# taz.de -- Auf nach Luckenwalde
> Berlin wird immer teurer, das Umland leidet unter Abwanderung. Zwei
> Berliner Architekten wollen deswegen in Luckenwalde ein
> denkmalgeschütztes Wohngebäude zum genossenschaftlichen Hausprojekt
> entwickeln
IMG Bild: Das Haus des Luckenwalder Architekten Paul Backes befindet sich praktisch im Originalzustand
Von Michael Freerix
Berlin scheint aus allen Nähten zu platzen. Die Grundstückspreise schießen
in die Höhe, die Mieten werden immer unerschwinglicher. Wer Platz braucht
und bezahlbaren in der Stadt nicht mehr findet, sollte vielleicht ins
Umland abwandern. Davon könnten auch die Städte in der Berliner Peripherie
profitieren. Nur – wie sieht es dort derzeit aus?
Luckenwalde liegt nur 50 Kilometer südlich von Berlin entfernt. Eine
Überraschung bietet schon der Bahnhof, den die Kreisstadt der Bahn AG
abkaufte und in eine öffentliche Bibliothek umwandelte. Dahinter liegt
beschaulich der Bahnhofsvorplatz mit Schautafeln zu den Sehenswürdigkeiten
der Stadt. Erkundet man die anliegenden Straßen eindringlicher, trifft der
Besucher auf zahlreiche Baulücken zwischen den hauptsächlich niedrigen
Gebäuden und viele Leerstände.
Im Jahr 1988 hatte Luckenwalde noch knapp 28.000 Einwohner, heute sind es
gerade mal 21.000. Nach 1990 gab sich die Stadtverwaltung redlich Mühe,
verlorene Arbeitsplätze durch Ansiedlung neuer Industrien gutzumachen.
Trotzdem wanderten viele Bewohner ab, und die Geburtenrate sank. Als Folge
standen Wohnhäuser leer, verfielen und wurden in den vergangenen Jahren
vermehrt abgerissen. Selbstironisch nennen sich die Ortsansässigen derzeit
„Lückenwalder“.
Die Berliner Architektin Irmina Körholz gehört zu den neuen Gesichtern in
dieser Stadt. In Berlin hat sie genossenschaftliche Bauprojekte betreut.
Doch dazu braucht es billiges Bauland, das es in der Hauptstadt nicht mehr
gibt. In Luckenwalde stieß Körholz auf ein denkmalgeschütztes Wohngebäude,
das sie schließlich (zusammen mit ihrem Büropartner Ferdinand Beetstra)
erwarb, um ein genossenschaftliches Hausprojekt daraus zu machen.
Nur unweit vom Bahnhof gelegen, entstand dieser Bau 1929, nach Plänen des
Architekten Paul Backes. Die Tuchmachergewerkschaft richtete seinerzeit im
Erdgeschoss den „Konsumverein Vorwärts“ ein. Dazu gehört ein
dreigeschossiges, unterkellertes Lagergebäude, das im Hofbereich steht.
Körholz möchte beides energetisch so sanieren, dass langfristig bezahlbare,
stabile Mieten möglich sind.
Dieser Ansatz reibt sich jedoch mit den Prämissen der Denkmalschützer, die
das Gebäude in seinen Originalzustand zurückversetzt sehen wollen. Allein
die denkmalgerechte Aufarbeitung der Doppelkastenfenster mit Einarbeitung
von Isolierglas würde mehr als 300.000 Euro verschlingen. Neue Fenster mit
Isolierverglasung wären wesentlich billiger. Hinzu kommt das Lagergebäude.
Das steht seit der Wende leer, hat ein leckendes Dach, und schädlicher
Gebäudeschwamm breitet sich aus.
Die Stadt würde sich zwar an der Dachsanierung beteiligen, doch fordert sie
dazu ein Nutzungskonzept ein. Dies vor allem, weil die legendäre, vom
Architekten Erich Mendelssohn 1921 erbaute Hutfabrik in Luckenwalde vor
zehn Jahren mit Millionen Steuergeldern denkmalgerecht saniert wurde,
seither der Eigentümer sie aber ungenutzt herumstehen lässt.
„Eigentlich müsste man ihn enteignen“, meint eine Mitarbeiterin vom
Luckenwalder Denkmalschutz, doch das ist politisch nicht durchsetzbar.
Allgemein sei ihr Problem, sagt sie, dass sie „Bauauflagen machen muss,
aber kaum Geld hat, um deren Umsetzung zu unterstützen“. In der Regel muss
jeder Bauherr allein die teure Sanierung der Altbauten finanzieren, ohne
irgendeinen Nutzen davon zu haben. Sie hat selber eine leidenschaftliche
Beziehung zu Baudenkmälern und hat sich einen Altbau kaufen und sanieren
wollen. Doch das konnte sie „sich schlussendlich nicht leisten“.
So geht es vielen. Altbaubesitzern fehlt das Geld für die Sanierung ihrer
Immobilie. Sie verfällt. Schließlich ist das Haus so kaputt, dass es
abgerissen werden muss. „Früher nannte man Luckenwalde die Stadt der
Schornsteine“, erzählt die Mitarbeiterin des Denkmalamtes, „heute ist kaum
noch einer übrig.“ Die Stadt verliert damit mehr und mehr von ihrem
einzigartigen städtebaulichen Charakter.
Dabei ist die Industriegeschichte von Luckenwalde in Deutschland
einzigartig. Den Anfang machten Tuch- und Zeugmacher, die sich nach 1648 in
der Stadt ansiedelten, um die preußische Armee mit Uniformen zu versorgen.
1841 wurde Luckenwalde an die Anhalter Bahn angeschlossen und entwickelte
sich zum industriellen Zentrum. Eine Pianofabrik, ein
Feuerlöschfahrzeugehersteller und viele kleine Tuch- und Schraubenfabriken
prägten das Stadtbild.
Viele Arbeiter waren früher gewerkschaftlich organisiert.
Sozialdemokratische und kommunistische Parteien gaben in den 1920er Jahren
in Luckenwalde sozialpolitisch den Ton an und sorgten dafür, dass die
städtebauliche Moderne ins Stadtbild einzog.
Namhafte Architekten wie Richard Neutra, Rudolf Brennecke, Hans Graf, Hans
Hertlein oder Josef Bischof waren während der Weimarer Republik hier tätig.
Viele der damals entstandenen Neubauten stehen heute unter Denkmalschutz,
kaum aber die vielen unscheinbaren, wesentlich älteren Gebäude.
Das Haus des Luckenwalder Architekten Paul Backes, an dessen Sanierung
Irmina Körholz derzeit arbeitet, befindet sich, bis auf einen kleinen
inneren Umbau in den 1950er Jahren, praktisch im Originalzustand. Neue
Bäder müssen eingebaut, Stränge saniert, die Heizung erneuert und eine neue
Elektrik installiert werden. Sogar sämtliche Fußböden müssen aufgenommen
werden, um die schalltechnische Isolierung zwischen den Etagen zu
verbessern, denn das Wohnhaus ist sehr hellhörig. „Da hat man 1929 aus
Kostengründen einfach gespart“, erklärt Körholz, als sie eine leere Wohnung
zeigt. Hinzu kommt die finanziell aufwendige authentische Aufarbeitung der
Fassade.
Der Stuttgarter Künstler Pablo Wendel ist soeben nach Luckenwalde gezogen,
weil ihm seine alten Atelierräume gekündigt wurden und Bezahlbares in
Stuttgart nicht zu bekommen war. Eine Brandenburger Freundin erzählte vom
Leerstand in der Kreisstadt, wo er auf das 1913 erbaute Elektrizitätswerk
stieß, das ihn sogleich elektrisierte. „Eigentlich hatte ich vollkommene
Industrieruinen erwartet“, erzählt er freimütig, „aber dann stand ich vor
diesem intakten Ding – und das wollte ich gleich haben!“
Wendel stellt „Kunststrom“ her, seine Webseite heißt „performance
electrics“. Deshalb seine große Affinität zum Kraftwerk. Er weiß, er wird
noch „Umbauten brauchen, damit ich hier arbeiten kann, nur weiß ich noch
nicht, welche“. Und er muss seine Mitarbeiter nach Luckenwalde holen. Falls
diese aus Stuttgart herziehen mögen.
Irmina Körholz hingegen möchte ihr Gebäude selber gar nicht nutzen, sondern
für eine zukünftige Nutzergruppe genossenschaftlich entwickeln. Die
jetzigen Bewohner – das Haus ist zur Hälfte vermietet – wollen vor allem
funktionierende Heizungen, niedrige Mieten und wenig Stress. Körholz
kommentiert: „Denkmalgerecht und kostengünstig sanieren, ohne zu
verdrängen, ist ein Balanceakt.“
Einfacher scheint derzeit, sich mit dem Lagergebäude zu befassen. Das ist
aus Stahlbeton, hat ungefähr 1.400 m[2]Nutzfläche und bräuchte schnell ein
neues Dach – und ein Nutzungskonzept. Kürzlich meldete sich eine
Fahrradwerkstatt mit eigener Produktion aus Berlin, die eine
Produktionsstätte sucht. Das würde gut zum Lagerhaus passen. Und ein
Musiker zeigte sich interessiert, der ein Tonstudio bauen möchte. Beides
würde eventuell sogar neue Arbeitsplätze nach Luckenwalde bringen. Und was
wäre schöner für die Stadt?
28 Jul 2018
## AUTOREN
DIR Michael Freerix
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