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       # taz.de -- Proteste gegen die Justizreform in Polen: Die Demontage des Rechtssystems
       
       > Die Justizreform bringt alle Gerichte unter Kontrolle der PiS.
       > Demonstrierende fordern freie Gerichte. Einige wenige Richter wehren
       > sich.
       
   IMG Bild: Protest zur Unterstützung der Richterin Małgorzata Gersdorf in Warschau
       
       Warschau taz | „Freie Gerichte! Freie Gerichte!“, skandieren am
       Mittwochfrüh um 8 Uhr tausende Demonstranten vor dem Obersten Gericht in
       Warschau. „Setzt die Richter nicht ab!“ und „Verfassung! Verfassung!“.
       Viele standen schon am Abend zuvor mit Kerzen und EU-Flaggen vor dem
       Gericht und appellierten in Sprechchören an die [1][Europäische
       Kommission]: „Lasst uns nicht im Stich!“ und auch hier „Verfassung,
       Verfassung!“.
       
       Als die Präsidentin des Obersten Gerichts Małgorzata Gersdorf vor dem
       Gericht erscheint, jubeln ihr die Menschen zu „Dziekujemy! Wir danken
       Ihnen!“. Denn Gersdorf erscheint zur Arbeit. Dabei ist es der erste Tag
       ihrer Zwangsrente, in die sie die regierende nationalpopulistische Recht
       und Gerechtigkeit (PiS) und der ihr nahestehende Präsident Andrzej Duda
       schicken wollen. Gersdorf betritt offiziell ihren Arbeitsplatz und kommt
       gleich wieder aus dem Gerichtsgebäude, um eine Ansprache an alle zu halten,
       die ihr solidarisch den Rücken stärken.
       
       „Ich mische mich nicht in die Politik ein“, so Gersdorf. „Ich bin hier, um
       die Rechtstaatlichkeit in Polen zu beschützen und die Grenze zwischen der
       Verfassung und dem Verstoß gegen die Verfassung aufzeigen“. Menschen
       könnten Fehler begehen, auch Politiker. Deshalb sei die Verfassung als
       Grundordnung der polnischen Demokratie so wichtig. Alle Polen hätten dieser
       1997 verabschiedeten Verfassung in einem Referendum zugestimmt. Die gerade
       regierenden Politiker könnten natürlich [2][Reformen des Gerichtswesens
       beschließen], doch dürften sie die vom Souverän sanktionierte Verfassung
       nicht verletzen.
       
       Das Grundgesetz Polens regele in Artikel 183 ganz klar, dass die Amtszeit
       der Präsidentin des Obersten Gerichts sechs Jahre beträgt und unabhängig
       vom erreichten Alter ist. „Ich fühle mich der polnischen Verfassung und
       ihrer in der Präambel verankerten Werte verpflichtet“, so Gersdorf. Sie
       werde daher ihr Amt bis zum Jahr 2020 ausüben. Am Tag zuvor hatte sie den
       Richter Józef Iwulski zu ihrem Stellvertreter ernannt, der ihre
       Urlaubsvertretung übernehmen solle. Denn schon am Donnerstag will Gersdorf
       einen längeren Urlaub antreten, auch um weiteren Konflikten mit der
       Regierungspartei aus dem Weg zu gehen.
       
       Präsident Andrzej Duda ernannte Iwulski zum Nachfolger von Gersdorf, obwohl
       dieser sogar noch älter als Gersdorf ist und nicht um eine Verlängerung
       seiner Amtszeit beim Präsidenten gebeten hatte. Damit stellt er sich gegen
       das neue Rentengesetz für Richter am Obersten Gericht: Es senkt ihre aktive
       Lebensarbeitszeit auf 65 Jahre ab, obwohl die Richter eigentlich erst mit
       Erreichen des siebzigsten Lebensjahres aus dem Dienst ausscheiden sollten.
       Auf diese Art und Weise kann sich die PiS rund 40 Prozent aller Richter am
       Obersten Gericht auf einen Schlag entledigen und Richter berufen lassen,
       die der PiS loyal sind. Der Landesjustizrat, den die Partei allerdings auch
       schon unter ihre Kontrolle gebracht hat, nimmt die Berufungen vor.
       
       Die „Reform“ des polnischen Gerichtswesens begann mit dem
       Verfassungstribunal, dessen Richter ebenfalls in einem gezielt chaotischen
       Verfahren entmachtet wurden. Sie ging über die ordentlichen Gerichte weiter
       sowie auch den Landesjustizrat, der die Richter an allen Gerichten ernennt
       und schließt nun mit dem Berufungsgericht zweiter Instanz, dem Obersten
       Gericht. Damit ist die Demontage des polnischen Rechtssystems
       abgeschlossen, wie Kritiker der PiS-Regierung monieren. Als nächstes will
       sich die PiS das Wahlrecht vornehmen.
       
       4 Jul 2018
       
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