bei rund 27 Prozent.
       „Ich hoffe sehr, das ist nicht nur eine Momentaufnahme, sondern die endlich
       überfällige Trendwende“, erklärte Rüdiger. Schließlich bilde die
       Grundausstattung das „stabile Rückgrat der Hochschulen“ – für die Lehre,
       auch die kleinen Fächer und den Transfer –, was aber „von der Politik seit
       vielen Jahren sträflich vernachlässigt worden“ sei.
       
       ## Suche nach Alternativen
       
       Die Drittmittelquote stagniert, weil der Staat mehr Geld in die Hochschulen
       gibt, aber gleichzeitig die Wirtschaft weniger. Auf diesen Trend macht
       Andreas Schlüter, Generalsekretär des Stifterverbandes für die Deutsche
       Wissenschaft, aufmerksam. Während die Ausgaben der deutschen Unternehmen
       für Forschung und Entwicklung in 2015 gegenüber dem Vorjahr um 4 Milliarden
       Euro auf 61 Milliarden Euro gestiegen sei, sind die Drittmittel von
       Unternehmen an Hochschulen um 1,8 Prozent auf 1,4 Milliarden Euro gesunken.
       Mit andern Worten: In Sachen Forschung verlieren die deutschen Hochschulen
       für die deutsche Wirtschaft an Attraktivität. Was ist der Grund?
       
       Aus Sicht Schlüters spielen drei Faktoren eine Rolle: Andere Länder holen
       auf, etwa Osteuropa und Asien in technischen Fächern; zudem lassen neue
       Innovationsprozesse die Firmen mehr in unternehmensbezogenen Netzwerken
       forschen. Schließlich türmen sich neue Hürden durch die Gesetzgebung auf.
       Der Trend birgt aus Sicht des Stifterverbands eine langfristige Gefahr,
       indem sich „forschungsintensive Unternehmen zunehmend von einer starken
       Grundlagenforschung entfernen“, warnte Schlüter. Dadurch leide die
       „Fähigkeit für einen strategischen und kontrollierten Strukturwandel“. Das
       Beispiel der Künstlichen Intelligenz in Deutschland zeigt, wie die Politik
       auf solche Defizite nur noch mit Hauruck-Reaktionen reagieren kann.
       
       23 Jul 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.dfg.de/sites/foerderatlas2018/index.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Manfred Ronzheimer
       
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