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       # taz.de -- Insektensterben in Niedersachsen: Kein Summen und kein Krabbeln mehr
       
       > Die schwarz-rote Landesregierung Niedersachsens sorgt sich ernsthaft um
       > das Insektensterben und will etwas dagegen tun.
       
   IMG Bild: Ausgeräumt und totgespritzt: Dieser Acker ist kein Lebensraum mehr für Insekten
       
       HAMBURG taz | Obwohl viel über die Umwelt diskutiert wird, hat sich ihr
       Zustand in den vergangenen zwei Jahrzehnten nur immer weiter
       verschlechtert. Das zeigt sich in der Antwort der schwarz-roten
       niedersächsischen Landesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der
       Grünen zum Insektensterben.
       
       „Verschiedene Studien in Deutschland zeigen teilweise dramatische Rückgänge
       der Insektenbiomasse von bis zu 80 Prozent“, heißt es in der Antwort. Das
       ist an sich schon dramatisch, umso mehr als 80 Prozent der Blütenpflanzen
       weltweit von Insekten bestäubt werden und Insekten weit unten an der Basis
       der Nahrungspyramide stehen. Bricht sie weg, muss auch der Mensch hungern.
       
       Die komplexen Ursachen und Folgen des Insektensterbens zeichnen ein
       bedrückendes Bild von den Umweltveränderungen der jüngeren Zeit. Was den
       Bestand an Insekten angeht, gebe es eine „immense Wissens- und Datenlücke“
       räumt die Landesregierung ein. Bis zum Frühjahr kommenden Jahres erarbeitet
       der Bund einen Monitoring-Leitfaden, mit dem Insekten systematisch und
       langfristig erfasst werden sollen.
       
       Derzeit hat Niedersachsen nur für elf Insektengruppen rote Listen mit
       gefährdeten Arten erstellt. Von den gut 3.500 Arten in den elf Gruppen
       gelten 1.400 als gefährdet. Von den 341 Wildbienenarten, die in
       Niedersachsen nachgewiesen wurden, gelten 46 als ausgestorben oder
       verschollen.
       
       ## Immer mehr Pflanzenschutzmittel
       
       Zwei Faktorenkomplexe seien für den Rückgang entscheidend, schreibt die
       Landesregierung: „der Verlust an Lebensräumen und die qualitative
       Verschlechterung von Insekten-Lebensräumen“. In den vergangenen 30 Jahren
       ist der Anteil der Äcker und Wiesen an der Bodenfläche von 64 auf 60
       Prozent gesunken, der des Grünlandes noch stärker, von 41 auf 34. Die
       Bauern haben mehr gedüngt und sie haben mehr Pflanzenschutzmittel
       ausgebracht: 47.000 Tonnen gegenüber 36.000 vor 30 Jahren. Sie haben mehr
       Neonicotinoide gespritzt – eine Stoffgruppe, die besonders für Bienen
       gefährlich ist.
       
       Da sich die Hälfte der niedersächsischen Brutvogelarten von Insekten und
       Spinnen ernährt, liegt aus Sicht der Landesregierung die Vermutung nahe,
       dass der Insektenschwund auch ein Grund für den Vogelschwund sein könnte.
       Mehr als die Hälfte der 212 Brutvogelarten im Land gelten als gefährdet.
       Bei 30 Prozent der Insektenfresser ist der Bestand in den vergangenen 25
       Jahren zum Teil dramatisch kleiner geworden.
       
       „Alles hängt letztlich mit der Agrarpolitik zusammen“, sagt Philip Foth,
       der Sprecher des Naturschutzbundes (Nabu) Niedersachsen. Er plädierte
       dafür, das Geld, das die EU an die Bauern zahlt, weit mehr als bisher an
       ökologische Maßnahmen zu koppeln, wie tierschonende Flächenbearbeitung, die
       Erhaltung von Feldrainen, das Anlegen von Blühstreifen und Trittsteinen,
       über die sich Tierpopulationen austauschen können. „Wir fordern
       öffentliches Geld für öffentliche Leistung“, sagt Foth.
       
       780 Millionen Euro Prämien haben Niedersachsens Landwirte nach Auskunft der
       Landesregierung im Durchschnitt der vergangenen Jahre erhalten – jeweils
       umso mehr je größer die Flächen waren, die sie bewirtschafteten.
       Demgegenüber bezahlte die EU im vergangenen Jahr nur knapp 60 Millionen
       Euro für die Erhaltung der biologischen Vielfalt.
       
       Landvolk-Sprecherin Gabi von der Brelie erinnert daran, dass auch die
       Flächenprämien nur gezahlt werden, wenn die Landwirte bestimmten
       Grundforderungen in Bezug auf den Umwelt- und Klimaschutz sowie den Umgang
       mit ihren Äckern und Wiesen genügten. Die Landwirtschaft sei sicherlich mit
       beteiligt am Verschwinden der Insekten. „Uns stört, dass wir alleine im
       Fokus stehen“, sagt sie, und etwa die Flächenversiegelung durch immer mehr
       Straßen und Gebäude aus dem Blick gerate.
       
       ## Aktionsprogramm versprochen
       
       Die Landwirte reagierten bereits, etwa indem sie Blühstreifen anlegten.
       „Das Umdenken setzt allgemein ein“, sagt Von der Brelie, „und das ist
       sicherlich ganz gut“. Ein Umlenken der EU-Agrarförderung von der
       Flächenprämie auf eine Förderung ökologischer Leistungen, sieht sie
       skeptisch. Sie bezweifelt, ob bei einer Umsteuerung die Einkommen der
       Bauern erhalten blieben.
       
       Die Landesregierung bleibt in diesem Punkt vage, desgleichen beim Einsatz
       von Pflanzenschutzmitteln. Sie verspricht aber, sie werde „ein
       Aktionsprogramm für den Erhalt der Insektenfauna innerhalb eines Jahres
       erarbeiten“ und Flächen für den Naturschutz kaufen. Im Übrigen fordert sie
       mehr Geld vom Bund für den Schutz der Insekten und der biologischen
       Vielfalt.
       
       8 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gernot Knödler
       
       ## TAGS
       
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