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       # taz.de -- Die Queen of Pop wird 60: Happy Birthday, Madonna!
       
       > Die Mutter aller Popikonen hat Geburtstag. Die Lektion, die sie uns
       > erteilt, lautet: Pop gehört keinem und jedem – weil er nichts und alles
       > bedeutet.
       
   IMG Bild: Madonna, Mutter aller Popikonen, beim Brit Music Award 2015 in London
       
       Ich war noch nicht mal ein Teenager, als Madonna mich hinterging.
       
       Ihr Album „Music“ aus dem Jahr 2000 war die erste CD, die ich von meinem
       Taschengeld finanzierte. Gut, ich hatte wider besseren Wissens eine
       Raubkopie auf der Straße gekauft, weshalb auf der Silberscheibe in kursiven
       Lettern „Madona“ stand, aber das war egal: Ich liebte Madonnas Cowboyhut,
       ich liebte „American Pie“, ich tanzte in fransigen Schlagjeans vor dem
       Spiegel.
       
       Drei Jahre später sollte ich Madonna auf MTV wiedertreffen – ohne
       Cowboyhut, dafür in Uniform. Im Video zu ihrer kritisch-politischen Single
       „American Life“ sah meine blonde Madonna, die
       Bubblegum-Marlboro-Disneyland-Amerika gerade noch umarmt hatte, aus wie
       eine sadistische Gouvernante. Gefiel mir nicht. Ich fühlte mich von Madonna
       verraten wie von einer Schulkameradin, die das gemeinsame Freundschaftsband
       nicht mehr trägt.
       
       Erst, als sie weitere zwei Jahre später in ihrem Abba-Tribute-Song „Hung
       Up“ durch ein Aerobicstudio turnte, als sie abermals ihre Gestalt gewandelt
       hatte, wurde es mir bewusst: Die Frau hat schon viele Mädchen vor mir
       verraten. Und sie wird es wieder tun. Ihre Lektion, das weiß ich heute, ist
       eine wichtige: Pop gehört keinem und jedem – weil er nichts und alles
       bedeutet.
       
       ## New-Wave- oder Esoterik-Madonna?
       
       Dass Madonna nun 60 Jahre alt wird, dürfte Menschen in meinem Alter,
       geboren zwischen 1985 und 1995, vielleicht überraschen. Denn Madonna könnte
       auch 40 oder 130 werden – für uns ist sie immer dagewesen, eine Konstante
       wie die Königin von England oder die Ostsee.
       
       Madonna Louise Veronica Ciccone, Mutter aller Popikonen, erfolgreichste
       Solokünstlerin in der Geschichte der US-Billboard-Charts, hat im Laufe
       ihrer über 35-jährigen Karriere Images anprobiert wie Kleider. Man kann
       sich seine Lieblingsmadonna aussuchen wie eine Actionfigur im
       Spielwarenladen: Darf’s die New-Wave-Madonna der frühen Eighties sein, die
       „Ray of Light“-Esoterik-Madonna oder doch Sadomaso-Madonna?
       
       In der Bewertung dieses fraugewordenen Superlativs lassen sich zwei
       Fraktionen ausmachen: Menschen, die Madonna als Säulenheilige des
       Popfeminismus feiern. Und Menschen, die sie als gut geschminktes Gesicht
       des Kapitalismus verteufeln. Beide haben recht.
       
       Die VerehrerInnen, weil Madonna als eine der mächtigsten Personen im
       Popbusiness ein echtes Role Model für Frauen ist. Weil Madonna, die Songs
       schreibt und diverse Instrumente beherrscht, Theater spielt und
       Kinderbücher schreibt, sich zwar immer wieder zum Objekt macht – stets aber
       aus einer selbstbewussten Subjektposition heraus.
       
       ## Das Leben im Kapitalismus
       
       Weil Madonnas inszenierte Tabubrüche geholfen haben, weiblicher (und
       vielleicht sogar queerer) Sexualität ein bisschen Stigma zu nehmen. Und
       nicht zuletzt hat Madonna mit Songs wie „Like a Prayer“ den moralischen
       Gegensatz „Heilige und Hure“, dem Frauen in dieser Gesellschaft ausgesetzt
       sind, so überdeutlich und augenzwinkernd abgebildet, dass nicht nur die
       katholische Kirche bis aufs Blut gereizt war.
       
       Aber bei aller Radikalität ist Madonna eben auch Pop, und Pop ist Bild des
       Lebens im Kapitalismus. Was Madonna in die Hände fällt, wird absorbiert,
       kopiert, referenziert.
       
       Die Kunstfigur Madonna ist eine große Verdinglichungsmaschine, die selbst
       Abwegiges zu kapitalisieren vermag: Sie trug dazu bei, Yoga vom
       Hippie-Spleen zum Trend hochzujazzen, popularisierte die jüdische
       Kabbala-Lehre und zerrte den Tanzstil Voguing mit ihrem Song „Vogue“ aus
       dem schwulen New Yorker Underground in den Mainstream.
       
       Besonders Letzteres nehmen ihr bis heute nicht wenige übel. Denn wie viele
       Mädchen in ihren Jugendzimmern wussten wohl 1990, dass nicht Miss Ciccone,
       sondern schwarze Queers diesen Modetanz erfunden haben?
       
       ## Geliefert hat sie
       
       Madonna reibt uns die Widersprüche unserer Zeit unter die Nase wie keine
       zweite Künstlerin. Die gleiche Gesellschaft, die ihre Stars jung und schön
       will, lässt sich hämisch über Madonnas gestrafftes Gesicht und ihre
       stählernen Oberarme aus. Absurd ist das: Wir verlangen von unseren Ikonen
       Disziplin und Perfektion – und beginnen sie zu hassen, wenn man den
       Stressschweiß riecht.
       
       Heute lebt Madonna, der Weltstar aus Michigan, in Portugal. Ob sie nach
       ihren eher selbstreferentiellen letzten Alben demnächst eine Fado-Platte
       aufnimmt? Wir wissen es nicht.
       
       Geliefert hat sie jedenfalls genug. Der Popliterat Andreas Neumeister
       stellte einmal fest: „Im Idealfall ist Pop subversiv. Im Idealfall ist Pop
       populär. Im Idealfall ist Pop populär und subversiv zugleich. […] Im
       Idealfall tritt der Idealfall tatsächlich ein.“ Madonna hatte viele
       Idealfallmomente. Deshalb bin ich ihr nicht böse für ihren Verrat: Mögen
       sie und ihre Erbinnen noch viele Mädchen bezaubern und enttäuschen.
       
       16 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Lorenz
       
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