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       # taz.de -- Dämliche Namen von Backwaren: Sagen Sie jetzt bloß nichts Falsches
       
       > Früher gab es Brötchen. Heute nötigen uns „Kartöpfelchen“, „Wuppis“ und
       > „Kraftmeier“ zu verbalen Eiertänzen. Was ist da schiefgelaufen?
       
   IMG Bild: „Ich hätte gern von jenem länglichen, braunen dort, bitte“
       
       Sie liegen da und warten auf uns. Sie sind klein oder groß, grau, hellbraun
       oder dunkelbraun. Sie heißen „Die Maus“, „Wuppi“ oder „Körnerdieb“.
       Niedlich.
       
       Doch es sind keine Tiere im Streichelzoo, sondern Brote und Brötchen, denen
       man alberne Namen verpasst hat. Das geschieht nun schon seit vielen Jahren
       überall in Deutschland – egal, ob in von Großbäckereien belieferten
       Backshops, Ketten, Supermärkten oder beim kleinen Privatbäcker nebenan.
       
       Nun könnte man den Unsinn ja einfach ignorieren. Doch das Echo muss man
       erst einmal vertragen, vor versammelter Kundschaft niedergemacht zu werden,
       weil man die korrekte Benennung verweigert. Es muss nicht mal böse Absicht
       dahinterstecken, denn oft ist auch nur das kleingedruckte „Bumhalbruxli“ in
       der dritten Reihe unmöglich zu lesen.
       
       Deutet man also tastend auf ein nach Größe, Form und Farbe genehm
       erscheinendes Exemplar im Brötchenfach und verlangt nach „jenem länglichen,
       braunen dort, bitte“, empfängt man einen strafenden Blick und wird in
       eisigem Tonfall („Ach, Sie wollen ein Dinkelkrusti“) kurz vor der Grenze
       zum Rausschmiss belehrt. Es ist, als hätte man das gute Brot, das goldene
       Korn, den braven Bauern und den lieben Gott verflucht und die
       Bäckereifachverkäuferin als irdischste Vertreterin genannter Vierfaltigkeit
       gleich mit entehrt.
       
       Zwischenfrage: Warum gibt es eigentlich so wenige männliche Verkäufer in
       den Bäckereien? Ich schätze mal, die sind einfach zu schwach für den
       täglichen Kampf gegen renitente, ignorante und bösartige Kunden. Aber als
       solcher frage ich mich natürlich schon: Wer erfindet bloß die ganzen Namen,
       und vor allem aber: warum zum Henker?
       
       ## Früher gab es nur Graubrot
       
       Um das zu klären, müssen wir ein ganzes Stück zurückgehen. In alten Zeiten,
       wo das Wünschen noch geholfen hat, ging man einfach in den Laden und sagte:
       „Ich will Brot.“ „Guten Tag“, „Bitte“ und „Danke“ gab es nicht; der Laden
       war eine Art Höhle mit Regal und es gab dort allenfalls „Graubrot“.
       
       Mit Gesundheit oder Genuss hatte dieses Lebensmittel nichts zu schaffen.
       Man aß es halt, um den Atemstillstand wegen akuter Auszehrung und dadurch
       bedingten Organversagens möglichst weit herauszuzögern, fertig. Und oft war
       das Graubrot auch noch alle. Denn es herrschte bittere Not, die Pest und
       wilde Tiere tobten, viele hungerten. Da konnte man sich die knappe Puste
       sparen, auch nach „Frischling Fitness“, „Kraftmeier“ oder „Steineckchen“ zu
       fragen. Sonst wäre man nur noch schneller gestorben.
       
       Mit dem Wirtschaftswunder wuchs die Vielfalt. Auf einmal gab es noch eine
       zweite und dritte Automarke sowie ein zweites und drittes Fernsehprogramm.
       Das moderne Leben war ein lauter und reißender Fluss. Was lag da näher, als
       auch noch ein zweites, drittes und gar viertes Brot zu schaffen:
       Nebeneinander lagen nun Weiß-, Roggen-, Misch- und Schwarzbrot in einer
       hübschen Auslage mit gläserner Abdeckung, wo zuvor nur ein grob gehauener
       Kasten gestanden hatte, in dem besagtes Graubrot schimmelte. Die Halbwelt,
       der Adel und homosexuelle Künstler griffen zum Sonntagsfrühstück sogar nach
       dem allerletzten Schrei der Dekadenz: dem Brötchen.
       
       Bald gaben sich internationale Einflüsse mit den fantastischsten Kreationen
       neudeutscher Backkunst die Klinke in die Hand. In Deutschland hielten
       zusammen mit den Edelschrippen savoir-vivre, dolce vita, way of life
       Einzug. Das „Croissant ‚Pierre‘“ und das „Baguette ‚Andalou‘“ stillten
       schon zum Morgenkaffee die Sehnsucht nach der großen weiten Welt.
       
       ## Ohne Distinktion läuft gar nichts
       
       Eine Schattenseite des überbordenden Angebots ist, dass ohne Distinktion
       heute gar nichts mehr läuft. Man stelle sich vor, ein Bäcker böte
       Einschlitzbrötchen, Zweischlitzbrötchen und Schlitzlose an, dazu noch ein
       paar Sorten mit Körnern, die schlicht nur nach dem jeweiligen Getreide
       benannt werden. Das ist nicht sexy. Der Langweiler kann sofort zumachen.
       Das Zeug kauft ihm doch keiner ab.
       
       Klar, die Namen („Schäfer’s Goldi“) sind völlig bescheuert, doch jede
       Werbung ist besser als keine Werbung. Damit kommen wir vom Warum zur Frage,
       wer sich diese Namen ausdenkt. Ich besiege meine Furcht vor einer
       Backpfeife der strengen Verkäuferin und frage einfach in der kleinen
       Bäckerei nach, die den „Sabia-Knoten“ anbietet.
       
       „Ich weiß nicht. Vielleicht ist der Chef so kreativ.“ Na, war doch gar
       nicht so schlimm. Die Großbäckereien werden heute von den besten
       Marketingexperten betreut. Deren geniale Gedankengänge („Kornkrüstchen“.
       Hammer!) versuchen die Kleinbetriebe in rührend unbeholfener Eigenregie
       nachzuvollziehen. Manchmal brennen dort die „Kartöpfelchen“ an, weil der
       Meister, der hier alles selbst machen muss, mit dem Rücken zum Ofen reimt
       und dichtet. Das dauert natürlich länger als bei den Werbefachleuten von
       Scholz & Friends, Jung von Matt oder Korn & Körner.
       
       Aktuell kommt irgendein Branding mit Kraft, Regional, Natur und Vorgestern
       am besten an: „Wikingerbrot“, „Heidebrot“, „Spreekruste“. Fake-vergilbte
       Retroetiketten in Frakturschrift lösen im Gehirn des Konsumhipsters
       verlässlich die verlockende Kausalkette Tradition = Erdig = Bio = Gutgesund
       aus, und alles mit „Ur“ ist ohnehin ein Selbstläufer. Archaisch, gesund und
       rundum besser, obwohl, wer das mit aus den Anden herbeigekarrten Zutaten
       gebackene „Ur-Quinoabrot“ konsumiert, ebenso gut seinen Ölwechsel im Wald
       vornehmen könnte. Das nur zur Ökobilanz. Hier wird der „Körnerdieb“ zum
       „Klimadieb“ beziehungsweise das „Kornkraftwerk“ zum „Kernkraftwerk“.
       
       Im stilbewussten Neuköllner Norden soll es übrigens schon wieder einen
       Bäcker geben, der einfach nur „Graubrot“ backt und verkauft. Das geht
       sicher wie geschnitten Brot.
       
       Die Auflösung des Backwaren-Quiz: 2), 5), 6), 11)
       
       12 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uli Hannemann
       
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