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       # taz.de -- NSU-Helfer Ralf Wohlleben ist wieder frei: Ein neuer Szeneheld
       
       > NSU-Unterstützer Wohlleben war zu zehn Jahren Haft verurteilt worden und
       > ist jetzt doch wieder frei. Das ist juristisch korrekt – und auch
       > skandalös.
       
   IMG Bild: Freut sich vielleicht schon auf das nächste Rechtsrock-Festival: Ralf Wohlleben
       
       Genau eine Woche nachdem ihn das Oberlandesgericht München [1][zu einer
       Haftstrafe von zehn Jahren verurteilt hat,] wurde Ralf Wohlleben am
       Mittwoch [2][aus dem Gefängnis entlassen.] Sechseinhalb Jahre seiner
       Haftstrafe hat er durch die Untersuchungshaft bereits verbüßt, der Rest
       wurde nun zur Bewährung ausgesetzt. Der Neonazi-Kader kann zurück zu seiner
       Familie und zu seinen Kameraden, die ihm über all die Jahre die Treue
       hielten.
       
       Der Mann, der gemeinsam mit Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in
       den neunziger Jahren die Kameradschaft Jena gründete und den Thüringer
       Heimatschutz aufbaute, der dem Trio unterzutauchen half und die Waffe für
       die neun rassistischen Morde beschaffte, kommt frei. Beobachter vermuten,
       dass er seine politischen Aktivitäten fortsetzen wird. Schließlich hatte er
       sie auch während der Haft nicht unterbrochen, sondern aus dem Gefängnis
       heraus den Kontakt zur Szene gehalten.
       
       Die Entlassung [3][fühlt sich falsch an.] Juristisch ist sie korrekt:
       Wohlleben hat bereits mehr als zwei Drittel seiner Strafe abgesessen. In
       solchen Fällen wird davon ausgegangen, dass die Gefahr, dass der Häftling
       untertaucht, nur noch sehr gering ist und die Strafe deswegen zur Bewährung
       ausgesetzt werden kann. Dass Wohlleben Familie hat, spricht in seinem
       konkreten Fall zusätzlich dagegen, dass er untertauchen wird.
       
       Es ist nicht diese Regelung, über die man sich jetzt empören sollte. Dass
       Straftäter nicht so lange wie irgend möglich weggesperrt werden, ist
       richtig, und dass Recht unabhängig von politischer Gesinnung gelten sollte,
       auch.
       
       ## Ohne ihn keine Mordserie
       
       Trotzdem ist der Fall Wohlleben symptomatisch für das Versagen des
       Rechtsstaats beim NSU-Komplex. Denn hier zeigt sich erneut, wie
       problematisch es ist, dass auch die Bundesanwaltschaft bis zuletzt daran
       festgehalten hat, dass es sich beim NSU um ein Trio aus Beate Zschäpe, Uwe
       Mundlos und Uwe Böhnhardt handelte – obwohl diese These mehr Fragen
       aufwirft als beantwortet.
       
       Damit war von Anfang an der Raum abgesteckt, in dem der NSU-Komplex während
       des Prozesses verhandelt werden konnte. Menschen wie Ralf Wohlleben sah man
       so allenfalls als Unterstützer der „eigentlichen Täter“.
       
       Angehörige der Opfer, Nebenklagevertreter und viele Experten gehen von
       etwas anderem aus: davon, dass der NSU ein weit verzweigtes Netzwerk war,
       das bis in staatliche Behörden hineinreichte und auf dem Boden eines
       rassistischen gesellschaftlichen Klimas wuchs – und sie gehen auch davon
       aus, dass dieser Satz vielleicht sogar im Präsens stehen müsste.
       
       Eine solche Auffassung lässt auch eine Figur wie Wohlleben, seit den
       neunziger Jahren zentrale Person der Thüringer Neonaziszene, in
       Zusammenhang mit dem NSU in einem anderen Licht erscheinen. Er wäre dann
       nicht lediglich Unterstützer einer isolierten Zelle von drei Personen,
       sondern Teil eines Netzwerks, ohne dass es die rassistische Mordserie nicht
       gegeben hätte.
       
       ## Unterschätzte Gefahr
       
       Wäre der Münchner Prozess nicht von Anfang an auf die Trio-These verengt
       gewesen, hätten dort andere Dinge zur Sprache kommen können – und dann wäre
       womöglich auch das Urteil über Ralf Wohlleben anders ausgefallen.
       
       Das ist das eine, was das milde Urteil für Wohlleben und die daraus
       folgende frühzeitige Haftentlassung so skandalös macht. Das andere sind die
       Konsequenzen, die seine Rückkehr haben könnte. Denn nach wie vor wird die
       von organisierten Neonazis ausgehende Gefahr unterschätzt, NSU hin oder
       her.
       
       In den frühen nuller Jahren protestierten Antifa-Aktivisten gegen den
       NPD-Kader Ralf Wohlleben und sein „Braunes Haus“, sie wiesen auf die Gefahr
       hin, die von Thüringer Neonazistrukturen ausginge. Gehör fanden sie kaum.
       Der NSU begann in dieser Zeit mit dem Morden.
       
       Man wünscht sich, dass solche Warnungen nie wieder ungehört verhallen. Doch
       spätestens mit dem Ende des NSU-Prozesses in München wird auch das Wissen
       um die Existenz rechten Terrors wieder in den Hintergrund treten. Mag sein,
       dass noch hingeschaut wird, sollte sich Wohlleben Ende August tatsächlich
       beim nächsten großen Rechtsrockfestival feiern lassen. Doch diese
       Aufmerksamkeit wird vorbeigehen. Dabei wäre sie umso wichtiger – denn mit
       Ralf Wohlleben hat die rechtsextreme Szene nun einen neuen Helden.
       
       18 Jul 2018
       
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