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       # taz.de -- Essay #MeTwo-Debatte in Deutschland: Alman işte! Deutsche eben!
       
       > Es ist notwendig, dass Deutschmigrant*innen ihre negativen Erfahrungen
       > teilen. Aber auch ihre positiven – nur so wird die Realität abgebildet.
       
   IMG Bild: Hat #MeTwo erfunden: der 24-jährige Ali Can
       
       Es ist ein wenig Zeit vergangen, seit sich Mesut Özil mit dem türkischen
       Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zeigte und sich später über den Rassismus
       des DFB beschwerte. Für viele Deutsche mit türkischer
       Migrationsgeschichte war dies eine Steilvorlage, ihre eigenen
       Rassismuserfahrungen kundzutun. Ich hingegen konnte mich gar nicht mit
       Mesut Özil identifizieren. Obwohl ich weiß, dass es Rassismus und
       Diskriminierung in Deutschland gibt. Doch entscheidend ist der Umgang damit
       – und die Differenzierung.
       
       Unsere Eltern der ersten Einwanderergeneration haben damals rassistische
       Erfahrungen höchstens mal mit der Gegenbemerkung „Alman işte!“ abgetan:
       „Deutsche (eben)!“ Danach haben sie weitergeschwiegen. Vielleicht aus
       Dankbarkeit für ihre Arbeit, vielleicht aus Demut. Vielleicht aber auch,
       weil sie die Ausgrenzung in Europa weniger bedrohlich fanden als die in
       ihren Herkunftsländern. Alevit*innen zum Beispiel werden in der Türkei und
       in der türkisch-muslimischen Community in Deutschland bis heute
       benachteiligt, sie gelten als Häretiker und werden teilweise verfolgt. Man
       beschwerte sich damals also nicht, man ging arbeiten und nahm die Dinge so
       hin.
       
       Wir jungen Deutschkanak*innen sind da aber anders, als Nutznießerinnen
       des deutschen Bildungssystems wissen wir, was Rassismus ist, und benennen
       ihn ohne Umschweife. Einerseits ist für uns schon fast „normal“ geworden,
       dass uns Mehrheitsdeutsche fragen, woher wir kommen, wenn wir ihnen unseren
       Namen sagen, man unser „gutes Deutsch“ lobt oder wir keine Einladung zum
       Vorstellungsgespräch erhalten. Während unsere deutschdeutschen Freund*innen
       schon längst eingeladen worden sind und den Job bekommen haben.
       
       ## Diskriminierungserfahrungen werden alltäglich
       
       Bei Niederlagen schleicht sich immer das Gefühl ein, nicht gemocht zu
       werden, weil türkischer Background, und ständig das Doppelte und Dreifache
       leisten zu müssen, aber trotzdem nicht akzeptiert zu werden. Egal ob
       Autoverkäufer*in, egal ob mit deutschem Doktortitel, das innere verletzte
       Kanakenkind fühlt sich ungerecht behandelt und schreit. Das Türkenstigma:
       unser ewiges Schicksal in Deutschland? Kein Wunder, dass die
       [1][#MeTwo-Diskussion] durch Özils Rassismusvorwurf bei vielen Deutschen
       mit türkischer Migrationsgeschichte Zuspruch fand.
       
       Ein sichtbarer Teil der Deutschdeutschen reagiert tatsächlich
       verständnisvoll auf die Rassismusberichte von Menschen mit
       Migrationsgeschichten in den sozialen Medien. Viele andere aber [2][lehnen
       sie vehement ab] und können sie nicht nachvollziehen. Das sei alles andere,
       „aber doch kein Rassismus“. Die Frage nach der Herkunft etwa drücke ja
       schließlich das Interesse des Fragenden aus, Bemerkungen wie „Sie sprechen
       aber gut Deutsch!“ seien als Kompliment für die Sprachkompetenzen des
       Gegenübers gedacht oder einfach nur Höflichkeitsgeste. Die Gegenfrage, ob
       sie solche Fragen auch Deutschdeutschen stellen würden, wird nicht
       beantwortet oder hartnäckig bejaht.
       
       Überhaupt sei das alles „unnützes Gejammer!“. Einige von ihnen, selbst mit
       Migrationsbackground, versuchen, ihre eigene „Integration“ musterhaft
       vorzuführen, um damit Berichte über Rassismus wegzureden, sie seien ja
       schließlich in diesem Land „angekommen“ und es wäre „ihre Heimat!“. Ist
       doch schön, wenn diese Menschen keine Rassismuserfahrungen gemacht haben,
       aber dann dem anderen diese gleich absprechen? Hm.
       
       ## Positive Erfahrungen unter #GermanDream
       
       Kurze Zeit nach #MeTwo wurde von der Journalistin Düzen Tekkal der weitere
       Hashtag #GermanDream eingeführt; darunter sammelten sich positive
       Erfahrungen von (Post-)Migrant*innen in Deutschland. [3][#GermanDream] war
       eher eine Randerscheinung und ging neben dem #MeTwo-Hashtag fast unter. Ich
       persönlich jedoch fand die Kombination dieser beiden Hashtags ziemlich gut
       und twitterte sowohl positive als auch negative Erfahrungen. Zum Beispiel
       darüber, wie mir deutsche Omas als Kind sagten, wir sollten doch „dahin
       zurückgehen, wo wir hergekommen sind!“, das erlebte ich genau zweimal. Und
       über die netten deutschen Omas, die mir sagten, dass ich süße Kulleraugen
       habe, und mir ein Bonbon schenkten.
       
       Die Nennung von negativen und positiven Erfahrungen ist notwendig, weil sie
       die Realität in Deutschland abbildet. Es zeigt, dass nicht alle Deutschen
       rassistisch sind und es auch positive Beziehungen zwischen Deutschdeutschen
       und Deutschmigrant*innen gibt. Auch habe ich das Gefühl, dass das
       Nebeneinander dieser zwei Hashtag-Initiativen Rassismuskritik besser
       annehmbar macht für die Kritisierten. Denn das wäre wichtig für eine
       lösungsorientierte Debatte. Fakt ist, dass die #MeTwo-Initiative Deutschen
       mit Migrationsgeschichte die Möglichkeit gab, sich mitzuteilen und
       gegenseitig auszutauschen, um sich nicht allein zu fühlen.
       
       ## Die Rassismusdebatte sollte geöffnet werden
       
       Doch Rassismuskritik sollte umfassend sein, fair und ehrlich besprochen
       werden. Sie sollte alle Formen von Rassismus und Menschenfeindlichkeit
       thematisieren. Ich kann mich nicht über Rassismus von Deutschdeutschen
       beschweren und sie gleichzeitig rassistisch zurückbeleidigen. Ich kann mich
       als Muslim*in nicht über Feindlichkeit gegenüber Muslim*innen beschweren,
       auf der anderen Seite aber selbst rassistische Regime durch heimliche, für
       die deutsche Mehrheitsgesellschaft nicht sichtbare Sympathiebekundungen
       bestärken – das ist unglaubwürdig und heuchlerisch.
       
       Dieser wichtigen Ergänzung, die auch Rassismus bei Minderheiten
       untereinander und Mehrfachdiskriminierungen benennt, war der dritte Hashtag
       gewidmet: [4][#MeTwoHoch2]. Denn derselbe Mensch kann von unterschiedlichen
       Rassismen gleichzeitig betroffen sein. Leider wurden die Hashtags
       #MeTwoHoch2 und #GermanDream nur von wenigen betroffenen Menschen benutzt.
       Ich finde sie sehr wichtig, weil sie die Komplexität von Rassismus
       aufzeigen und die Einseitigkeit dieser Debatte verhindern.
       
       Denn parallel zur Feindlichkeit gegen Muslim*innen können
       Menschenfeindlichkeit, Sexismus und Homophobie aus politisch-islamischen
       Haltungen herausgehen oder gegen diverse kleine muslimische Strömungen
       gerichtet sein. Zum Beispiel gegen Alevit*innen oder Bahai. Gegen andere
       Religionen und/oder Atheist*innen. Oder gegen liberale bis säkulare
       Muslim*innen, die sich nicht vom politischen Islam präsentiert fühlen –
       wenn man sich noch mal den Anlass von Özils Fotopose mit dem türkischen
       Präsidenten Erdoğan vergegenwärtigt. Innertürkische Rassismen von
       Ultranationalist*innen in der Türkei und in Deutschland, von denen bis
       heute Minderheiten wie etwa Kurd*innen, Jesid*innen oder Armenier*innen
       betroffen sind. Und letztendlich auch Antiziganismus, Antisemitismus sowie
       Rassismus gegen Schwarze Menschen, all diese Rassismen sollten
       differenziert benannt werden, wenn man über Rassismus spricht.
       
       Die allumfassende und differenzierte Benennung von Rassismus und
       Diskriminierung würde den Rechtspopulist*innen jeglicher Couleur, die
       uns Rassismus totreden wollen oder für eigene Zwecke anprangern, den Wind
       aus den Segeln nehmen. Ebenso hätten Befürworter*innen des politischen
       Islam weniger Möglichkeiten, rechtsextremen oder rechtspopulistischen
       Rassismus für islamistische Zwecke zu instrumentalisieren und sich
       ausschließlich als Opfer zu stilisieren. Auch müsste der Mehrheit der
       Menschen in Deutschland die Sensibilität für Rassismus und gruppenbezogene
       Menschenfeindlichkeit beigebracht werden – egal ob deutschdeutsch oder mit
       Migrationsbiografie; ein hoher Anteil kann es immer noch nicht
       nachvollziehen, wann jemand etwas als rassistisch empfindet und wann nicht.
       
       Ähnlich wie bei der Sensibilisierung für sexuelle Übergriffe durch die
       #MeToo-Debatte könnte auch rassismuskritisches Denken nach und nach
       erlernt und in der Praxis angewendet werden. Eine lösungsorientierte
       Rassismusdebatte müsste differenzierter als bisher geführt werden – bei
       größtmöglicher Vermeidung von Polemik und Einseitigkeit. Nur so könnten
       künftig balancereichere Debatten entstehen.
       
       5 Aug 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Hashtag-MeTwo/!5520297
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   DIR [3] https://twitter.com/hashtag/germandream
   DIR [4] https://twitter.com/search?q=%23%23MeTwoHoch2&src=typd
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reyhan Sahin
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