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       # taz.de -- Die Wahrheit: Die Welt gegen Scooterman
       
       > Selbst ein kleiner Ausflug in den Berliner Tiergarten kann zu einer
       > halsbrecherischen Tour werden, wenn man mit dem klobigen Elektroscooter
       > unterwegs ist.
       
       Eigentlich hätte es ein schöner Tag werden können. Scooterman war es
       nämlich gelungen, eine Freundin davon zu überzeugen, ihn bei einer Ausfahrt
       zu begleiten, bei der es ihm allerdings nicht einmal gelang, bis zum
       Berliner Tiergarten zu kommen. Man muss vielleicht erwähnen, dass schwüle
       Temperaturen über dreißig Grad ohnehin nie zu den bevorzugten
       Wetterbedingungen des Scooterman gehört haben. Das war schon so, bevor 2002
       bei ihm Multiple Sklerose diagnostiziert wurde, und seitdem ist es nicht
       besser geworden.
       
       Auf jeden Fall traf Scooterman auf seinem Scooter pünktlich am S-Bahnhof
       Charlottenburg ein, wo seine Begleiterin schon auf ihn wartete. Ein erster
       Blick gemahnte den Scooterman an Carlo Manzoni, seinen Lieblingsautor aus
       den siebziger Jahren. „Ein Schlag auf den Schädel und du bist eine
       Schönheit“ hieß eines seiner Bücher, die er selbst bescheiden als
       „Superthriller“ verkaufte. „Bei den Beinen einer Frau kommt es auf die Form
       an und nicht auf die Anzahl“, erläutert er dort, „mehr als zwei hat ohnehin
       kaum eine.“
       
       Zwei Tageskarten waren schnell gekauft, und so hätte es ein entspannter
       Ausflugstag werden können. Wenn nicht die Generalverschwörung zum ersten
       Mal ihr hässliches Haupt erhoben hätte: Die Fahrstühle waren zehn
       Zentimeter zu kurz für das Gefährt des Scooterman.
       
       Direkt am Bahnhof befindet sich ein Altenheim. „Können Sie uns einen
       Rollstuhl für heute ausleihen? Ich lasse meinen Scooter als Sicherheit da,
       und ein paar Euro Leihgebühr werden mich auch nicht abhalten.“ Die
       Tresenkraft rumpelte eine halbe Stunde lang engagiert im Keller.
       „Leihgebühr brauchen wir nicht. Aber dieser Rollstuhl hat nur eine
       Fußstütze.“
       
       Scooterman und seine Begleiterin entschlossen sich zum Wechsel des
       Transportmittels. Ein ganz normaler BVG-Linienbus sollte sie bis zum
       Tiergarten tragen. Mittlerweile war es kurz nach zwölf Uhr mittags, und die
       Temperaturen hangelten sich fleißig der Dreißig-Grad-Marke entgegen. Da der
       Bus durch das letzte Wochenende der Sommerferien kurvte, schlug dem
       Scooterman und seinem Scooter eine ganz besondere Stimmung entgegen, als er
       die verteufelt steile Schräge in das dicht besetzte Unterdeck des Busses
       erklomm.
       
       „Och nö, ey!“, war noch der freundlichste Kommentar, den er zu hören bekam.
       Und dazu noch einige andere. In Sprachen, die er nicht erkannte. Immerhin
       befand er sich in Berlin. Der größten Stadt des Landes. Und einem der
       beliebtesten Reiseziele des ganzen Kontinents.
       
       Nach drei Stationen gaben der Scooterman und seine Begleiterin auf. Wie er
       aus dem Bus gekommen ist, und warum er für die zwei Kilometer bis zu seiner
       barrierefreien Wohnung an den Ufern der Spree gut anderthalb Stunden
       gebraucht hat, weiß er nicht mehr. Aber immerhin ist er in einem Stück
       angekommen. Und mit seiner Begleiterin hat er auch schon wieder
       telefoniert.
       
       17 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Knud Kohr
       
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