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       # taz.de -- Skandinavien leidet unter Klimawandel: 91 Monate heißer als normal
       
       > Der Norden Europas wird vom Klimawandel besonders hart getroffen: Der
       > Permafrost taut, die Hitze setzt den Wäldern zu. Und die Politik?
       
   IMG Bild: Hier ist auch der Wald das Problem: Nach dem Feuer im Juli in Mittelschweden
       
       Stockholm taz | Ein neuer Wärmerekord? Für Svalbardposten, die Lokalzeitung
       der norwegischen Arktisinsel Spitzbergen, ist dies eine Routinemeldung.
       Seit mittlerweile 91 Monaten in Folge herrschen dort „Temperaturen über dem
       Normalniveau“, berichtet Roar Skålin, Direktor des norwegischen
       Meteorologischen Instituts: „Und ich brauche wohl nicht daran zu erinnern,
       was alle Klimaforscher seit Jahren vorhersagen: Im Norden wird die globale
       Erwärmung am ausgeprägtesten werden.“
       
       Die Klimaänderung ist da“, sagt Skålin. Er erwartet mehr Extremwetter,
       häufigere und ausgeprägtere Hitzewellen: „Es ist auch möglich, dass die
       Temperaturschwankungen stärker werden, weil Hochdruckwetterlagen länger
       anhalten, was intensivere Trockenperioden zur Folge hat.“ Jetzt gehe es vor
       allem darum, aus dieser Erkenntnis so schnell wie möglich die notwendigen
       Konsequenzen zu ziehen.
       
       Das ist gar nicht so leicht. Auf Spitzbergen wurde man von der
       Schnelligkeit, mit der sich der Klimawandel vollzieht, jedenfalls böse
       überrascht. Auf dem ganzen Inselarchipel herrscht Permafrost. Im Prinzip.
       Der Hausbau war deshalb früher einfach.
       
       Noch vor zwei Jahren wurde die neu errichtete Kongsfjord-Halle in
       Ny-Alesund einfach auf den Permafrostboden gesetzt. Der erwies sich aber
       schnell nicht mehr als so stabil wie gewohnt. Das Gebäude kam schon nach
       wenigen Monaten in Schieflage, das obere Stockwerk musste gesperrt und die
       Halle muss nun teuer nachgebessert werden: mit Betonpfeilern, die bis zum
       Felsuntergrund reichen. Mittlerweile hat die Regierung in Oslo umgerechnet
       über 5 Millionen Euro bereitgestellt, weil angesichts des tauenden
       Permafrosts mehrere öffentliche Gebäude auf Spitzbergen ebenfalls mit
       Pfeilern neu verankert werden müssen.
       
       ## Konzepte gegen Wasserfluten und Erdrutsche
       
       Spitzbergen ist überall, meint Skålin. Nicht nur in den nordischen Ländern
       sei die Infrastruktur nicht gut genug auf den Klimawandel vorbereitet. Kein
       Wunder, findet Kim Holmén, Direktor des norwegischen Polarinstituts: „Die
       zeitliche Vorhersehbarkeit sinkt, es ist wirklich schwer, gute Ratschläge
       zu erteilen.“ Man müsse schleunigst Konzepte entwickeln, wie Häuser und
       Straßen besser gegen Wasserfluten und Erdrutsche gesichert werden können:
       „Und was sollen wir anbauen, um auch noch ernten zu können, wenn die
       Pflanzen längere Perioden mit viel Niederschlag, aber auch solche mit
       extremer Trockenheit aushalten müssen?“
       
       Mit Finanzhilfen für Landwirte zur Kompensation von Ernteausfällen ist es
       jedenfalls auf Dauer nicht getan. Für viele Experten zeigen die
       verheerenden Waldbrände in Schweden in den vergangenen Wochen, dass auch
       die Forstwirtschaft nicht einfach so weitermachen kann. Sie fordern eine
       neue Waldstruktur, die besser mit dem Klima zurechtkommt.
       
       Seit den 1950er Jahren bewirtschaften die großen Forstkonzerne die
       schwedischen Wälder nach dem Kahlschlagprinzip: Waldgebiete werden
       großflächig radikal abgeholzt und anschließend neu bepflanzt. Und es werden
       nur Nadelbäume gepflanzt, vorwiegend Tannen. So sind riesige Monokulturen
       entstanden, aus denen Laubbäume als „Unkraut“ herausgeschlagen werden. Man
       habe „aus Wäldern riesige öde Industriehallen gemacht“, beschreibt der
       Schriftsteller Göran Greider die Nadelbaummonokulturen.
       
       In diesen Plantagen wachsen die Bäume dichter als in ursprünglichen
       Wäldern. Alle Bäume sind gleich alt und gleich groß. Tannen sind leichter
       entzündbar als Kiefern, in ihren Monokulturen verbreitet sich ein Brand
       schneller als in Kiefernwäldern. Das weiß man spätestens seit einem
       riesigen Waldbrand, der 2014 in Mittelschweden tobte. „Das Brandchaos haben
       wir selbst gepflanzt“, konstatiert der Autor Sven Olov Karlsson, der den
       Großbrand hautnah miterlebte.
       
       „Unser Land wird mehr von Waldbränden bedroht als von den Russen“, sagt
       auch Göran Greider. In Stockholm scheint man das noch nicht begriffen zu
       haben. Die Regierung plant, in den nächsten Jahren viele zusätzliche
       Milliarden ins Militär zu stecken.
       
       Beim Brand- und Katastrophenschutz dagegen wird systematisch gespart. Beim
       Waldbrandchaos im Juli war Schweden auf den bislang größten
       Katastrophenhilfseinsatz der EU-Geschichte angewiesen. Aber: In einer im
       Mai erschienenen Broschüre, mit deren Hilfe sich alle SchwedInnen auf
       Kriege und Katastrophen vorbereiten sollen, kommen Waldbrände gar nicht
       erst vor.
       
       10 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reinhard Wolff
       
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