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       # taz.de -- Kommentar Berliner Tourismusbilanz: Die disneyfizierte Hölle verhindern
       
       > Wieder hat es mehr Touristen in die Stadt gezogen. Ein Grund zur Freude
       > ist das nicht. Es ist höchste Zeit die Notbremse zu ziehen und das
       > Stadtmarketing zu beenden.
       
   IMG Bild: Touristenattraktion Nummer eins: das Brandenburger Tor
       
       Auch in den ersten sechs Monaten dieses Jahres sind wieder mehr Touristen
       in die Stadt gekommen. Diesen „positiven Trend“ hat Berlins
       Tourismusgesellschaft am Dienstag verkündet. Das Wachstum ist laut dem
       Statistischen Landesamt seit 1996 ungebrochen. Damals besuchten 3,3
       Millionen Gäste die Stadt. Allein im ersten Halbjahr 2018 waren es nun 6,4
       Millionen Menschen, 4,4 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.
       
       Jetzt können also wieder alle jubilieren: die Stadtwerber, weil sie ihren
       Daseinszweck erfolgreich bestätigt haben, die Hoteldirektoren und
       Wachsfigurenkabinettbetreiber, die weiter kräftig verdienen, die
       Wirtschaftssenatorin, die sich die positiven Effekte für die Ökonomie auf
       ihr Konto schreiben kann. Dazu freuen sich auch viele, die nicht direkt
       profitieren, BürgerInnen und Kommentatoren des Stadtgeschehens.
       Unhinterfragt nehmen sie die Wachstumszahlen als gute Nachricht auf, ebenso
       wie sie ein steigendes Bruttoinlandsprodukt oder neue deutsche
       Exportrekorde gutheißen. Die Ideologie eines auf Wachstum fokussierten
       Kapitalismus hat die Hirne vernebelt.
       
       Denn tatsächlich gibt es keinen Grund zur Freude. Sosehr jedem Einzelnen
       seine Reise nach Berlin gegönnt ist, sosehr auch dieser Austausch für die
       Liberalität der Stadt wichtig ist, so sehr leidet Berlin an den
       Besuchermassen und einer Wirtschaft, die sich auf sie ausrichtet. Es geht
       dabei nicht primär darum, dass Touris in der Schlesischen Straße oder der
       Weserstraße für überfüllte Bürgersteige, Lärm und Dreck sorgen. Es geht um
       das Recht der Berliner auf günstigen Wohnraum, Einzelhandel, der auf ihren
       Bedarf ausgerichtet ist, und eine soziale Infrastruktur, die ihnen
       uneingeschränkt zur Verfügung steht.
       
       Jedes neue Hotel verengt den Platz für dringend benötigte neue Wohnungen,
       immer mehr Ferienappartements machen aus Nachbarschaften Attrappen und
       treiben die Mieten nach oben, immer mehr Souvenirläden und trendige Bars
       verdrängen Schuster oder Schneidereien. Zumindest in einigen
       Innenstadtbezirken bedeuten mehr Touristen nur noch einen Verlust der
       Lebensqualität. Auch für die Touristen wird die Suche nach dem
       authentischen Berlin zunehmend in die disneyfizierte Hölle führen.
       
       Die Politik reagiert darauf hilflos, etwa indem sie versucht, Gäste
       verstärkt in die [1][Außenbezirke zu locken]. Hier solle das Marketing
       verstärkt werden, kündigte Visit Berlin an. Doch positive Effekte für die
       Innenstadt werden ausbleiben, solange weiterhin auf Wachstum gesetzt wird.
       
       Bevor Berlin zur Kulisse verkommt, die nur noch auf die Bedürfnisse der
       Kurzzeitgäste zugeschnitten ist – wie in Venedig oder Amsterdam schon
       geschehen –, muss die Notbremse gezogen werden. Ende des Stadtmarketings,
       Verbot neuer Hotels und Ferienwohnungen, kein weiterer Ausbau der
       Flugkapazitäten. Das wären Gründe zur Freude.
       
       14 Aug 2018
       
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