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       # taz.de -- Kränze für antisemitische Attentäter: Jeremy Corbyn und der Terror
       
       > Corbyn misslingt es erneut, sich vom Antisemitismus zu distanzieren. 2014
       > soll er Führer einer palästinensischen Terrorgruppe geehrt haben.
       
   IMG Bild: Wie sag ich's nur, ohne wie ein Antisemit rüberzukommen, fragt sich Corbyn erfolglos
       
       London taz | Am 5. Oktober 2014 schrieb Jeremy Corbyn, damals noch linker
       Labour-Hinterbänkler und Schirmherr der britischen
       Palästina-Solidaritätsbewegung, im ehemaligen kommunistischen Parteiblatt
       Morning Star über seinen Besuch in Tunesien. Er war am 1. Oktober Redner
       auf einer Konferenz des tunesischen Zentrums für strategische Studien
       Nordafrikas gewesen. Auf dem Programm stand auch ein Gedenkakt mit
       palästinensischen Gruppen. „Wir sammelten uns am Friedhof am Hang über den
       Dörfern und gingen hinunter zur Stadt und zum schönen blauen Mittelmeer,
       wo 1986 israelische Jets donnerten, um das umgesiedelte Hauptquartier der
       PLO zu bombardieren, mit vielen Toten“, schrieb er und meinte eine
       „Kranzniederlegung an den Gräbern der Toten jenes Tages und an den Gräbern
       anderer, die von Mossad-Agenten in Paris 1991 getötet wurden“.
       
       Vier Jahre später wird dieser Besuch zur möglicherweise größten Krise in
       Corbyns Amtszeit als Labour-Chef. Denn auf einem Foto jenes 1. Oktober
       2014, das vor einigen Tagen veröffentlicht wurde, steht Corbyn nicht vor
       den Gräbern der Toten von 1986 – in Wahrheit fand der Luftangriff 1985
       statt –, sondern vor den Gräbern von Atef Bseiso, Hayel Abdel-Hamid, Salah
       Khalaf, Fakhri al-Omari, Mitglieder und Mitgründer der palästinensischen
       Gruppe „Schwarzer September“, die für [1][das Massaker an Israelis bei den
       Olympischen Spielen 1972] in München verantwortlich war.
       
       Auf der Facebook-Seite von Fatah beschrieb die PLO al-Omari als denjenigen,
       aus dessen Kopf die Idee des Olympia-Attentats entsprang, Khalaf gilt als
       Gründer der Bewegung „Schwarzer September“ und wurde damals als Nachfolger
       Arafats gehandelt. Abdel-Hamid (Abu al-Hol) war Sicherheitschef der PLO.
       Alle sind inzwischen tot. Alle waren auf israelischen Abschusslisten.
       Abdel-Hamid erlag zusammen mit al-Omari einem Angriff in Tunis 1991,
       vollstreckt durch einen palästinensischen Wächter; Atef Bseiso wurde ein
       Jahr später in Paris erschossen, es bekannte sich damals die militante
       jüdische Gruppe Kach.
       
       Hat Corbyn einen Kranz an das Grab des geistigen Urhebers des Münchner
       Olympia-Attentats gelegt? Seit der Veröffentlichung der kompromittierenden
       Fotos muss sich Corbyn gegen diesen Vorwurf wehren. „Ich legte einen Kranz
       für alle jene nieder, die bei dem Luftangriff auf das PLO-Hauptquartier in
       Tunis umkamen“, verteidigte sich der Labour-Chef zunächst im Fernsehen.
       Hatte er dabei auch Atef Bseiso geehrt? „Absolut nein“, antwortete Corbyn,
       sprach von Frieden im Nahen Osten und der Notwendigkeit, Menschen
       zusammenbringen – das war „der Sinn der Konferenz und des Lebens“.
       
       Menschen zusammenzubringen mag ein Sinn des Lebens sein. Ob auch eine
       Kranzniederlegung am Grab von Mitgliedern des Schwarzen September, etwa 15
       Meter vom Grab der Opfer des israelischen Luftangriffs auf Tunis entfernt,
       zum Sinn des Lebens gehört, ist die Frage, die jetzt Großbritannien bewegt.
       
       Als Ankie Spitzer, Witwe eines der 1972 ermordeten israelischen Sportler,
       von Corbyn eine Entschuldigung forderte – „nicht mir persönlich gegenüber,
       sondern den Opfern von Terror gegenüber“, sagte sie – hieß es aus dem
       Labour-Pressebüro, sie sei falsch informiert worden: Corbyn habe nur einen
       Kranz für die Opfer von 1985 niedergelegt.
       
       Doch als die Schlagzeilen und Fotos in der britischen Presse nicht enden
       wollten, verteidigte sich Corbyn am Montag mit den Worten: „Ich war bei der
       Kranzniederlegung präsent, aber ich glaube nicht, dass ich wirklich
       involviert war.“ Damit erntete er viel Spott in den sozialen Medien.
       Labour-Abgeordnete Lucia Berger erklärte, dass für sie Präsenz Teilnahme
       bedeute.
       
       Durch Corbyns [2][ungeschickte Selbstverteidigung] scheint Labour immer
       verwundbarer. Seit Monaten streitet die Partei über die [3][Definition von
       Antisemitismus] und [4][antisemitische Ausfälle] von Parteiaktivisten. Was
       in Bezug auf Corbyn mit Vorwürfen begann, sich mit Hamas- und
       Hisbollah-Funktionäre zu befreunden, endet nun an den Gräbern von Personen,
       die für den Terror bei den Olympischen Spielen 1972 mitverantwortlich
       waren. Und jeden Tag werden Corbyns Gegner erneut fündig. Vergangene Woche
       kam heraus, dass der Labour-Chef sich 2011 gegenüber dem iranischen
       TV-Sender Press TV beschwerte, das britische BBC-Fernsehen sei zugunsten
       des Existenzrechts Israels parteiisch. Diese Woche ging es um Spenden von
       Hamas-Freunden für seinen Wahlkampf um die Labour-Führung 2015. Am Mittwoch
       prangte in Zeitungen ein Foto von 2016, [5][auf dem Corbyn neben einem
       lächelnden jungen Mann mit dem Rabiah-Zeichen der Muslimbrüder posiert].
       
       Die Reise nach Tunesien hat ein Nachspiel. Weil Corbyn sie nicht dem
       parlamentarischen Rechnungshof gemeldet hat, wurde nun ein Verfahren wegen
       Bruchs der Abgeordnetenregeln beantragt.
       
       15 Aug 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Streit-um-Gedenkstaette-Olympia-Attentat/!5021476
   DIR [2] /Antisemitismus-in-der-Labour-Partei/!5518335
   DIR [3] /Britische-Labour-Partei-in-der-Kritik/!5521085
   DIR [4] /Labour-Partei-in-Grossbritannien/!5524919
   DIR [5] https://twitter.com/MsJulieLenarz/status/1029657120302657536
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Zylbersztajn
       
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