# taz.de -- Kolumne German Angst: Wir dürfen nicht schweigen
> Ungleiche Privilegien, Faschismus überall, Massensterben im Meer – es
> verschlägt einem die Sprache. Genau das können wir uns aber nicht
> leisten.
IMG Bild: Für Flüchtlinge fehlt oft das Mitleid
Zum ersten Mal, seit ich diese Kolumne schreibe, fehlen mir die Worte. Wie
soll man schreiben über etwas, das viel monströser ist, als Worte es fassen
können: [1][das Massensterben im Mittelmeer], die Ungleichheit von
Ressourcen und Privilegien, faschistische Tendenzen überall.
Und in Deutschland? [2][Von neuen Nazis aufgesetzte Feindeslisten] mit
tausenden Namen, Anfragen zur Registrierung von Sinti und Roma im
Parlament, „Absaufen, absaufen!“-Chöre auf den Straßen – und die Helfer des
NSU werden mit einem beschämenden Nichts an „Strafe“ rehabilitiert.
Das alles ist so beschämend. Was ist noch zu sagen, wenn es nun radikal bis
anstößig ist, auf das Grundgesetz zu verweisen. Vor nicht allzu langer Zeit
hätte ich nicht gedacht, dass dies einmal mein Maß sein könnte: der Erhalt
des Status quo. Wer hätte gedacht, dass Linke einmal MinisterInnen an ihr
Commitment erinnern. So etwas wie: Menschen an der Grenze abweisen ohne
Prüfung auf das Recht auf Asyl – illegal; oder: Nichtdeutsche abschieben
wollen, weil sich nicht deutsch sind – illegal.
Die Festung Europa ist keine Metapher mehr. Europa ist eine Festung. Alles
muss reingehalten und eingehegt werden, mit Mauern und Zäunen. Zur dieser
brutalen Verkleinerung der Welt gehört die brutalere Erweiterung des
Vorstellbaren, um das Eigene zu schützen – und koste es das Leben
Zehntausender.
## Eine Armee der Habenichtse
Und da ist er wieder, jener immer bedrohte, fragile faschistoide
Volkskörper. Die Fluten und Ströme, die heute Nation und männliche
Identität gefährden, heißen Einwanderungsflut und Migrationsstrom, Invasion
der Flüchtlinge und, imaginiert als eine Armee der Habenichtse: Soldaten
ohne Uniform. Zuerst nehmen sie die Grenzen, dann unsere Smartphones, ALG
II, Jobs, unsere Frauen. – Und was bitte bleibt für die Deutschen? German
Angst überall.
Feinde, Täter und Eindringlinge in Massen: vor Europa, in Europa. In der
Schule. In der Regierung. Da hilft nur ein Theweleit’scher Kollektivpanzer.
Eine Festung Nationalstaat. Nur: Die Geschichte der Migration kann genauso
wenig rückgängig gemacht werden wie die der Einwanderung nach Deutschland.
Die Radikalisierung im Sinne des Einteilens der Menschen, deren Recht auf
Leben man schützt, und jenen, deren Rechte und Leben nichts mehr wert sind
sobald sie sich in Bewegung gesetzt haben, der Rückzug in das eigene Fort,
indes hat längst die politische Mitte erreicht.
Und was nützt da [3][ein Verfassungsschutzbericht, der einen wichtigen Teil
des rechten Extremismus außen vor lässt]? Nämlich den Extremismus der
Mitte. Den der Straße, der Parlamente, der Worte. Dafür steht
symptomatisch, dass sich die Rechte so gern zu Unrecht „in die rechte Ecke
gestellt“ fühlt, ist für sie doch die Mitte längst dort, wo sie selbst
sind. Und leider stimmt genau das seit einiger Zeit. Wort- und
Handlungslosigkeit kann man sich da nicht mehr leisten.
9 Aug 2018
## LINKS
DIR [1] /Tag-der-Seenotretter/!5523911
DIR [2] /Bedrohung-durch-Rechtsextreme/!5520628
DIR [3] https://www1.wdr.de/daserste/monitor/videos/video-der-tagesthemen-kommentar-von-georg-restle-zum-verfassungsschutzbericht-vom--100.html
## AUTOREN
DIR Sonja Vogel
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