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       # taz.de -- Thilo Sarrazin macht PR im Gerichtssaal: Teil einer Medienkampagne
       
       > Thilo Sarrazin schrieb ein Buch, aber sein Verlag hatte Schwierigkeiten
       > mit dem Text. Sarrazin fand einen neuen Verlag und verklagte den alten.
       
   IMG Bild: Thilo Sarrazin am Montag, 9. Juli, im Landgericht München
       
       Ein Landgericht ist ein recht ungewöhnlicher Ort für eine groß angelegte
       PR-Aktion. In einem solchen, dem Münchner Landgericht I, erschien am
       vergangenen Montag der Berliner Bestsellerautor Thilo Sarrazin und nahm auf
       der Klägerseite Platz.
       
       Sarrazin prozessiert gegen seinen bisherigen Verlag, die zur
       Random-House-Gruppe gehörende Deutsche Verlags Anstalt (DVA), weil diese
       sein neues Buch nicht veröffentlichen will. Beim ersten Gütetermin Anfang
       der Woche kam es zu keiner Einigung zwischen den Parteien – nun wird man
       sich noch häufiger vor Gericht treffen.
       
       Sarrazin schloss 2016 mit seinem Stammverlag DVA, bei dem auch schon
       „Deutschland schafft sich ab“ (2010) erschien, einen Vertrag über ein neues
       Buch ab. Arbeitstitel: „Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt
       behindert und die Gesellschaft bedroht“. Wichtiger Bestandteil des Buchs
       ist offenbar eine Koranlektüre des Autors, mit der er Aussagen über die
       Integrationsfähigkeit von Muslimen heute treffen will.
       
       So weit, so Sarrazin. Ursprünglich hatte DVA den Titel für Herbst dieses
       Jahres eingeplant – nach der Manuskriptvorlage im Februar aber kamen dem
       Verlag Zweifel ob des Textes, der Termin sollte geschoben werden. Es kam
       zum Zerwürfnis. DVA kündigte, Sarrazin klagte. Inzwischen aber hat der
       Autor schon einen neuen Verlag – den Finanzbuch Verlag. Der wird den Titel
       Ende August auch veröffentlichen.
       
       ## Er klagt auf Schadenersatz
       
       Für Doktor Sarrazin gibt es also eigentlich kein Problem mehr – über den
       Vorschuss von 100.000 Euro, der in zwei Raten seitens DVA geflossen ist,
       hätte man sich wohl auch außergerichtlich einigen können. Daher lautet die
       Klage auf „Rufschädigung“ und Schadenersatz aufgrund entgangener
       Einnahmen – der Finanzbuch Verlag habe nicht die Möglichkeiten, Sarrazins
       Buch so zu verkaufen, wie DVA es gekonnt hätte.
       
       Dabei gehört der Verlag zur Bonnier-Mediengruppe, der drittgrößten
       deutschen Verlagsgruppe, unter dessen Dach unter anderem Piper, Ullstein
       und Carlsen sind. Sarrazins Anwalt Andreas Köhler hat dennoch eine
       Schätzung abgegeben, wonach Sarrazins neuer Verlag mindestens 200.000
       Exemplare weniger verkaufen werde. Er taxiert den Wert der entgangenen
       Summe auf 500.000 Euro.
       
       ## Richter spricht von Medienkampagne
       
       Zur Farce wird das Ganze, wenn nun der sorgfältig inszenierte Medientrubel
       (Bild berichtete) und die Zensurvorwürfe, die nicht lange auf sich warten
       ließen, wohl für einen viel höheren Absatz des Buchs sorgen wird. „Der
       Vorsitzende Richter Peter Lemmers hat klugerweise selbst davon gesprochen,
       dass er den Gerichtstermin als Teil einer Medienkampagne sehe“, sagte
       Rainer Dresen, der Random House als Justiziar vor Gericht vertritt, der
       taz.
       
       „Es war für uns ziemlich offensichtlich, dass wir es hier mit einem Autor
       mit starkem Veröffentlichungsdrang zu tun haben, der sich im aktuellen
       gesellschaftlichen Diskurs als jemand darstellen will, der die heutigen
       Entwicklungen schon in seinem ersten Buch vorhergesehen und also Recht
       behalten hat.“ Deshalb sei es Sarrazin wohl so wichtig, sein Buch vor den
       Landtagswahlen in Bayern und Hessen zu veröffentlichen.
       
       ## Schwer zu überprüfende Textpassagen
       
       Die DVA macht bei all dem aber auch keine gute Figur. Genaue Gründe, warum
       man sich nun, nachdem man vier Sarrazin-Bücher mit nicht minder
       fragwürdigen Inhalten publiziert hat, von ihm trennt, sind nicht zu
       erfahren. Dresen spricht von einer „Gemengelage“ aus wechselnden
       Zuständigkeiten im Verlag und einem unkooperativen Autor, der mit Drohungen
       reagierte, als man den Veröffentlichungstermin verschieben wollte. Und von
       schwer zu überprüfenden Textpassagen.
       
       Dem Verlag stünde es gut zu Gesicht, Klartext zu sprechen, was er wegen des
       laufenden Verfahrens vermeidet. Falls er aus Angst vor Rechtspopulisten und
       potenziellen Kunden schweigt, wäre das ziemlich armselig. Und denkbar
       schlechte PR.
       
       12 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Uthoff
       
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