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       # taz.de -- Festival Pop-Kultur vom 15. bis 17. August: So barrierearm wie möglich
       
       > Alles sollen eingebunden, eingeladen sein: Das Pop-Kultur-Festival in
       > diesem Jahr das Thema Inklusion ganz oben auf die Agenda gesetzt.
       
   IMG Bild: Treten beim Pop-Kultur-Festival auf: die RambaZamba-Band 21 Downbeat
       
       Pop und Inklusion – klingt erst mal, als ginge das gut zusammen. Ob
       beeinträchtigt oder nicht, ob Rollifahrer oder gehend, ob sehbeeinträchtigt
       oder sehend: Es gibt wohl kaum jemanden, für den Popmusik keine Rolle
       spielt, der nicht eine Lieblingsband, einen Lieblingssong hat.
       
       Das heißt aber noch lange nicht, dass es um die Inklusion und
       Barrierefreiheit im Clubleben, der Musikszene und im Konzertbetrieb gut
       bestellt wäre. Von Gleichberechtigung ist man da auch in Berlin noch weit
       entfernt.
       
       Das fängt damit an, dass Rollifahrer in den meisten Fällen fest zugewiesene
       Plätze – oft am Rand, manchmal hinten im Saal – haben. Mal eben online ein
       Ticket zu buchen ist für sie bei vielen Konzerten nicht möglich, die Karten
       müssen häufig extra telefonisch geordert werden. Und wie steht es um Bands,
       bei denen Menschen mit Behinderung mitwirken? Nun, die Initiative
       Handiclapped, die Konzerte veranstaltet und selbst eine solche Band
       betreibt, zählt insgesamt rund 25 inklusive Bandprojekte – nicht gerade
       viel für eine 3,5-Millionen-Stadt.
       
       Umso erfreulicher ist es, dass das kommenden Mittwoch beginnende
       [1][Pop-Kultur-Festival] in diesem Jahr (und hoffentlich darüber hinaus)
       Inklusion ganz oben auf die Agenda gesetzt hat: Mit der [2][RambaZamba-Band
       21 Downbeat] und [3][Choolers Division] aus Belgien sind spannende
       Kollaborationen von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung am Start. Das
       weitestgehend rollifahrerfreundliche Gelände der Kulturbrauerei soll mit
       Symbolen und Icons zur einfacheren Orientierung beschildert werden. So
       inklusiv und barrierearm wie möglich, lautet das Credo.
       
       ## Erstmals mit einer Diversity-Managerin
       
       Damit will die vom [4][Musicboard] ausgerichtete und vom Land Berlin
       subventionierte Veranstaltung eine Vorreiterrolle einnehmen: „Bietet etwas
       an, damit Menschen mit Behinderung zu Euch kommen können“, sagte
       Musicboard-Chefin und Pop-Kultur-Kuratorin Katja Lucker Ende Juli bei der
       Programmvorstellung, „Alle sollten in Berlin feiern können, ganz egal, wer
       sie sind.“ Das Kurator_innenteam, das neben Lucker aus Martin Hossbach und
       Christian Morin besteht, hat für das diesjährige Festival selbst
       dazugelernt: Mit Elnaz Amiraslani hat man eine Diversity-Managerin zu Rate
       gezogen, die jeden Programmpunkt auf seine Zugänglichkeit hin geprüft hat.
       
       Ein besonderes Angebot: Auch gehörlose Menschen können nun einige
       Veranstaltungen verfolgen und miterleben. [5][Gebärdensprachdolmetscherin
       Laura M. Schwengber] wird bei drei Konzerten und einer Podiumsdiskussion
       für gehörlose Menschen übersetzen. Schwengber ist die Pionierin des
       Gebärdendolmetschens im deutschen Pop, die 28-Jährige steht bei Konzerten
       etwa neben AnnenMayKantereit, Balbina oder neben Metalbands in Wacken auf
       der Bühne. Sie überträgt deren Texte, aber auch deren Musik in Gebärden,
       Mimik, Gestik.
       
       „Emotionen“, sagt Schwengber am Telefon, „sind dabei ganz wichtig. Das, was
       an Gefühlen in der Musik und in der Stimme des Künstlers oder der
       Künstlerin liegt, versuche ich über Bewegungen und Gebärden zu vermitteln.“
       Gerade Clubs und Konzertorte seien ideal, um Menschen mit und ohne
       Beeinträchtigung zusammenzubringen: „Dass wir uns auf dieser Ebene des
       Spaßhabens und des Genießens von Kunst und Kultur begegnen, bewirkt etwas.
       Daher ist es meines Erachtens wichtig, dass wir eine Einladungskultur
       entwickeln, bei der sich alle angesprochen fühlen.“
       
       Den Schwerpunkt Inklusion hat das Musicboard in diesem Jahr auch bei den
       Förderungen und Stipendien gesetzt. So wurden etwa der Musikworkshop „Ick
       Mach Welle“ von der Lebenshilfe und weitere inklusive Projekte gefördert.
       Könnte man nicht die Vergabe öffentlicher Gelder noch mehr mit der
       Bereitschaft verbinden, inklusive Angebote zu schaffen? Christine
       Braunert-Rümenapf, Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, findet
       das zumindest bedenkenswert: „Es kann sinnvoll sein, wenn man
       Kulturförderung an Barrierefreiheit knüpft“, sagt sie am Telefon.
       
       ## Gebt euch mehr Mühe
       
       Dass es Handlungsbedarf im gesamten Kulturbereich gibt, kann Sascha Germer
       vom Zentrum für selbstbestimmtes Leben bestätigen. Der Rollifahrer hat
       immer wieder die Erfahrung mit schlechten, gesonderten Plätzen gemacht. Auf
       ein Konzert in der Waldbühne hat er schon mal verzichtet, weil die Plätze
       völlig separiert vom Rest des Publikums gewesen wären. Seines Erachtens
       lautet das Motto im Hinblick auf Rollifahrer zu oft: „Hauptsache, sie sind
       drin, alles andere ist egal“.
       
       Komfort sei zweitrangig. Germer ergänzt: „Es ist ja schön, dass an uns
       gedacht wird, aber es wäre erfreulich, wenn Architekten und Planer sich
       noch mehr Mühe geben würden, dass die Plätze zentraler sind und Rollifahrer
       besser eingebunden sind.“
       
       Eingebunden sein, eingeladen sein – darum geht’s am Ende. Vielleicht setzt
       das diesjährige Pop-Kultur-Festival ja bei dem einen oder der anderen einen
       Umdenkprozess in Gang.
       
       11 Aug 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.pop-kultur.berlin/
   DIR [2] http://www.pop-kultur.berlin/modules/21-downbeat/
   DIR [3] http://www.pop-kultur.berlin/modules/choolers-division/
   DIR [4] http://www.musicboard-berlin.de/
   DIR [5] https://www.lauramschwengber.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Uthoff
       
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