URI: 
       # taz.de -- Reporter Leo Lania wird wiederentdeckt: Der Wallraff der 20er Jahre
       
       > Er recherchierte undercover, schrieb gegen Hitler an und erkämpfte
       > journalistisches Zeugnisverweigerungsrecht. Nun wird Leo Lanias Werk neu
       > entdeckt.
       
   IMG Bild: Leo Lanias Bericht, der „Hitler-Ludendorff-Prozess“, markierte den Höhepunkt einer der fulminantesten Journalistenkarrieren der Weimarer Republik
       
       Im März 1933 erschien im nationalsozialistischen Völkischen Beobachter ein
       Hetzartikel mit dem Titel „Der Jüdische Krieg beginnt“. Es ist ein
       grauenhaftes Dokument des Hasses, gerichtet gegen einen einzigen Mann: Leo
       Lania, den einflussreichsten jüdischen Journalisten des Weimarer
       Jahrzehnts. Er sei der „tonangebende Krieger der jüdischen Armee“ und habe
       dem deutschen Volk den Krieg erklärt.
       
       Adolf Hitler, bereits über 12 Jahre Herausgeber des Völkischen Beobachters,
       hielt zwar erst seit Januar 1933 alle Fäden der Macht in den Händen. Doch
       mit Lania verband ihn und seine Zeitung bereits seit 1922 eine persönliche
       Fehde. Mit gefälschtem Empfehlungsschreiben vom Bruder Benito Mussolins
       hatte sich der linke Lania als Undercover-Reporter eine Woche lang in die
       Redaktionsräume eingeschlichen und das Vertrauen Hitlers und Ernst Röhms
       gewinnen können. In den dunklen Bierhäusern Münchens war er nachts mit
       ihnen versackt, doch als seine Tarnung bröckelte, musste er Hals über Kopf
       fliehen.
       
       Sein darauffolgender Bericht, der „Hitler-Ludendorff-Prozess“, markierte
       den Höhepunkt einer der fulminantesten Journalistenkarrieren der Weimarer
       Republik.
       
       Leo Lania, 1896 in Charkiw als Lazar Herman geboren, ist heute – im
       Gegensatz zu seinen Kollegen Kurt Tucholsky und Egon Erwin Kisch –
       weitgehend vergessen. Der Wiener Mandelbaum Verlag hat das Werk und Leben
       des Star-Reporters, Journalisten und Theaterregisseurs nun aufgearbeitet
       und neben Michael Schwaigers umfangreicher Biografie „Hinter der Fassade
       der Wirklichkeit“ auch seinen erfolgreichsten Roman „Land des Zwielichts“
       neu aufgelegt. Darin entfaltet sich das Leben eines Manns im stetigen
       Rennen gegen die bedrohlichen Zeichen der Zeit, ausgestattet mit einem
       beachtlichen moralischen Kompass und angetrieben von der Überzeugung, dass
       nur ein demokratischer Populismus die Demagogen seiner Tage besiegen könne.
       
       ## Gefährdete Pressefreiheit
       
       Im kulturellen Leben nimmt Lania, von Hitler gehasst und von Lenin gelobt,
       eine zentrale Rolle als kritischer Reporter ein. Im stetigen Streit mit den
       Weimarer Behörden erkämpft er dabei einen der Grundpfeiler der deutschen
       Pressefreiheit: Die „Lex Lania“ garantiert in leicht modifizierter Form
       auch heute noch Journalisten ihr Recht auf Quellenschutz vor Gericht.
       
       Als der aufsteigende Journalist Lania 1921 in Berlin eintraf, dominierten
       zwei Nachrichtenagenturen die Presse: das verstaatlichte „Wolffs
       Telegraphisches Büro“ und die „Telegraphen-Union“ (TU). In den Wirren der
       Nachkriegstage hatte der nationalkonservative Großindustrielle und
       Medienmogul Alfred Hugenberg dann auch noch die TU gekauft, um durch sie
       die Tausende Lokalblätter der Weimarer Republik zu bestücken. Die
       Redaktionen druckten die vorverfassten Kolumnen und Leitartikel der TU
       noch, da war Hugenberg längst Wirtschaftsminister im ersten Kabinett
       Hitlers.
       
       Wie auch Schwaiger, der zu Lania promoviert hat, in seiner Biografie
       nachverfolgt: „Wer die Tausende Lokalblätter kontrollierte, konnte Themen
       setzen und ein Klima der Angst schüren.“ Im Romanischen Café, dem führenden
       Intellektuellentreff Berlins, diskutierte Lania Nächte hindurch mit
       US-amerikanischen Journalisten über die gefährdete Vielfalt der Presse.
       
       Dann sah er die Zeit zu handeln gekommen: Er gründete seine eigene
       Nachrichtenagentur, die „Internationale Telegraphenagentur“ (intel). Geld
       hatte er keines, dafür aber gute Kontakte bei den Berliner Concierges.
       Einen auf der Friedrichstraße überredete er, ihm nach Sonnenuntergang sein
       Telefon zu leihen. So konnte Lania spätnachts von seinen Wiener Kontakten
       die Nachrichten des bevorstehenden Tages erhalten und war den Berliner
       Konkurrenten einen Schritt voraus. Die Wiener Redaktionen schlossen erst
       einige Stunden nach den Berlinern.
       
       „Die intel startete mit einem Stab von sechs Personen: Direktor, Redakteur,
       Telephonist, Sekretär, Stenograph und Botenjunge“, beschreibt Lania in
       seiner Autobiografie das Projekt. „Die sechs Personen waren in Wahrheit nur
       eine: ich.“
       
       Er arbeitete bis zur Erschöpfung, schrieb nachts die Nachrichten und trug
       sie morgens bei seinen Berliner Abonnenten aus, hauptsächlich der
       sozialdemokratischen Presse. Dann, unverhofft, starb die „intel“ 1923 an
       der größten Epidemie ihrer Tage: der Hyperinflation. Am 11. November 1923
       stand der Wechselkurs mit 631 Milliarden Mark für einen US-Dollar auf dem
       Höhepunkt. Lania musste aufgeben. Der Kampf gegen die Druckerpressen des
       Hugenberg-Imperiums schien vorerst verloren, auch wenn die linksliberale
       Weltbühne, für die auch Lania schrieb, weiterhin vehement zum „Sturz des
       Königs Hugenberg“ aufrief.
       
       Er widmete sich gänzlich seinen Reportagen aus der Weimarer Unterwelt. Die
       Undercover-Recherchen beim Völkischen Beobachter ermöglichten ihm, tief in
       die Details eines anstehenden Putsches zu dringen. Im November 1923 war es
       dann so weit, knapp 2.000 Nationalsozialisten versuchten unter der Führung
       Hitlers und des ehemaligen Generals Ludendorff in München die
       Landesregierung zu stürzen. Noch konnte die Weimarer Republik Hitler in
       seine Schranken weisen: Er wurde verhaftet und in einem spektakulären
       Gerichtsprozess zu fünf Jahren Haft verurteilt, von denen er neun Monate
       absaß.
       
       ## Zwischen dem Geklimper der Orden und eigener Politik
       
       Lanias Gerichtsreportage, der „Hitler-Ludendorff-Prozess“, ist nun in der
       Zeitschrift Schreibheft (Ausgabe 87) endlich in vollständiger Verfassung
       wieder zugänglich. Es ist ein groteskes Bild der zynischen Verschwörer, die
       zwischen dem Geklimper ihrer Orden die eigene Politik vorhersagen. Diese
       frustrierten Exgeneräle eröffneten Lania auch den Zugang zum illegalen
       Waffenmarkt der Republik.
       
       Der Versailler Vertrag von 1919 hatte den Deutschen nicht nur die
       Kriegsschuld zugeschrieben, sondern auch eine Demilitarisierung
       vorgeschrieben. Der Schwarzmarkt brodelte – und die Spuren führten Lania
       vom paramilitärischen nationalsozialistischen Milieu bis in die höchsten
       Regierungskreise. Seine monatelange Recherche im „Dschungel des völkischen
       Gangstertums“, wie er es Jahre später im Exil beschrieb, mündeten in den
       Rechercheband „Gewehre auf Reisen“ von 1924.
       
       Diesmal geht der Aufschrei über die Republik ins Ausland hinaus. Eine
       Anklage wegen Landesverrats führt zu einer Solidarisierungswelle der Presse
       und linken Parteien, die letztlich in die „Lex Lania“ mündete. In leicht
       modifizierter Form erlaubt sie Journalisten bis heute, aus beruflichen
       Gründen die Zeugnisaussage vor Gericht zu verweigern – im Fall Lania, um
       einen Informanten zu schützen.
       
       Doch Lania, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, geriet in Berlin mit dem
       Siegeszug der Nationalsozialisten immer mehr unter Druck. Im Herbst 1932,
       wenige Monate vor der Machtergreifung, verließ er das Land endgültig.
       
       ## Opfer einer bankrotten Welt
       
       Sein Roman „Land im Zwielicht“ von 1934 entstand im Exil. Er folgt dem
       jüdischen Weltkriegssoldaten Kurt Rosenberg und der Flüchtlingstochter
       Esther Mendel in den Niedergang der Weimarer Republik. Beide Protagonisten
       sind getrieben vom Bewusstsein, Teil zu sein von „einer Generation, die
       zwar noch nicht die Nachtkultur entdeckt hatte, für die aber der Tod kein
       Geheimnis mehr war, gleichzeitig vorwärts gehetzt und zurückgestoßen, Opfer
       einer bankrotten Welt, die ihren Zusammenbruch um keinen Preis eingestehen
       wollte“.
       
       Dass Lanias sprachgewaltiges Pathos stellenweise übermäßig moralisierend
       wirkt, ist wahrscheinlich den Umständen der Entstehung geschuldet. Trotzdem
       bleibt der Roman eine brillante Einsicht in die Desorientierung der
       Nachkriegsgeneration. Lania ahnte, dass der nächtliche Charleston in den
       enthemmten Lokalen Berlins, zwischen politischen Morden und der täglich
       nagenden Inflation, ein Tanz in den Abgrund war.
       
       Sechs Jahre nach der britischen erschien dann auch endlich eine deutsche
       Ausgabe von „Land im Zwielicht“. Lania lebte inzwischen in New York und
       arbeitete im „Office of War Information“, dem US-Propagandabüro. Dort
       entwickelte er seine Idee eines demokratischen Populismus weiter. Dieser
       sollte nach dem Krieg die europäische Jugend gegen den Rückfall
       mobilisieren.
       
       Obwohl er nach Kriegsende pessimistisch blieb, traf er in New York einen,
       dem er diesen demokratischen Populismus zutraute: Willy Brandt. Als
       Ghostwriter verfasst er dessen Autobiografie, „Der Weg nach Berlin“. Es ist
       auch Lanias Weg zurück nach Berlin. Als Leo Lania 1961 in München an einem
       Herzinfarkt stirbt, sorgt Brandt für ein Ehrengrab in Berlin-Zehlendorf.
       
       Es ist ein großes Glück, dass das Schreibheft und der Mandelbaum Verlag
       dieses Werk nun wieder der Öffentlichkeit zugänglich machen.
       
       24 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Paul Ostwald
       
       ## TAGS
       
   DIR Reporter
   DIR Willy Brandt
   DIR Presse
   DIR Historischer Roman
   DIR taz-Serie Sexuelle Gewalt
   DIR Benno Ohnesorg
   DIR New York
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Berliner Journalistenlegende: Rasender Reporter
       
       Egon Jacobsohn porträtierte das Zwanziger-Jahre-Berlin auch von unten, bis
       er vor den Nazis fliehen musste – vor 125 Jahren ist er in Berlin geboren.
       
   DIR Ulla Lenzes Roman „Der Empfänger“: Autoritäre Muster
       
       Ulla Lenzes Roman „Der Empfänger“ erzählt vom Verdrängen von Erkenntnissen,
       Mitläufertum und Nazis im New York der Vorkriegszeit.
       
   DIR Berlin 1929: Nicht wirklich unterhaltsam
       
       Seine Geschichte wurde oft beschrieben und besungen. Doch das Berliner
       „Nachtgespenst“ war kein harmloser Unterhalter, sondern sexuell
       übergriffig.
       
   DIR Ehrengrab für Benno Ohnesorg: Späte Ehre
       
       Der Bezirksrat Hannover-Bothfeld will ein Ehrengrab für Benno Ohnesorg. Die
       Linke im Stadtrat fordert zugleich, dass das Ehrengrab von Gustav Noske
       aufgegeben wird.
       
   DIR Zeitungskrise fordert weiteres Opfer: Ein guter Tag für Dunkelmänner
       
       Mit den Entlassungen bei der New Yorker „Daily News“ wird das letzte
       kritische Lokalblatt der Metropole entkernt. Einen Sohn der Stadt wird das
       freuen.