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       # taz.de -- Festangestellte in Presseverlagen: Ein entscheidendes Wörtchen
       
       > Mehrere Ex-Mitarbeiter von Gruner+Jahr klagen, weil der Verlag sie nur
       > befristet beschäftigt hat. Das Gericht wiegelt ab und spricht ein
       > wegweisendes Urteil.
       
   IMG Bild: „Brigitte“, „Brigitte Woman“, „Brigitte Mom“ und „Brigitte Wir“: Da ist für jede was dabei – und für die Mitarbeiterinnen?
       
       Berlin taz | Die Frauenzeitschrift Brigitte ist noch immer eine der
       Cashcows im Hause Gruner + Jahr. So erfolgreich, dass es neben den vier
       verschiedenen Ausgaben (Brigitte, Brigitte Mom, Brigitte Woman, Brigitte
       Wir) mittlerweile auch eine Akademie gibt: Für 22 Euro im Monat können
       Frauen in der „Brigitte Academy“ Online-Kurse zur persönlichen und
       beruflichen Weiterentwicklung belegen, werden zu Symposien (mit „erfahrenen
       Top-Coaches, namhaften Speakern“) und zum Netzwerken eingeladen. Demnächst
       wollen die Macherinnen der Akademy sogar ein [1][Gütesiegel für besonders
       frauenfreundliche Unternehmen vergeben.]
       
       Nur hält es die Brigitte, oder eher der dahinterstehende Verlag, Gruner +
       Jahr, offenbar [2][selbst nicht so] mit der frauen-, beziehungsweise
       arbeitnehmerfreundlichen Unternehmensführung. Mehrere ehemalige
       Gruner-Beschäftigte gehen derzeit rechtliche Schritte gegen den Hamburger
       Verlag oder erwägen, dies zu tun. Sie wollen, dass ihre Arbeitsverträge
       entfristet werden.
       
       [3][Julia Karnick] ist eine von ihnen. Seit zwanzig Jahren arbeitet sie für
       Gruner + Jahr – erst als Autorin, dann lange als feste Kolumnistin bei
       Brigitte und Brigitte Woman. Ab 2014 arbeitete sie als sogenannte Festfreie
       zwei Tage in der Woche bei Brigitte Woman – zwar ohne Vertrag, aber mit
       festem Aufgabengebiet und eigenem Schreibtisch. 2016 dann unterschrieb sie,
       mit damals 45 Jahren, die erste Festanstellung ihres Lebens, einen Vertrag
       über eine Viertage-Woche als stellvertretende Redaktionsleiterin der
       Brigitte Woman, befristet auf zwei Jahre.
       
       Der ist Anfang diesen Jahres ausgelaufen und Karnick vor Gericht gezogen.
       Sie argumentiert, dass sie zwar erst seit 2016 offiziell bei Gruner
       angestellt war, dass aber schon vorher, seit 2014, ein Arbeitsverhältnis
       als quasi Angestellte bestand. Würde das Gericht das anerkennen, dann wäre
       die Befristung ihres Arbeitsvertrags ungültig, weil das Gesetz
       Kettenbefristungen verbietet – zumindest, wenn es keinen triftigen
       Sachgrund gibt.
       
       ## Gericht lehnt ab
       
       Das Hamburger Arbeitsgericht hat Karnicks Klage abgelehnt, mit einer
       Begründung, die Folgen haben könnte für alle Presseverlage in Deutschland:
       Julia Karnick sei „programmgestalterisch“ tätig gewesen und damit zurecht
       befristet. Dieses Argument wurde bisher fast ausschließlich für den
       öffentlich-rechtlichen Rundfunk verwendet. Als öffentliche Institution ist
       der zu Ausgewogenheit verpflichtet, muss also die Möglichkeit haben,
       Mitarbeiter zu befristen, damit er eine Vielfalt an Meinungen und
       künstlerisch-kreativen Aspekten herstellen kann.
       
       Anders als der Rundfunk sind Presseverlage aber private Unternehmen und
       zudem Tendenzbetriebe. Sie sind nicht verpflichtet, Meinungsvielfalt
       herzustellen. Im Falle einer Mitarbeiterin einer Nachrichtenagentur hatte
       das Stuttgarter Arbeitsgericht schon einmal auf die
       „programmgestalterische“ Tätigkeit der Angestellten verwiesen. Ob das aus
       dem Rundfunk stammende Prinzip aber auf die Presse übertragbar ist, ist in
       der juristischen Literatur umstritten.
       
       „Wenn sich das so durchsetzen würde, wäre das eine Katastrophe für die
       Redakteure in Zeitungsverlagen“, sagt Christian Ziehm, der Anwalt von Julia
       Karnick. Er befürchtet, dass Verlage mit Verweis auf das Hamburger Urteil
       neue Mitarbeiter in Zukunft ohne Ende befristen könnten.
       
       Heikel könnte das Urteil auch für andere ehemalige Gruner-Mitarbeiter
       werden. Denn zusammen mit Karnick haben mehrere ex-Angestellte geklagt.
       Dass sie alle auf einmal vor dem selben Problem stehen, hat einen Grund:
       Bis vor gut zwei Jahren beschäftigte Gruner + Jahr viele Mitarbeiter als
       sogenannte Pauschalisten oder feste Freie. Bezahlt wurden sie wie freie
       Mitarbeiter auf Tagessatzbasis, in den Redaktionen gingen sie aber
       ähnlichen Arbeiten nach wie Redakteure auch. Julia Karnick beispielsweise
       verantwortete als Festfreie ein Ressort und war maßgeblich an der Planung
       der Hefte beteiligt.
       
       ## Anstellungswelle vor zwei Jahren
       
       Bei solchen Beschäftigungsverhältnissen lag der Verdacht der
       Scheinselbstständigkeit nah, das wäre Betrug an den Sozialkassen. Die taz
       berichtete vor drei Jahren ausführlich [4][über diese Praxis], die in
       vielen Verlagshäusern gängig war. Nachdem die damalige Arbeitsministerin
       Andrea Nahles (SPD) das entsprechende Gesetz überarbeitet hatte, stellten
       [5][mehrere Verlage] ihre Pauschalisten fest an.
       
       Gruner + Jahr stampfte [6][draufhin eine „dreistellige Zahl von neuen
       Beschäftigungsverhältnissen“] aus dem Boden, wie ein Verlagssprecher
       mitteilt, „eine Reihe davon auf zwei Jahre befristet“. Da diese zwei Jahre
       nun vorbei sind, befinden sich mehrere ehemalige Mitarbeiter nun in der
       selben Situation wie Julia Karnick. Wie viele nun genau klagen oder erwägen
       zu klagen, ist unklar. Eine niedrige einstellige Zahl, schätzt der
       Verlagssprecher.
       
       Julia Karnick und ihr Anwalt wollen in Berufung gehen.
       
       20 Jul 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.horizont.net/medien/nachrichten/GJ-Brigitte-Academy-soll-Frauen-und-Erloese-voranbringen--Weniger-Klatsch-im-Netz-164453
   DIR [2] /Kommentar-Brigitte-Rausschmiss/!5029902
   DIR [3] https://julia-karnick.de/
   DIR [4] /Problem-Scheinselbststaendigkeit/!5210276
   DIR [5] /Scheinselbststaendigkeit-im-Journalismus/!5267087
   DIR [6] /Pauschalisten-in-Hamburg/!5270321
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anne Fromm
       
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