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       # taz.de -- Völkerrechtler über EU-Flüchtlingspolitik: „Libyen ist nicht sicher“
       
       > Italien dürfe nicht das Ausschiffen von aus Seenot geretteten
       > Flüchtlingen verbieten, sagt der Bremer Völkerrechtsexperte Andreas
       > Fischer-Lescano.
       
   IMG Bild: Flüchtlinge vor der Küste Libyens werden aus dem Meer geborgen
       
       taz: Italiens Regierung will ihre Häfen für alle Schiffe schließen, die
       Gerettete an Bord haben. Das soll auch staatliche Rettungsschiffe, etwa von
       der EU, der NATO oder Frontex betreffen. Die sollen Gerettete nach Libyen
       bringen. Darf Italien das? 
       
       Andreas Fischer-Lescano: Wenn diese Art rechtspopulistische
       Politikverweigerung sich durchsetzt, käme unter Umständen ein Verfahren vor
       dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Frage. Der könnte die
       sich nun abzeichnende Praxis der Rettungsleitstelle MRCC in Rom überprüfen,
       Flüchtlinge an Libyen abzugeben.
       
       Was genau ist an dieser Praxis rechtlich zweifelhaft? 
       
       Diese Maßnahmen sind staatliche Maßnahmen Italiens. Sie fallen also unter
       die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und sie sind problematisch
       im Hinblick auf das Verbot der Kollektivausweisung und das Verbot der
       unmenschlichen Behandlung. Die rechtlich ungeklärte Frage ist aber, ob
       zwischen dem MRCC in Rom und den in Seenot befindlichen Personen eine so
       enge Rechtsbeziehung besteht, dass die Anwendung der EMRK ausgelöst wird.
       Da es aber jeweils um konkret betroffene Personen geht und die
       MRCC-Maßnahmen jeweils auf konkrete Schiffe bezogen sind, dürfte dies der
       Fall sein.
       
       Warum ist es unmenschlich, Menschen nach Libyen zurückzubringen? 
       
       Libyen bietet keinen effektiven Schutz vor Verfolgung und vor der
       Rückführung in die Verfolgungsländer. Zudem ist die Sicherheits- und
       Menschenrechtslage dort katastrophal. Wenn die Europäische
       Menschenrechtskonvention gilt, dann muss das MRCC einen sicheren – und das
       heißt auch einen menschen- und flüchtlingsrechtlich sicheren – Hafen für
       die Rettung auswählen.
       
       Die Italiener sagen, Libyen sei aber zuständig, allein schon, weil es den
       Unglücksorten am nächsten liegt. 
       
       Zuständig ist der nächste für Flüchtlinge sichere Hafen, auch wenn der
       weiter entfernt liegt. Libyen ist, wie gesagt, für Flüchtlinge nicht
       sicher. Von dieser Regel, einen flüchtlingsrechtlich sicheren Hafen
       auszuwählen, gibt es nur eine einzige Ausnahme: Wenn es keine andere
       Möglichkeit gibt, das Leben der aus Seenot Geretteten anders zu sichern,
       also etwa, wenn ein Schiff, das sie aufgenommen hat, sonst untergehen
       würde. Aber wenn es eine andere Möglichkeit gibt – etwa die Flüchtlinge von
       Handelsschiffen, privaten Helfer, EU- oder NATO-Schiffen aufnehmen zu
       lassen – dann muss beachtet werden, dass die EMRK unmenschliche Behandlung
       und auch die Zuführung von Menschen in Länder, in denen unmenschliche
       Behandlung droht, verbietet. Und das heißt: Die Betroffenen dürfen nicht an
       Staaten übergeben werden, die etwa das Refoulementverbot nicht beachten,
       Flüchtlinge direkt abschieben. Private Handelsschiffe anzuweisen, dass sie
       warten müssen, um das Eintreffen libyscher Kräfte abzuwarten, ist nicht nur
       unmenschlich, es verletzt die EMRK.
       
       Wer könnte dagegen klagen? 
       
       Die gerichtliche Klärung dieser Pflichten kann entweder durch Betroffene
       herbeigeführt werden. Wenn eine Blockade anhält, wäre aber auch eine Klage
       mit Bezug auf den Artikel 33 der EMRK möglich. Der sieht vor, dass alle
       Mitgliedsstaaten der EMRK eine so genannte Staatenbeschwerde einlegen
       können, um eine solche Praxis überprüfen zu lassen. Das kann auch im
       Eilverfahren geschehen.
       
       Die EU selbst kann nichts tun? 
       
       Die EU kann nicht beim EGMR klagen. Aber die EU-Kommission hat die
       Möglichkeit, parallel dazu ein Vertragsverletzungsverfahren im Hinblick auf
       die Einhaltung des Unionsrechts im Rahmen der Frontex-Maßnahmen zu
       initiieren. Dafür wäre dann der Europäische Gerichtshof zuständig wäre.
       
       Italien hat Abkommen zu Frontex und den EU-Missionen abgeschlossen.
       Verletzt es diese, wenn es den Schiffen dieser Missionen den Zugang zu
       seinen Häfen verweigert? 
       
       Die Frontex-Mission Themis unterliegt der Frontexverordnung und der
       Seeaußengrenzenverordnung der EU und damit dem einschlägigen
       Seevölkerrecht. Dafür hat die Internationale Seeschifffahrtsorganisation
       IMO Regeln aufgestellt. Die verlangen, dass aus Seenot gerettete
       Flüchtlinge nicht in Länder gebracht werden, in denen ihr Schutz nicht
       sichergestellt werden kann. Beide Verordnungen beziehen sich auf diese
       völkerrechtlichen Normen. Die Seeaußengrenzen-VO verpflichtet zudem den
       jeweiligen Einsatzmitgliedstaat – im Fall der Themis-Mission ist das
       Italien – dazu, die Ausschiffung der geretteten Personen auf ihrem
       Territorium zu ermöglichen. Sofern Italien den Frontex-Beteiligten die
       Ausschiffung verweigert, bricht das Land also EU-Recht.
       
       13 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
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