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       # taz.de -- Die Wahrheit: Kommunistisch langsamer Umzug
       
       > In Ostwestfalen hat jeder eine Bohrmaschine, die in ihrer gesamten
       > Lebenszeit höchstens zwei bis drei Stunden läuft. Warum bloß?
       
   IMG Bild: Sehen die sonst so abgeklärten Finnen ein schillerndes Nordlicht wie in Lappland, können sie gar nicht mehr an sich halten
       
       Ich muss jetzt endgültig mal hier einziehen. Sieben Monate sind doch genug,
       um sich sicher zu sein, dass man in dieser Wohnung und in dieser Stadt auch
       bleiben will. Ich bin wieder zurück nach Ostwestfalen – wegen der Eltern.
       Von meinen ehemaligen Nachbarn in der anderen Stadt habe ich neulich
       gehört, meine alte Wohnung sei immer noch nicht wieder vermietet. Ich
       könnte also theoretisch noch zurück. Aber dafür habe ich inzwischen doch
       schon zu viele Kisten ausgepackt.
       
       Aber warum ist die Wohnung noch nicht wieder belegt? Warten die, bis ich
       berühmt bin und sie die Räume dann teurer vermieten können? Muss mein alter
       Vermieter für die Steuer Verlust machen? Aber jetzt bin ich eben da und
       habe immer noch zwölf Umzugskartons, die nicht ausgepackt sind. Bin
       gespannt, was in denen verpackt ist.
       
       Vielleicht sollte ich gar nicht in die hineinschauen. Ich könnte die quasi
       direkt entsorgen. Wie gesagt: Seit sieben Monaten bin ich hier und habe in
       dieser Zeit das, was in den letzten zwölf Kisten drin sein könnte, noch gar
       nicht vermisst. Das könnte also weg. So weit die Theorie meiner Freundin.
       Meine Praxis ist anders. Es ist auch Vorsicht im Spiel. Zum Beispiel: Ich
       finde immer noch überall Geld. In fast jedem Karton. Manchmal nur Münzen,
       manchmal aber auch was im Umschlag und auch gern mal mehrere Scheine. Und
       nicht nur Fünfer.
       
       Aber es wird langsam wohnlich. Letzte Woche habe ich die ersten Bilder
       aufgehängt. Also da, wo ich die Nägel in die Wand bekommen habe. Ich habe
       eine Wand, die bringt mich zur Verzweiflung. In die krieg ich keinen Nagel
       rein, da müsste ich bohren. Aber ich denke, wenn ich den Nagel schon nicht
       in den Stein bekomme, dann muss ich doch irgendwann eine Fuge treffen.
       Jetzt sieht die frisch renovierte Wand mit meinen Nagellöchern aus wie ein
       Schnittmuster für eine Herrenweste. Ich dachte die ganze Zeit: „Irgendwann
       muss die Fuge doch kommen!“ Aber es kam nur Stein!
       
       Ich bohre nicht gern. Ich bin Zimmermann. Ich schlage gern Nägel ein, aber
       bohren ist so gar nicht meins. Ich habe auch gar keine Bohrmaschine. Hier
       hat jeder seine eigene. Niemand bohrt, nachdem er eingezogen ist, pro Jahr
       noch mehr als fünf Löcher, die Maschine läuft im Jahr also höchstens zehn
       Minuten. Die Bohrmaschinen in Privatbesitz laufen in ihrer gesamten
       Lebenszeit höchstens zwei bis drei Stunden. Es würde reichen, wenn sich ein
       gesamter Straßenzug eine Bohrmaschine teilte. Aber wir sind hier in
       Ostwestfalen, hier braucht jeder seine eigene Bohrmaschine! Und
       selbstverständlich seinen eigenen Rasenmäher.
       
       Bohrmaschinen- und Rasenmäher-Sharing wäre mindestens so vernünftig wie
       Car-Sharing. Meine Freundin hat das meinen Eltern und ihren Nachbarn
       neulich sogar mal vorgeschlagen. Da war was los! Seitdem gilt sie als
       Kommunistin. Mir ist der Zusammenhang allerdings nicht ganz klar. Meinen
       Eltern war das vor den anderen echt unangenehm, sie konnten es aber
       erklären: „Sie kommt ja aus Niedersachsen!“
       
       2 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Gieseking
       
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