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       # taz.de -- Die Wahrheit: Verschleiert mit dem Burkardt
       
       > Ein Besuch bei der ersten weiblich sanften faschistischen Führerin. Sie
       > nennt sich selbst „Die Hitlerin“ und steht zu ihren Schwächen.
       
       Populismus ist in. Aber die neuen Autokraten – Orbán, Erdoğan, Söderan –
       haben ein gravierendes Styling-Problem: Sie sind Männer. Immer mehr
       Wählerinnen mit Lust auf ein bisschen Diktatur fragen sich: Warum nicht mal
       ’ne Frau?
       
       Wir sind zum Hausbesuch geladen bei Leonore Bartz im schönen hessischen
       Ober-Mörlen. Sie will die nächste Herrscherin Deutschlands werden, und sie
       nennt sich selbst: „die Hitlerin“. Denn sie steht für einen weiblichen,
       sanften Faschismus und für selbstgemachten Rührkuchen.
       
       Wir sind auf der Hut. Inszenierung und Manipulation liegen nahe, wenn eine
       Politikerin ausgewählte Reporter in ihr privates „Reich“ vorlässt. Wird sie
       eine schwarze Hausangestellte haben, um zu demonstrieren, dass sie keine
       Rassistin ist? Wird sie mit einem Röhmrad vorfahren?
       
       Die auffallend kleine, energische Mittvierzigerin mit dem frechen
       Kurzhaarschnitt, den jetzt so viele ihrer AnhängerInnen tragen, empfängt
       uns mit einem offenen Lächeln. Sie strahlt nichts von der Verkniffenheit
       aus, die manche Passagen ihres programmatischen Buchs „Meine Krampfadern“
       prägt. Beim Betreten des mit zeitlosen Eichenmöbeln eingerichteten
       Wohnzimmers fallen uns die Deckchen auf dem Couchtisch ins Auge:
       chinesische Seide mit arisierter Borte. Darauf ein geschmackvolles
       Schälchen mit der ultraangesagten Nascherei: dem Germanikuss – jetzt mit
       noch weißerer Schokolade für süßen Genuss ohne braune Flecken!
       
       Auf dem Tisch liegt ihr neuestes Buch: „Nette Hassreden für private und
       geschäftliche Feiern“. Ein kleiner Leitfaden für ihre Fans, die sie
       teilweise regelrecht anhimmlern. Gute Umgangsformen seien ihr sehr wichtig,
       erklärt sie. Bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit auf Faschbook kämen nur
       klimaneutrale Nebelkerzen zum Einsatz. Und sie möge die schönen Dinge.
       Deshalb orientiere sie sich auch an Diktatoren der siebziger Jahre wie
       Imelda Marcos, Bokassa oder Idi Amin. Die hätten noch ein Gefühl gehabt für
       echten Prunk. Ihr hätten Herrscher im Hermelinmantel jedenfalls immer mehr
       imponiert als verkniffene Männer in Uniform.
       
       ## Laternenumzug für die Familie
       
       Wir gehen gleich in medias res: „Wie, Frau Hitlerin, stellen Sie sich
       Deutschland in fünfzehn Jahren vor?“ Die künftige Herrscherin Europas
       entwickelt sogleich begeistert ihre Vision: Das Zieldatum für Ihre
       Ernennung durch Präsident Gauland ist selbstverständlich der 30. Januar
       2033. Wegen der Temperaturen findet der Laternenumzug für die ganze Familie
       in der Reichstagskuppel statt. Freiwillige Helfer schieben begeistert die
       vielen gerührten No-Go-Arier, die wie Gauland im Rollstuhl sitzen. Draußen
       vor dem Reichstag jubeln Hunderttausende der neuen Führerin zu – sie alle
       sind plötzlich ihre Fans. „Selbstbräuner“ nennt die Hitlerin sie
       verächtlich. Speichellecker mag sie nur, wenn sie ihnen wirklich vertrauen
       kann.
       
       Wir fragen, was sie in den berühmten ersten hundert Tagen in Angriff nehmen
       will. Beim Wort „Angriff“ zuckt die PR-Frau kurz zusammen, aber dann zählt
       die Hitlerin souverän einiges auf: Als Erstes wird für alle Innenräume eine
       Temperatur von 23 Grad vorgeschrieben. Es muss Schluss sein damit, dass
       Frauen ständig frieren! Die Arbeitslosigkeit werde sie durch den Bau von
       einer Million Schuhfabriken beseitigen. Und es wird nur noch Autofabriken
       geben, in denen rote Autos gebaut werden. Femina-Faschismus bedeute
       überdies ein Verschleierungsgebot auch für muslimische Männer: Sie werden
       den Burkardt tragen müssen.
       
       Die deutsche Fahne wird erstens besser gebügelt und trägt zweitens den
       Wappenspruch „Nicht nur sauber, sondern rein“. Erstklässler kommen in die
       Waffel-SS. Zu passive Kinder bekommen Hitlerin®, den neuen Aufputscher.
       Heranwachsende leisten ein Jahr Putzdienst in der Organisation „Kraft durch
       Feudel“. Außerdem wird das Strafrecht verschärft: Auf das Unterbrechen
       einer Frau stehen zwei Jahre Stuhlkreis bei den Anonymen Männern. Ohne
       Bewährung.
       
       Das Postgeheimnis gilt weiter – außer die Frau will unbedingt wissen, was
       in einem Brief oder einer Mail steht. Der Zeitschriftenmarkt wird
       gleichgeschaltet: Es gibt nur noch die Eva, die Landserlust und für den
       Klatsch Die Braune. Neue Nationalfeiertage werden Fasching und die Fashion
       Week. Der deutsche Gruß lautet künftig: „Ewig Eva!“ Der demografische
       Niedergang des deutschen Volkes wird mit der „Brut-und-Hoden-Ideologie“
       gestoppt. Und diesmal sind die Männer dran: Das Vaterkreuz und der Titel
       „Verdienter Zuchthengst des Volkes“ belohnen zeugungsfreudige
       Volksgenossen.
       
       ## Fanatismus gegen Blinker
       
       Ein wenig Fanatismus flackert auf, als wir wissen wollen, was sie am
       meisten stört am gegenwärtigen System. „Vor allem das überholte System von
       ‚Rechts‘ und ‚Links‘. Sobald ich an der Macht bin, werden Frauen nicht mehr
       grübeln müssen, welcher Blinker im Auto welche Richtung anzeigt. Man sieht
       doch, wohin es fährt.“
       
       Es folgt eine heikle, mutige Frage: Diktatoren einen ihr Volk meist, indem
       sie einen gemeinsamen Feind benennen. Wer wird das bei Ihnen sein, Frau
       Hitlerin? Die Antwort der zweimal Geschiedenen kommt schnell und knapp:
       „Das werden EhebrecherInnen sein. Die werden ein Zwangstattoo auf der Stirn
       tragen mit dem Satz ‚Meine Schande heißt Untreue‘. Mit einer S-Rune durch
       ein Herz.“
       
       Nächste tollkühne Frage aus dem Geist des kritischen Journalismus:
       „DiktatorInnen müssen ihr Volk auch mal bestrafen – vor allem ihre
       GegnerInnen. Was planen Sie hier?“ Hier zögert sie leicht: „Eins vorweg –
       von Lagern halte ich nichts. Zu viel Unordnung und Unzucht. Meine Gegner –
       ich gehe davon aus, dass das nur Männer sind – werden vor allem durch
       unfaire, personalisierte Outfit-Kritik auf Faschbook bloßgestellt. Und wenn
       das Volk murrt oder aufmuckt, werde ich eingeschnappt sein und es durch
       Schweigen bestrafen. Das Volk wird zittern vor diesen ‚Braunschweig-Wochen‘
       und sehnsüchtig auf die nächste Führerinnenrede warten, weil alles besser
       ist als dieses grausame Schweigen.“ Ihre Augen blitzen bei diesen Worten.
       Die Frau meint es wirklich ernst.
       
       Abschließende Frage: „Was wünschen Sie sich für sich persönlich, Frau
       Hitlerin, wenn Sie die totale Macht haben?“ Die künftige Diktatorin lächelt
       zum ersten Mal heute und gesteht schließlich, wovon sie heimlich träumt:
       von der größten Parklücke der Welt. Sympathisch ehrlich steht sie zu ihren
       Schwächen. Ihre Vision für alle Frauen ist ihr jedoch wichtiger: Das
       Frauenhofer-Institut soll eine Technologie entwickeln, die die Wünsche von
       Frauen direkt in die Hirne von Männern überträgt. Allerdings ist die
       Hitlerin Realistin: Auch Frauen würden wohl oft überrascht sein von den
       Ergebnissen.
       
       Nach zwei wie im Rausch verbrachten Stunden sind wir entlassen. Wir prüfen
       uns und finden: Wir sind nicht manipuliert worden. Sondern die Frau hat es
       echt drauf.
       
       4 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Oliver Domzalski
       
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