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       # taz.de -- Debatte Finanzkrise in Griechenland: Wie eine geschlagene Kuh
       
       > In Griechenland ist die Krise noch lange nicht vorbei – vor allem weil
       > die Eurozone ständig mit der „Pleite“ droht. Damit entsteht ein
       > Teufelskreis.
       
   IMG Bild: Athen: Vor dem Parlament weht eine Euro-Fahne
       
       In der Eurokrise war Griechenland immer für eine Legende gut. Die neueste
       Version lautet, dass das Land jetzt „gerettet“ sei! Am 20. August laufen
       die Hilfspakete aus, und danach sollen sich die Griechen selbst
       finanzieren.
       
       Zwei Fakten reichen aus, um dieses Wunschdenken zu zertrümmern:
       Griechenland verzeichnet das schwächste Wachstum in der Eurozone – muss
       aber die höchsten Zinsen zahlen, wenn es Kredite bei Banken aufnehmen will.
       Das kann nicht funktionieren. Hohe Realzinsen lassen sich nur finanzieren,
       wenn auch das Wachstum hoch ist.
       
       Dieser Zusammenhang ist derart schlicht, dass ihn selbst die deutsche
       Regierung nicht ignorieren konnte. Also hat die Eurozone versucht, die
       Griechen für die Finanzmärkte aufzuhübschen.
       
       Erste Maßnahme: Auf dem EU-Gipfel am 21. Juni wurde beschlossen, dass die
       Griechen weitere Erleichterungen beim Schuldendienst erhalten. Zinsen und
       Tilgungen wurden zum Teil bis Ende 2032 gestundet und die Laufzeiten so
       gestreckt, dass die letzten Zahlungen erst 2056 fällig werden.
       
       Die Absicht ist deutlich: Wenn die öffentlichen Kredite billiger werden,
       ist eine Pleite weniger wahrscheinlich – was wiederum die Risikoprämien
       der privaten Banken drückt und die Kreditzinsen erschwinglicher macht.
       Theoretisch. Praktisch sind die Zinsen immer noch zu hoch, die die Griechen
       auf den Finanzmärkten zahlen müssten.
       
       ## Eine „Schatztruhe“ für Griechenland
       
       Daher wurde – zweitens – beschlossen, dass Griechenland eine „Schatztruhe“
       erhält, die 24,1 Milliarden Euro umfasst. Diese Mittel würden reichen,
       damit die Griechen alle Zahlungen bis Mitte 2020 erfüllen können.
       
       Berlin und Brüssel wissen also genau, wie unwahrscheinlich es ist, dass
       sich die Griechen allein finanzieren können. Sonst hätten sie keine
       Schatztruhe angeboten. Aber niemand hatte Lust auf weitere Rettungspakete,
       sodass man lieber hofft, dass es bis 2020 in Griechenland irgendwie zu
       rasantem Wachstum kommt.
       
       Leider ist genau dieses Wachstum unwahrscheinlich, weil die Eurozone noch
       immer abstruse Sparvorgaben macht. Die entscheidende Kennzahl ist der
       „Primärüberschuss“ – also das Plus im Staatshaushalt, wenn man Zinsen und
       Tilgungen nicht berücksichtigt. Dieser Primärüberschuss soll in
       Griechenland bis 2022 bei 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen und
       danach bis 2060 pro Jahr 2,2 Prozent betragen. Dauer-Überschüsse in dieser
       Höhe hat noch nie ein Land erwirtschaftet. Warum sollte ausgerechnet dem
       armen Griechenland gelingen, was selbst im reichen Deutschland nicht
       möglich ist?
       
       Der Internationale Währungsfonds konstatiert daher nüchtern, dass die
       griechischen Schulden langfristig „nicht tragbar“ seien.
       
       Die Idee war stets: Griechenland soll sich aus der Krise heraussparen.
       Obwohl diese Strategie nicht funktioniert hat, steht die nächste
       Kürzungsrunde an. Im Januar 2019 sollen die Renten erneut sinken, obwohl
       sie schon um 60 Prozent zusammengeschrumpft sind – und oft ganze Familien
       ernähren, weil die arbeitslosen Kinder zu ihren alten Eltern gezogen sind.
       
       ## Staatsausgaben um 30 Prozent gesunken
       
       Noch nie musste ein Volk in Friedenszeiten so stark sparen wie die
       Griechen. Der österreichische Ökonom Stephan Schulmeister hat in seinem
       neuen Buch „Der Weg zur Prosperität“ die Zahlen zusammengestellt: In
       Griechenland sind die Staatsausgaben zwischen 2008 und 2016 um 30 Prozent
       gesunken. In Portugal und Spanien gab es hingegen ein kleines Plus von 2,8
       Prozent, in Italien von 6,2 Prozent.
       
       In Deutschland legten die Staatsausgaben zwischen 2008 und 2016 sogar um
       24,3 Prozent zu. In Milliarden umgerechnet: Hätten die Deutschen genauso
       sparen müssen wie die Griechen, würden in den öffentlichen Haushalten jetzt
       587 Milliarden Euro fehlen. Deutschland wäre längst im Chaos versunken, und
       die AfD hätte die Regierung übernommen. Das wahre Wunder ist, dass die
       Griechen noch geordnet durchhalten.
       
       Der Kernfehler ist, dass die deutsche Regierung die Wirtschaft als
       Nullsummenspiel betrachtet: Wer Schulden hat, soll sie zurückzahlen. Leider
       gerät aus dem Blick, dass nur zahlen kann, wer Einnahmen hat. Ohne hohes
       Wachstum kann Griechenland seine Kredite nicht begleichen, doch niemand
       interessiert, wie sich die griechische Konjunktur stimulieren ließe. Berlin
       verhält sich wie ein Bauer, der seine Kuh nicht füttert, aber reichlich
       Milch erwartet. In Wahrheit benimmt sich Berlin sogar noch schlimmer –
       nämlich wie ein Bauer, der seine hungernde Milchkuh auch noch schlägt.
       Viele Schwierigkeiten in Griechenland sind nicht etwa hausgemacht – sondern
       werden von der Eurozone erzeugt.
       
       ## Staatspleite droht
       
       Das Hauptproblem: Es wird ständig mit der Pleite gedroht, falls
       Griechenland nicht endlich auf die Beine kommt. Damit aber entsteht ein
       Teufelskreis. Weil ein Konkurs jederzeit denkbar ist, verlangen die
       Finanzmärkte Risikoaufschläge. Prompt liegen die Realzinsen weit höher als
       die Wachstumsrate, was eine Staatspleite wahrscheinlich macht. Eine
       „Schatztruhe“ von 24,1 Milliarden Euro kann da nicht helfen. Im Gegenteil.
       Die Schatztruhe verstärkt den Eindruck, dass mit einer Pleite zu rechnen
       ist, sobald die Milliarden aufgebraucht sind.
       
       Man muss bei der Ursache ansetzen, die die griechischen Zinsen in die Höhe
       schießen lässt – und die Unsicherheit beseitigen. Die Eurozone muss klar
       signalisieren, dass sie kein Mitgliedsland in die Pleite schickt. Das
       Instrument ist eigentlich vorhanden und heißt EZB.
       
       Zentralbanken sind einst gegründet worden, um Panik bei den Investoren zu
       verhindern. Dazu gehört, bei Bedarf die Papiere der eigenen Regierungen
       aufzukaufen. Die EZB erwirbt auch die Staatsanleihen aller Euroländer – nur
       die griechischen nicht. Die Investoren handeln also rational, wenn sie
       Griechenland für unsicher halten und Risikoprämien verlangen. Denn die
       Eurozone tut alles, damit Griechenland unsicher bleibt.
       
       29 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Herrmann
       
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