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       # taz.de -- Proteste in der Serbischen Republik: Gerechtigkeit für David Dragičević
       
       > Seit Monaten demonstrieren in Banja Luka Tausende für die Aufklärung
       > eines Mordes. Ihr Verdacht: Der Staat schützt die Mörder.
       
   IMG Bild: Davor Dragicevic, der Vater des Ermordeten, protestiert gemeinsam mit anderen in Banja Luka
       
       Banja Luka taz | Wie ein stahlharter Kämpfer gegen die Diktatur sieht er
       nicht aus. Der 27-jährige Stefan Blagić hat noch die weichen Züge eines
       Teenagers, seine Stimme ist leise, er formuliert seine Sätze wohlüberlegt.
       Dass er an diesem Abend des 7. Juli nach einer Demonstration von 15.000
       Menschen seitens des Regimes öffentlich als „Drogendealer“ und
       „Krimineller“ beschimpft worden ist und zusammen mit seinen Mitstreitern
       als „Verbrecherbande“, hat ihn sichtlich überrascht.
       
       Ihre Adressen waren in den regierungstreuen Medien Banja Lukas genannt
       worden, der mit 250.000 Einwohnern zweitgrößten Stadt in Bosnien und
       Herzegowina, die zugleich Hauptstadt der Republika Srpska, also des
       serbischen Teilstaates, ist. Das las sich wie eine Aufforderung, gewaltsam
       gegen die Gruppe vorzugehen.
       
       Vor ein paar Monaten noch hätte sich Blagić kaum vorstellen können,
       „vogelfrei“ zu werden. Vor eineinhalb Jahren erst hatte er mit Freunden die
       NGO „Restart“ gegründet. In Banja Luka hatte es in den letzten zehn Jahren
       immer mal wieder Oppositionsbewegungen gegeben, die jedoch isoliert
       geblieben waren.
       
       ## Neue politische Dynamik
       
       „Wir wir wollen diesen Staat mit friedlichen Mitteln demokratisieren und
       eine Erneuerung des serbischen Teilstaats“, definiert Blagić den
       wichtigsten Inhalt ihrer Arbeit. Einige Tausend junge Menschen hätten sich
       der Gruppe mittlerweile angeschlossen.
       
       „Mit dem Tod des 21-jährigen David Dragičević hat sich eine neue politische
       Dynamik entwickelt, mit der alles viel größer und ernster geworden ist“,
       erzählt Blagić. Die Kampagne „Gerechtigkeit für David“ (Pravda za Davida)
       wühle viele, vor allem junge Menschen, in der serbischen Teilrepublik auf
       und hat den Konflikt von Restart mit den Herrschenden verschärft.
       
       Als David in der Nacht vom 17. März verschwand und 6 Tage später als Leiche
       in dem Flüsschen Crkvena auftauchte, forderten Freunde und Familie des
       Toten Aufklärung der Umstände seines Todes. Die Behörden behaupteten, David
       habe Drogen genommen und sei vor seinem Tod in eine Wohnung eingebrochen.
       Dann sei er die Böschung zum Fluss hinuntergefallen und im Fluss ertrunken.
       
       Die Polizei berief sich auf die Untersuchungen eines lokalen Forensikers.
       Fotos von Davids Leichnam waren auf Facebook veröffentlicht worden. Auf
       ihnen war zu erkennen, dass der Körper zahlreiche Spuren aufwies, die auf
       Folterungen schließen ließen. Die Polizei blieb aber bei ihrer Aussage.
       
       Familie und Freunde erklärten daraufhin, David habe nie Drogen genommen.
       Der Student der Elektrotechnik und der Informatik sei ein sensibler Junge
       gewesen, der Gedichte geschrieben habe und gegen Drogenmissbrauch gewesen
       sei. Die offiziellen Verlautbarungen über die Umstände von Davids Tod seien
       eine Lüge, konstruiert, um die wahren Schuldigen zu schützen.
       
       Die Auftraggeber, Mittäter und Vollstrecker des brutalen Mordes seien in
       den Reihen der Polizei und der Bezirksstaatsanwaltschaft zu finden, die mit
       den Kriminellen der Drogenmafia verbunden seien, erklärte der Vater, Davor
       Dragičević.
       
       ## Untersuchungen in Belgrad und Zagreb
       
       Seit Ende März demonstriert die Familie jeden Abend auf dem Hauptplatz der
       Stadt, dem Krajina Trg. Immer mehr Menschen schlossen sich dem Protest an,
       sodass sich das Regime zu einer Reaktion gezwungen sah. Präsident Milorad
       Dodik schlug der Familie im Juni vor, den Fall vor dem Parlamentsausschuss
       zu verhandeln. Das Angebot reichte der Familie aber nicht, und sie setzte
       mithilfe der Oppositionsparteien durch, dass die Staatsanwaltschaft weitere
       Untersuchungen des Leichnams veranlassen musste.
       
       Dieser wurde schließlich nach Belgrad und Ende Juni an unabhängige Experten
       in die kroatische Hauptstadt Zagreb überstellt. David habe noch drei oder
       vier Tage nach seinem Verschwinden gelebt, erklärten die Experten in
       Belgrad, und die Gutachter in Zagreb schlossen Folterspuren am Körper nicht
       mehr aus.
       
       Die Regierung in Banja Luka aber beharrte auf ihrem Standpunkt. Bei der
       Parlamentsdebatte Ende Juni, bei der Vater Davor Dragičević für 10 Minuten
       das Wort erhielt, stellten sich die Parteien der Regierungskoalition hinter
       die Ausführungen des Innenministers und ignorierten die abweichenden
       Untersuchungen.
       
       Die Demonstranten haben den Hauptplatz der Stadt in „David-Platz“
       umgetauft. Schon bevor das Gros der Menschen eingetroffen ist, singen die
       Anwesenden ein Lied der aus Sarajevo stammenden Rockband Dubioza kolektiv.
       Richtiger ist, sie singen ein Lied, dessen Rhythmus aus dem Song „Kind aus
       dem Ghetto“ stammt.
       
       Der Text aber ist ein anderer. Er fußt auf einem Gedicht, das David kurz
       vor seinem Tod geschrieben hat und das auf der Facebook-Seite
       veröffentlicht wurde, die inzwischen 300.000 Follower hat.
       
       ## Vater Davor wird immer radikaler
       
       Ein Hauch von Bob Marley und Che Guevara liegt über Banja Luka. Die
       Demonstranten tragen T-Shirts, auf denen David zu sehen ist: ein gut
       aussehender junger Mann mit Rastafrisur. Diese Bewegung ist nicht mehr so
       einfach einzufangen. Je öfter Vater Davor Dragičević Reden auf dem Platz
       hält, umso radikaler wird er. Er nimmt keine Rücksicht mehr. Er und seine
       Frau haben nichts mehr zu verlieren. Sie wollen, dass die Wahrheit über den
       Tod ihres Sohnes ans Licht kommt und die Schuldigen bestraft werden.
       
       Dragičević beschuldigt den Innenminister der Republika Srpska, Dragan
       Lukač, Teil der Drogenmafia und der Hauptschuldige an der Verschleierung
       der Tatsachen zu sein. „Jeder weiß doch, dass Lukač das billigste LSD auf
       den Markt bringt“, ruft der Vater. Und er setzt noch einen drauf: Wenn bis
       zu den Wahlen am 7. Oktober nicht aufgedeckt sei, wer die Mörder seines
       Sohnes sind, werde er dafür sorgen, dass die Wahlen nicht stattfinden.
       
       Den Kampf von Davids Vater unterstützen die Mitglieder von Restart sehr.
       Aber sie wollen nicht nur, dass die Umstände des Todes aufgeklärt werden.
       „Uns geht es um die Demokratisierung des Systems und die Veränderung der
       Strukturen, die die Korruption ermöglichen“, sagt Stefan Blagić. Weil die
       Behörden in die Sache verstrickt seien, sei ihre Reaktion so hart. „Die
       Regierungsseite markiert uns als Kriminelle, um uns loszuwerden.“
       
       Auf die Frage, ob er damit meint, dass die Regierung die Oppositionellen
       zur Aufgabe oder zur Flucht aus dem Land bewegen wolle, antwortet er: „Ist
       es nicht absurd, dass einerseits Tausende von Jugendlichen jedes Jahr das
       Land verlassen, um anderswo in Europa Arbeit zu finden, und andererseits
       diejenigen, die hierbleiben und sich für eine Verbesserung engagieren und
       dafür kämpfen wollen, zur Flucht getrieben werden?“ Es gehe den
       Herrschenden nur um ihre eigenen Interessen.
       
       ## Verstrickung der Behörden in Kriegsverbrechen
       
       Diese Erkenntnis teilen auch Menschen wie Srđan Šušnica oder Slobodan
       Vasković. Šušnica, 40 und Familienvater, geriet in den Fokus des Regimes,
       als er begann, dem Schicksal seines Vaters während des Krieges
       nachzuforschen. Der ehemalige Hauptkommissar war 1992 von Polizisten oder
       Freischärlern ermordet worden, weil er sich geweigert hatte, die
       nationalistisch motivierten Morde an muslimischen und kroatischen
       Zivilisten zu vertuschen.
       
       Der andere, Slobodan Vasković, musste kürzlich untertauchen, weil er als
       Blogger über die Verbindungen der Mafia mit der Polizei recherchierte.
       Šušnica und Vasković glauben, dass es Strukturen in der Polizei gibt, die
       mit Kriminellen und der Drogenmafia verbunden sind, und dass diese bis in
       die Kriegsjahre zurückreichen. Eine unabhängige und seriöse Untersuchung
       des Mordes an David, so sind sich viele sicher, könnte Licht ins Dunkel
       dieser mafiösen Strukturen bringen.
       
       Quellen der Opposition sollen belegen, dass David von einer namentlich
       bekannten Gruppe von Drogendealern entführt, festgehalten und geschlagen
       worden sei. Als diese ihn laufen gelassen habe, hatte David noch eine SMS
       an seinen Vater schicken können. Danach sei er in ein Auto gezerrt worden.
       Dass David irgendwo eingebrochen und einen Abhang hinuntergefallen sei,
       dafür gibt es laut diesen Quellen keinerlei Beweise.
       
       Was sie aber belegen, ist, dass Dubravko Kremenović und Darko Ilić als
       höchste Instanz mit dem Fall David betraut wurden. Die beiden sind die
       Abteilungsleiter für Organisierte Kriminalität bei der Polizei der
       Republika Srpska, und Kremenović soll mit einem der Schläger verwandt sein.
       
       Innenminister Lukač wiederum war während des Krieges Mitglied einer
       Spezialeinheit der Polizei, die in Kriegsverbrechen verwickelt gewesen sein
       soll. Jahrzehntelang wurden Verbrechen, die diese Leuten begangen haben
       sollen, unter den Teppich gekehrt. Stefan Blagić von Restart ist sich
       sicher: „Mit der Bewegung ‚Gerechtigkeit für David‘ wird das in Zukunft
       nicht mehr so leicht sein.“
       
       20 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erich Rathfelder
       
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