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       # taz.de -- 40 Jahre Wutzrock-Festival: Umsonst, draußen und antifaschistisch
       
       > Am Anfang stand die Unterstützung der Jugendzentrum-Bewegung. Dieses
       > Wochenende feiert das Hamburger Festival „Wutzrock“ sein 40-jähriges
       > Bestehen.
       
   IMG Bild: Wutzrock-Festival: über 300 Ehrenamtliche helfen jedes Jahr mit
       
       HAMBURG taz | Nichts hält länger als ein gutes Provisorium, weiß jede
       Handwerker*in. Aber auch das Hamburger Festival „Wutzrock“ sei ein sehr
       gutes Beispiel dafür, findet Florian Heinrich. Der 35-Jährige koordiniert
       seit zehn Jahren das Booking der Bands und organisiert das Kulturprogramm
       des „Umsonst und draußen“-Festivals. Und das hält tatsächlich schon sehr
       lange. Fünf Jahre älter als Heinrich ist es. Dieses Jahr feiert es sein
       40-jähriges Bestehen.
       
       Die Erfolgsgeschichte begann 1978 mit der Forderung nach einem autonomen
       Jugendzentrum im Osten Hamburgs. Denn die Jugendlichen hatte man, als in
       den 1960er-Jahren die Großwohnsiedlungen in den Stadtteilen Lohbrügge-Nord
       und Bergedorf-West gebaut wurden, schlicht vergessen. Für sie habe es dort
       außer Einkaufszentren, Parkanlagen und Kneipen kaum Orte gegeben, an denen
       sie sich treffen konnten, sagt Heinrich. Zum Unmut der Älteren, die sie als
       Gammler und Hippies beschimpften.
       
       Vor allem Lohbrügge-Nord sei durch eine mangelnde soziale Mischung der
       Wohngebiete damals zu einem sozialen Brennpunkt geworden, die
       Gutbürgerlichen seien in den Speckgürtel gezogen. Ein Problem sei aber auch
       die aggressiv auftretende Neonazi-Szene gewesen, die hier Ende der
       1970er-Jahre zunehmend auf fruchtbaren Boden stieß.
       
       Um ganz pragmatisch für eine Verbesserung der Freizeitsituation im
       Stadtteil zu streiten, taten sich Jugendliche zusammen, die in der
       Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ), bei den Jusos, im
       Kommunistischen Bund oder in der Evangelischen Jugend organisiert waren.
       
       ## Kämpferische Jugendliche
       
       Was 1978 als dezidiert linke Jugendbewegung und Protestaktion begann, ist
       in den folgenden Jahren dann immer mehr gewachsen. Die Jugendlichen
       gründeten einen Verein und organisierten ein erstes kleines Festival, um
       ihre Forderungen lautstark zu unterstreichen. Am 30. Juni 1979 feierten
       2.000 Menschen im Billtal-Stadion in Bergedorf ihr erstes „Wutzrock“.
       
       Den Verantwortlichen im Rathaus gingen die kämpferischen Wutzrocker bald
       dermaßen auf die Nerven, dass sie der Forderung nach einem Jugendzentrum
       nach ein paar Jahren nachkamen. Die Bergedorfer Jugend aber hat das, anders
       als damals wohl erhofft, nicht davon abhalten können, bis heute jedes Jahr
       weiter zu wutzrocken.
       
       Seit 1993 hat das Festival einen festen Veranstaltungsort: Das idyllische
       Gelände rund um den Eichbaumsee, im Herbst und Winter stiller Rückzugsraum
       für Tiere und Pflanzen, verwandelt sich im Sommer zum beliebten
       Ausflugsziel. Und an einem Augustwochenende zum Versammlungsort für
       feiernde Menschen mit Haltung.
       
       ## Ein Festival mit politischer Haltung
       
       Florian Heinrich arbeitet seit 2008 ehrenamtlich im Organisationsteam des
       Festivals. Rund 30 Köpfe zählt der feste Kern, über 300 ehrenamtliche
       Helfer*innen organisieren an den Festivaltagen Verkaufsstände, Catering,
       Ausschank und Bühnentechnik. Heinrich machte sich gleich in seinem ersten
       Jahr dafür stark, dass das Festival eine zweite Bühne bekommt und wachsen
       kann. Zehn Jahr zuvor spielte er mit seiner eigenen Band Funkkuchen auf dem
       „Wutzrock“. Damals, erzählt er, habe die einzige Bühne noch ausgesehen wie
       ein Planwagen. Später holte ein Freund ihn ins Team und er blieb, bis
       heute.
       
       Beständigkeit gehört zum Selbstverständnis des Festivals. Bis heute sei es
       ein Festival mit Haltung und untrennbar mit seiner politischen Aussage
       verbunden, sagt Heinrich: solidarisch, nicht kommerziell und dennoch
       professionell, gegen Sexismus und antifaschistisch. Neben Musik und der
       Lage direkt am Badestrand hat das „Wutzrock“ auch traditionell noch mehr zu
       bieten: ein großes Kinderfest, eine Feuershow, einen Poetry Slam, ein
       Federballturnier – und die längst legendäre Festival-Sportart
       Schlafsackhüpfen.
       
       ## Viel Überzeugungsarbeit
       
       Wenn „Wutzrock“ rufe, sagt Heinrich, würden auch heute noch Freiwillige aus
       der Anfangszeit kommen. Dieses Jahr komme sogar eine Band, die auf dem
       ersten Festival spielte: Die Druckknöpfe, eine Rockband, die mit ihren
       politischen Texten junge Menschen heute ebenso wie damals anspreche.
       
       Die Erfahrungen, die er in den letzten zehn Jahre gemacht hat, helfen
       Florian Heinrich bei seiner Programmgestaltung. Es brauche aber auch jede
       Menge Überzeugungsarbeit und eine gute Vernetzung, damit auch bekannte
       Bands wie die Rostocker Punkrocker Feine Sahne Fischfilet auf dem
       „Wutzrock“ spielen. Dort nämlich bekommen sie nur einen Bruchteil dessen,
       was sie auf anderen Festivals bekommen.
       
       Dass bekanntere Bands das Line-up füllen, sei wichtig, sagt Heinrich. Denn
       damit der Fortbestand des unkommerziellen Festivals gesichert werde,
       müssten möglichst viele Besucher*innen kommen. Weniger bekannte Bands
       wiederum bewerben sich rege. Leider könne immer nur ein Bruchteil von ihnen
       berücksichtigt werden. Dass das Festival umsonst ist, bedeute auch, dass
       bei schlechtem Wetter deutlich weniger Besucher*innen kommen. Das sei ein
       Risiko, das nur schwer kalkulierbar ist, sagt Heinrich.
       
       ## Riesiges Minus nach Unwetter
       
       Besonders schlecht lief es 2015, als das Festival-Gelände wegen eines
       schweren Unwetters innerhalb einer Nacht ab- und wieder aufgebaut werden
       musste. Bands wie Feine Sahne Fischfilet konnten nicht spielen. Das
       Unwetter und die damit einhergehenden Kosten verursachten ein riesiges
       Minus im Konto der Veranstalter. Durch Soli-Konzerte und Spenden gelang es
       aber, den Verlust wieder auszugleichen und das Fortbestehen des Festivals
       zu sichern.
       
       Ohne Solidarität ist das Festival auch sonst schwer vorstellbar. 2016 stand
       das „Wutzrock“ denn auch ganz im Zeichen des syrischen Bürgerkrieges. Die
       Veranstalter*innen, die Betreiber*innen der Stände und die Besucher*innen
       solidarisierten sich mit den Geflüchteten, luden eine syrische Band ein und
       organisierten im Rahmenprogramm eine offene Bühne mit dem Schwerpunkt
       Flüchtlinge. Für Geflüchtete aus der Gegend wurden Freigetränke spendiert.
       
       Im Gegenzug üben auch die auftretenden Bands ihre Solidarität mit den
       kämpferischen Festivalmacher*innen. Zwei Jahre nach ihrem abgesagten
       Auftritt stand auch Feine Sahne Fischfilet endlich auf der Bühne. Eine
       Woche nach dem G20-Gipfel in Hamburg positionierte sich die Band klar auf
       seiten des Protests. Zwei Hundertschaften der Hamburger Polizei waren auf
       dem Gelände, für Veranstalter*innen und Besucher*innen eine ungeheure
       Provokation. Am Ende aber blieb die befürchtete Eskalation aus und das
       Festival konnte erfolgreich zu Ende gebracht werden.
       
       Dieses Jahr bemüht sich das Festival um eine geschlechtergerechte
       Verteilung bei den Bands. Besonders stolz ist Heinrich auf das Line-up am
       ersten Festivaltag. Die Haupt-Acts sind von Frauen und ihren Bands
       dominiert: Dota, eine Band um die Sängerin Dorothea Kehr, deren Musik stark
       vom Jazz beeinflusst ist; die Rapperin Sookee, die durch ihren Aktivismus
       gegen Trans- und Homophobie, Rassismus und Antisemitismus perfekt zum
       „Wutzrock“ passt. Aber auch die argentinische Band Chocolate Remix bediene
       sich aus den Genres Merengue, Reggae und Hip-Hop, um gegen sexuelle Gewalt
       und für Respekt zu agitieren, sagt Heinrich.
       
       Mit der Forderung nach mehr Geschlechtergerechtigkeit schließt sich für die
       Organisator*innen um Florian Heinrich der Kreis. Denn auch für die
       „Wutzrock“-Crew ist klar, dass der Kampf für eine gerechtere Welt auch nach
       40 Jahren nicht vorbei ist.
       
       10 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Yasemin Fusco
       
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