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       # taz.de -- Kommentar NSU-Prozess und Aufklärung: Deutschland hat ein Problem
       
       > Die Urteile im NSU-Prozess sind zwar gesprochen. Von einer umfassenden
       > Erkenntnis über die Hintergründe des Terrors sind wir trotzdem weit
       > entfernt.
       
   IMG Bild: Kein Schlussstrich: Vor dem OLG München erinnern Demonstranten an die Mordopfer des NSU
       
       Die Urteile im NSU-Prozess [1][sind gefallen]. Deutschland hat aber immer
       noch ein Problem: den „NSU-Komplex“. Und was macht Deutschland? Es
       verschiebt, verleugnet, rationalisiert.
       
       „Komplex“ ist kein zufällig gewähltes Wort. Es will die Ursachen
       institutioneller, struktureller und personeller Natur fassen, will die
       Haltung einer Gesellschaft benennen, die den Neonaziterror möglich gemacht
       hat. Vom „NSU-Komplex“ sprechen Kritiker des offiziellen
       Aufklärungsprozesses, der all das nicht fassen will. Jene Kritiker, die
       glauben: Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe handelten nicht in einem Vakuum,
       und es waren auch nicht nur die vier weiteren Helfer involviert, die jetzt
       zusammen mit Zschäpe verurteilt wurden.
       
       Der deutsche Staat und seine Justiz wollen das aber nicht wahrhaben. Dabei
       hatte die Bundeskanzlerin 2012 gesagt: „Wir tun alles, um die Morde
       aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle
       Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen.“ Dieses Versprechen hat sie
       stellvertretend für den deutschen Staat gebrochen.
       
       Ein Teil der Öffentlichkeit kritisierte von Anfang an eine fehlende
       Bereitschaft, umfassend aufzuklären. Aber auch eine aufmerksame
       Öffentlichkeit ermüdet, sie gewöhnt sich an die verweigerte Aufklärung.
       Auch ohne Gerechtigkeit geht das Leben weiter. Auch ein NSU-Prozess endet
       einmal. Irgendwann verkommt die Ungerechtigkeit zur leidenschaftslos
       vorgetragenen Randnotiz.
       
       Würde Deutschland eine Psychoanalyse machen, würden ihm drei
       Abwehrmechanismen attestiert werden: Verschiebung, weil es seine
       Verantwortung für den Neonaziterror auf wenige Personen verschiebt.
       Verdrängung, weil Deutschland – eigentlich Gedenkweltmeister – die Gefühle,
       die aus dieser Schuld erwachsen, nicht ertragen kann. Rationalisierung,
       weil es sich den NSU auf diese Weise trotzdem erklären kann.
       
       Die Urteile sind gefallen. Und wir sind immer noch weit entfernt von einer
       umfassenden Erkenntnis über die Hintergründe des NSU-Terrors. Dafür
       gewinnen wir eine andere Erkenntnis: Auf das offizielle „Nie Wieder“ der
       Bundesrepublik ist kein Verlass. Um so wichtiger ist der
       zivilgesellschaftliche Antifaschismus. Auch nach dem Urteil werden
       diejenigen weiterhin Fragen stellen, die es mit dem Kampf gegen Neonazis
       ernst meinen.
       
       11 Jul 2018
       
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